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Containern: Gebt den Abfall endlich frei!

Containern - Jugendliche sucht bei Nacht nach Lebensmitteln in einer Bio Gut-Tonne in Berlin
Über elf Millionen Tonnen Lebensmittel landen in Deutschland jährlich im Müll.Bild: imago stock&people/ Sabine Gudath
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Containern: Gebt den Abfall endlich frei!

10.01.2023, 15:14
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Über 11 Millionen Tonnen Lebensmittel landen in Deutschland jährlich im Müll. Eine Mengenangabe, die sich viele eigentlich gar nicht vorstellen können. Zur Einordnung: Ein Opel Corsa wiegt knapp 980 Kilogramm, also ein bisschen weniger als eine Tonne. Mehr als elf Millionen Opel Corsas an Lebensmittelabfall ist viel zu viel. Und das, während sich etliche Menschen nicht einmal drei Mahlzeiten am Tag leisten können. Deutschland, du bist manchmal echt unmöglich!

Klar, den Löwenanteil hat hier der private Hausmüll. Bei den weggeworfenen Lebensmitteln ist Verdorbenes dabei, ebenso wie Kaffeesatz, Obst- und Nussschalen, Knochen. Aber eben – gerade in den Mülltonnen von Supermärkten – auch eine Menge frischer Lebensmittel, die noch verzehrt werden könnten. Die Betonung liegt auf könnten. Denn es ist VERBOTEN, diese Lebensmittel zu retten.

Straftatbestand: Hausfriedensbruch und Diebstahl.

Von Müll.

Eine schwachsinnige Regelung. Das sehen zum Glück auch Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) und Justizminister Marco Buschmann (FDP) so. Die beiden wollen die Bundesländer dazu bringen, etwas an den bestehenden Verhältnissen zu ändern. Und es wird auch höchste Zeit.

Gerade in Zeiten, in denen Lebensmittel immer teurer werden – Merci dafür, Inflation –, ist es nahezu bizarr, dass wertige Lebensmittel im Müll hinter dem Einkaufsladen landen.

Ehrlicherweise muss man hier anfügen: Die Lebensmittel haben das Mindesthaltbarkeitsdatum meist bereits überschritten. Verkaufen dürfen die Läden sie dann nicht mehr. Das viele Obst sieht außerdem nicht mehr so knackig frisch aus, wie wir es vom Supermarktregal gewöhnt sind.

PRODUKTION - 20.12.2022, Mecklenburg-Vorpommern, Rostock: Bei der Tafel in Rostock werden die ankommenden Lebensmittel kontrolliert, sortiert und neu in Kisten verladen, um sie auszuliefern. Die Tafel ...
Immer mehr Menschen sind auf Tafeln angewiesen, immer weniger Lebensmittel gibt es zum Verteilen.Bild: dpa / Bernd Wüstneck

Die Tafeln ächzen. Immer mehr Menschen brauchen die Unterstützung, zwei Millionen waren es in der Spitze im vergangenen Jahr. Gleichzeitig bekommen die Einrichtungen immer weniger Lebensmittel von den Supermärkten. Auch, weil diese zielgerichteter einkaufen, klar. Aber eben auch, weil viele Produkte nach wie vor im Müll landen, statt sie den Freiwilligen mitzugeben.

Doch die Änderungsvorschläge, für die Özdemir und Buschmann aktuell werben, sind, sagen wir: verwirrend. Natürlich, noch ist nichts entschieden. Aber allein die bisherigen Gedanken zum Thema sind kompliziert. In einem Brief an die Justizminister:innen und -senator:innen der Länder werben die beiden Minister für einen Vorschlag aus Hamburg.

Containern könnte weiterhin zu Problemen führen

Konkret geht es darin um eine Änderung der Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren, die ohne eine Gesetzesänderung auf Bundesebene von den Ländern beschlossen werden könnte.

So soll es weiterhin eine Strafe geben, wenn ein Hausfriedensbruch vorliegt, "der über die Überwindung eines physischen Hindernisses ohne Entfaltung eines wesentlichen Aufwands hinausgeht oder gleichzeitig den Tatbestand der Sachbeschädigung erfüllt." Containern könnte also straffrei sein, wenn die Personen über eine niedrige Mauer gestiegen sind, um an die Mülltonne zu gelangen.

Anders verhält es sich, wenn sie dafür ein Tor aufbrechen müssen – ja, das ist wohl nachvollziehbar. Schließlich spricht das Strafrecht dann nicht nur von Hausfriedensbruch, sondern auch von Sachbeschädigung. Strafbar soll aber auch weiterhin das schlichte überklettern eines Tores sein. Hausfriedensbruch, klar. Wo genau der Unterschied zwischen einer kniehohen Mauer, die die Mülltonnen umrandet, und einem Zaun liegt, erschließt sich nicht zwingend.

ARCHIV - 08.11.2019, Baden-Württemberg, Karlsruhe: Vor dem Bundesverfassungsgericht wird ein ein Transparent gehalten auf dem steht "Containern ist kein Diebstahl. Justizminister Buschmann (FDP)  ...
Das Thema Containern erregt schon seit Jahren die Gemüter.Bild: dpa / Uli Deck

Ab wann ein "wesentlicher Aufwand" betrieben wird, um ein physisches Hindernis zu überwinden, bleibt also am Ende Auslegungssache. Und da beißt sich die Katze in den Schwanz. Wenn Menschen beim Klauen von weggeworfenen Lebensmitteln erwischt werden, kann es also sein, dass ihnen gar nichts passiert. Dass sie ihre Mango und die Margarine in ihren Rucksack packen und gehen können.

Es sei denn, die Polizei, die sie unter Umständen erwischt hat, hält die Mauer für ein Stück zu hoch. Ein physisches Hindernis, dessen Überquerung einen wesentlichen Aufwand bedeutet. Tja, Pech gehabt. Her mit der Mango und der Margarine, zahlen Sie bitte 225 Euro. Hier muss eindeutig nochmal nachgeschärft werden.

Deutschland sollte sich Frankreich und Tschechien als Vorbild nehmen

In anderen Ländern ist das Thema Lebensmittelverschwendung von Einkaufsläden wesentlich sinnvoller gelöst worden: In Frankreich zum Beispiel, sind große Lebensmittelgeschäfte dazu verpflichtet, Lebensmittel an Hilfsorganisationen weiterzugeben. Zum Beispiel an die örtliche Tafel. Es drohen Strafen bis zu 3750 Euro, wenn dies nicht geschieht.

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Emmanuel Macrons Vorgänger ist in Frankreich bereits 2016 gegen Lebensmittelverschwendung vorgegangen.Bild: IMAGO/PanoramiC / imago images

Klar, auch hier gibt es Probleme, denn es fehlt an Kontrollmöglichkeiten. Aber auch Bürger:innen können Klage erheben, wenn sie feststellen, dass trotzdem Lebensmittel weggeworfen werden. In Tschechien müssen Supermärkte abgelaufene Lebensmittel ebenfalls an Hilfsorganisationen weitergeben. Hier drohen sogar Strafen bis zu 390.000 Euro. Das ist doch mal ein Ansporn.

Tja, und in Deutschland? Hier wurden bisher jegliche Bestrebungen, etwas an diesem Missstand zu verändern, abgeschmettert. Und zwar von den unionsgeführten Ländern, die bis 2022 noch die Mehrheit im Bundesrat stellten.

Pseudo-Argumente haben Reformen fürs Containern unmöglich gemacht

Bereits 2019 wurde von den Justizminister:innen über die Straffreiheit und sogar über die Legalisierung von Containern debattiert. Die Argumentation: "Wir wollen nicht, dass sich Menschen in eine solche menschenunwürdige und hygienisch problematische Situation begeben." Das erklärte 2019 der damalige Sprecher der CDU-geführten Länder, Sebastian Gemkow. Alles klar.

ARCHIV - 30.09.2022, Sachsen, Dresden: Sebastian Gemkow (CDU), Wissenschaftsminister von Sachsen, spricht während einer Pressekonferenz in der Staatskanzlei. (zu dpa «Kabinett beschließt Hochschulgese ...
Der sächsische Wissenschaftsminister Sebastian Gemkow war 2019 der Sprecher der unionsgeführten Länder.Bild: dpa / Robert Michael

Wenn das als Argument dient, dann gäbe es eine einfache Lösung: Dafür zu sorgen, dass Menschen es gar nicht erst nötig haben. Würden Obst und Gemüse von der Mehrwertsteuer befreit, wären sie auch für arme Menschen erschwinglich. Der nächste Schritt: Einfach dafür sorgen, dass es nicht so eine Verschwendung gibt – siehe oben.

Das zweite Argument damals: Die Haftung. Na klar, wir sind ja immer noch in Deutschland. Wenn also etwas abgelaufen ist, und die Person, die das Produkt aus dem Container geholt hat, bekommt eine Lebensmittelvergiftung, muss jemand Schuld sein!

Der Witz daran ist aber: Bei den Tafeln werden zum Teil Sachen weitergegeben, die das Mindesthaltbarkeitsdatum überschritten haben. Natürlich, die Freiwilligen schauen vorher, ob Produkte noch gut sind.

Aber passieren kann es trotzdem, dass sich mal ein verdorbener Joghurt mit in die Charge schleicht oder, dass das Putensteak womöglich doch schon über den Jordan gegangen ist. Aber hey, vielleicht kann man den Menschen, die diese Produkte daheim zubereiten, auch zutrauen, dass sie das dann erkennen können.

Umgang mit Lebensmitteln muss überdacht werden

Zurück in die Gegenwart. Jetzt muss erstmal abgewartet werden, ob die Länder auf den Vorschlag eingehen. Dadurch ändert sich nicht das ganze System, aber wichtig ist, dass sich überhaupt etwas bewegt.

Lebensmittel aus Müllcontainern - Ausbeute beim nächtlichen Containern in Berlin
Nach wie vor landen viel zu viele Lebensmittel im Müll.Bild: imago images/Sabine Gudath / imago stock&people

Und wer weiß, vielleicht klappt das ja alles ganz gut. Und in drei Jahren heißt es dann: abgelaufene, aber noch genießbare Lebensmittel werden weitergegeben. Vielleicht dürfen sie dann nicht mehr weggeworfen werden. Dann könnten Supermärkte statt Lebensmittelretter:innen die Strafen zahlen – so wie in den anderen Ländern.

Denn klar ist: In Zeiten der Klimakrise können wir es uns nicht leisten, Lebensmittel einfach wegzuwerfen. Und vor allem ist es nicht fair gegenüber jenen, die trotz staatlicher Unterstützung hungern müssen, weil das Geld vorne und hinten nicht zum Leben reicht.

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