Der Entwurf des neuen Grundsatzprogramms der CDU zeigt, dass jetzt endgültig Schluss ist mit der Merkel-Ära in der Partei. Was die Union am Montag unter der Führung von Friedrich Merz vorgestellt hat, mutet einem Sprung in die Vergangenheit an. Das gut 70-seitige Papier mit dem Titel "In Freiheit leben" liest sich wie ein Wahlprogramm für Merz: Alle großen Aufreger-Themen kommen vor, samt verstaubter Gedanken.
Als der heutige CDU-Chef im Jahr 2000 eine deutsche Leitkultur gefordert hatte, waren die Reaktionen auf den damaligen Fraktionsvorsitzenden heftig. Zugewanderte müssten bereit sein, die Regeln des Zusammenlebens in Deutschland zu respektieren, erklärte Merz im Oktober 2000. Aufruhr, Debatten, Entsetzen. Letzteres vor allem aus den Partei-Linken.
Jetzt findet sich die Leitkultur bereits auf Seite eins des neuen Grundsatzprogramms der Partei wieder. Alle, die in Deutschland leben wollen, müssen die geltenden Regeln demnach "ohne Wenn und Aber anerkennen". Merz will mit genau diesem Vorgehen ins Kanzleramt einziehen und einen radikalen Systemwandel in der Asylpolitik initiieren.
Gespickt wird der verstaubte Gedanke der Leitkultur mit den Themen, die in der aktuellen Lage so viele Menschen wie möglich abholen sollen. Aber bitte nur die aus jenen Gesellschaftsschichten, die erwünscht sind.
Die Merz'sche Leitkultur, jetzt fest im CDU-Grundsatzprogramm verankert, thematisiert immer wieder die Würde des Menschen. Aber auch der "Rechtsstaat, Respekt und Toleranz, das Bewusstsein von Heimat und Zugehörigkeit sowie die Anerkennung des Existenzrechts Israels", werden in dem Entwurf angesprochen.
Was fehlt, ist der Islam – und damit auch die Muslim:innen. Sie werden aber natürlich geduldet, zumindest unter der Bedingung, dass sie "unsere Werte teilen". Klingt, als stünden sie unter Generalverdacht.
Die traditionelle Familie steht weiter im Fokus und bleibt wichtigster Teil der Gesellschaft, daneben: Leistung und Arbeit. Soweit nichts Neues. Ob das gut ist, darf im Jahr 2023 bezweifelt werden.
Der Ton wird bei der CDU wieder konservativer. Fast entsteht der Eindruck, als wolle man jetzt mit teils populistischen Worten auch diejenigen ansprechen, die Sympathie für die AfD hegen. Und gleichzeitig diejenigen ausschließen, die eine moderne und vielfältige Gesellschaft ausmachen. Natürlich schön verpackt ausgedrückt.
"Wir wollen Schutzbedürftige durch humanitäre Kontingente aufnehmen", heißt es etwa in dem Entwurf. Übersetzt bedeutet das nichts anderes, als eine Obergrenze einführen zu wollen, die in Sachen Asylverfahren zumindest zur Debatte stehen soll. Nach Deutschland kommen sollen laut Merz und des Grundsatzprogramms nur diejenigen Menschen, die bereits positive Asylbescheide haben. Hier lässt man viel Interpretationsspielraum.
Man könnte unterstellen, dass die Worte bewusst so gewählt wurden, um den Migrationsanteil gering zu halten. Und nur diejenigen zu holen, die sich so verhalten, wie man es wünscht. So sollen Menschen sich den positiven Asylbescheid in sicheren Drittstaaten ausstellen lassen.
Es liest sich so, als müssten Asylwillige sich während des Verfahrens auch am besten dort befinden, nicht in Deutschland. Aber wie genau das funktionieren soll, lässt man hier offen. Und: Deutschland soll anscheinend frei über die Aufnahme und Menge derjenigen entscheiden, die bleiben dürfen. Denn eine "Koalition der Willigen" soll die Menschen im Anschluss verteilen.
Ja, Deutschland hat ein Fachkräfteproblem. Das vergisst die CDU im Grundsatzprogramm nur leider. Zwar kommt das Thema auch vor, das Ausmaß wird aber ignoriert – obwohl der Fachkräftemangel als größtes Problem der deutschen Wirtschaft gilt. Dass dem nur durch vermehrte Migration begegnet werden kann, sieht die Partei mit Merz an der Spitze offenbar nicht.
Man gibt zu, dass die Bundesrepublik Arbeits- und Fachkräfte "aus Europa und der Welt" braucht. Allerdings will man eben nur sie, und spricht von "gesteuerter Zuwanderung", in der quasi die Qualifikation das wichtigste Kriterium ist. Ob man so genug Menschen ins Land holt, darf bezweifelt werden. Vielleicht sollte die CDU hier bedenken, dass die wirtschaftliche Konkurrenz nicht schläft und mit weniger komplizierten Regelungen attraktiver für Fachkräfte werden könnte.
Ein Problem, das Altkanzlerin Merkel auf dem Schirm hatte. Doch davon will ihre Partei wohl nichts mehr wissen.
Merz sagt mit dem CDU-Grundsatzprogramm endgültig Tschüss zu Merkel und ihrer Ära, die wohl zu Merz' Unmut den Konservatismus Stück für Stück weicher gemacht hat. Der CDU-Chef richtet den Blick lieber zurück in die Vergangenheit – am liebsten in die 90er Jahre. Nicht nur mit dem Dauerbrenner-Thema Migration.
Klar positioniert sich die CDU mit dem Programmentwurf zum Klimaproblem: nämlich in minimalster Ausführung. Und da man in Zeiten der nahenden Klimakatastrophe das Thema nicht komplett weglassen kann, findet es am Ende und völlig unverhältnismäßig zur Relevanz noch einmal kurz eine Erwähnung.
Ja, man bekennt sich zu den Pariser Klimazielen. Die Partei will, sollte sie wieder an die Macht gewählt werden, wieder Atomkraft vorantreiben. "Deutschland kann zurzeit nicht auf die Option Kernkraft verzichten", heißt es in dem Programm. Die erst 2021 und 2023 abgeschalteten Kernkraftwerke sollen demnach wieder ans Netz gehen.
Auch das soziale Pflichtjahr wird plötzlich wieder auf den Tisch gebracht, nachdem es 2022 auf dem Parteitag verabschiedet worden und intelligenterweise wieder in Vergessenheit geraten war. Jetzt findet es mit den "besten" Argumenten wieder Erwähnung: Denn das soziale Pflichtjahr bringe Jugendlichen wichtige soziale Fähigkeiten bei und stärke den sozialen Zusammenhalt. Blöd nur, dass es die Kluft zwischen den Gesellschaftsschichten weiter vergrößern dürfte.
Während es für junge Menschen aus finanziell stabilen Familien tatsächlich Positives mit sich bringt, bedeutet es für viele andere Jugendliche wohl eher ein weiteres Jahr, in dem sie irgendwie über die Runden kommen sollen. Aber: Es ist sowieso unwahrscheinlich, dass es verpflichtend kommt. Das Geld fehlt. Schon beim Bundesfreiwilligendienst wurde gespart. Das stand bereits fest, bevor die aktuelle Haushaltskrise seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts die Ampel aufscheuchte.
Allerdings gibt Generalsekretär Carsten Linnemann zufolge auch etwas Gutes am CDU-Programmentwurf: Er sei sich sicher, dass es beim Parteitag "mindestens 1000 Änderungsanträge" geben werde. Zudem herrscht jetzt zumindest Klarheit: Die Partei will vor allem konservative Gruppen in der Gesellschaft ansprechen. Viele Jugendliche, Migrant:innen und Frauen ohne Familienambitionen gehören da wohl nicht dazu.