Deutschland
Nah dran

Berliner Cannabis-Social-Club über Freigabe-Gesetz: "Kontrollfreak"

Am Freitag, 23. Februar, wird das Cannabis-Gesetz im Parlament beschlossen. Die Freigabe soll dann am 1. April folgen.
Ab dem 1. April soll in Deutschland legal Cannabis konsumiert und angebaut werden dürfen.Bild: pexels / mark stebnicki
Nah dran

Berliner Cannabis-Social-Club über Freigabe-Gesetz: "Der Gesetzgeber ist ein richtiger Kontrollfreak"

23.02.2024, 15:5222.04.2024, 15:10
Mehr «Deutschland»

Dass die Cannabis-Freigabe kommen soll, darüber waren sich die Koalitionäre vermutlich schnell einig. Dass der entsprechende Gesetzgebungsprozess am Ende aber so lange dauern würde, damit hatten die Ampelparteien wohl nicht gerechnet. Bereits im Mai 2022 hatte Finanzminister Christian Lindner (FDP) auf X, früher Twitter, verkündet: bald Bubatz legal.

Ein Jahr später versprach er: Legalisierung kommt 2023. Geklappt hat das nicht. Jetzt aber gibt es ein neues Datum für den ersten Teil der Freigabe: Ab dem 1. April – so der Zeitplan – soll Cannabis-Konsum in Deutschland legal sein. Das Gras können sich die Menschen dann entweder selbst anbauen (drei Pflanzen pro Erwachsenem) oder als Mitglied in sogenannten Cannabis-Social-Clubs dort zum Selbstkostenpreis abholen.

Am Freitag, 23. Februar, wurde das entsprechende Gesetz vom Bundestag beschlossen. Dafür stimmten 407 Abgeordnete, mit Nein 226 Abgeordnete, es gab vier Enthaltungen. Mit Blick auf mögliche Nein-Stimmen aus den eigenen Reihen sagte SPD-Politikerin Carmen Wegge im Vorfeld im Gespräch mit watson: "Ein paar Gegenstimmen können wir aber auf jeden Fall aushalten." Wegge hat als Rechtspolitikerin das Gesetz mitverhandelt.

Die ersten Social-Clubs haben sich bereits vor dem finalen Gesetz gegründet – damals ohne Rechtssicherheit. Ohne, dass sie wussten, unter welchen Bedingungen, sie den Verein betreiben werden. Mit Blick auf die Verabschiedung des Gesetzes hat watson mit Felix Merkel und Christoph Polstorff vom Cannabis-Social-Club-Prenzlauer-Berg-Berlin (CSC-PBB) gesprochen.

Cannabis-Social-Clubs: Bürokratie-Problem bleibt bestehen

Die beiden sind froh, dass es endlich losgehen kann. Das Gesetz hat aus ihrer Sicht aber noch einige Lücken. "Das ist natürlich alles sehr komplex, weil die Cannabis-Freigabe Neuland ist", stellt Christoph klar und fügt an: "Der Gesetzgeber ist ein richtiger Kontrollfreak, der alles nachschauen und kontrolliert sehen möchte. Wir müssen richtig viel nachweisen."

Damit meint er Dokumentationspflichten, die die Social-Clubs haben. Im Gesetz steht, dass die Clubs verpflichtet sind, nachzuweisen, an wen sie wie viel Cannabis verkauft haben. So müsse Buch geführt werden, mit Vor- und Nachnamen, sowie Geburtsdaten der Abnehmer:innen. Dazu müsse vermerkt werden, wie viel diese gekauft hätten, das Datum der Abgabe und den durchschnittlichen THC-Gehalt des Produktes.

Aus Sicht von Christoph ein Unding: "Es geht den Gesetzgeber nichts an, ob Menschen abends zwei Bier trinken oder zwei Joints rauchen." Aus seiner Sicht würde es reichen, wenn der Gesetzgeber über eine normale Inventur nachvollziehen kann, dass ein Club nicht zu viel anbaut – und dementsprechend nicht zu viel abgibt.

Watson ist jetzt auf Whatsapp
Jetzt auf Whatsapp und Instagram: dein watson-Update! Wir versorgen dich hier auf Whatsapp mit den watson-Highlights des Tages. Nur einmal pro Tag – kein Spam, kein Blabla, nur sieben Links. Versprochen! Du möchtest lieber auf Instagram informiert werden? Hier findest du unseren Broadcast-Channel.

Erlaubt sind nämlich bis zu 500 Mitglieder, die monatlich jeweils höchstens 50 Gramm Cannabis erwerben dürfen. Im Gesetz steht außerdem, dass es nicht mehr als 25 Gramm am Tag sein dürfen. Für 18- bis 21-Jährige sollen monatlich außerdem nur 30 Gramm mit höchstens zehn Prozent Tetrahydrocannabinol (THC) zulässig sein, das ist der Stoff mit der Rauschwirkung.

Aus Sicht von Felix ist das Gesetz trotzdem ein Schritt in die richtige Richtung. Er hat aber das Gefühl, als würde der "Verwaltungsaufwand" nach unten abgegeben – also auf die Clubs umgelegt. Eine weitere Hürde, vor denen der Verein steht: Genug Geld beschaffen, um überhaupt anbauen zu können. Für die Pioniere ist klar, dass sie in einen sogenannten Grow-Hub möchten. Also ein Zusammenschluss verschiedener Anbauvereinigungen. So könnten Kosten auf mehrere Vereine umgelegt werden.

Cannabis-Social-Clubs sollen dann Gras in gtößeren Mengen für ihre Mitglieder anbauen dürfen
Wenn es nach Christoph und Felix geht, soll der CSC-PBB Teil eines Grow-Hubs werden.Bild: pexels / cannafornia

Neben der Fläche brauche es nämlich auch viel Strom für Licht und Belüftungsanlagen. Die Chargen müssen außerdem untersucht werden, um sicherzugehen, dass qualitativ alles in Ordnung ist. "Wir müssen die Kosten minimieren, damit wir die Mitgliedschaft auch für einen angemessenen Beitrag anbieten können", sagt Felix dazu.

Im Gesetz steht: Das Anbaugebäude darf keine Wohnung sein und keine auffälligen Schilder haben. Werbung ist tabu, auch Cannabis-Konsum direkt vor Ort. Anbauflächen und Lager müssen gesichert werden, für Transporte sind Regeln vorgesehen.

Die Transportregeln sind für Felix und Christoph nicht nachvollziehbar. Denn wenn sie das Gras von ihrem Anbauort zur Abgabestelle transportieren wollen, müssen sie das vorher anmelden. Sie dürfen außerdem nur bestimmte Mengen mit sich führen.

Cannabis-Freigabe: Bis zu 50 Gramm Cannabis dürfen Clubmitglieder laut dem neuen Cannabis-Gesetz (CannG) monatlich bei Cannabis-Social-Clubs Abholen
Bis zu 50 Gramm Gras pro Monat dürfen Clubmitglieder abnehmen.Bild: pexels / elsa olofsson

Felix und Christoph könnten sich auch vorstellen, nicht nur die Anbauräumlichkeiten, sondern auch die Ausgabestelle mit anderen zu teilen. Absurd finden sie allerdings, dass auch, wenn sie mit sieben weiteren Clubs eine solche Stelle anböten, von jedem Club jemand zur Ausgabe anwesend sein müsste. Christoph erläutert seine Vision:

"Ich fände es sinnvoll, wenn es Automaten gäbe, die mit dem Clubausweis gekoppelt sind – dann könnte jedes Mitglied so viel Cannabis abholen, wie ihm zusteht. Es wäre aber niemand davon abhängig, dass wir da herumsitzen und die Tütchen rausgeben."

Wie bei Zigaretten-Automaten, die die Alterskontrolle via Bankkarte durchführen also. Einen solchen Automatismus sieht das Gesetz allerdings nicht vor. Um gemeinschaftlich angebautes Cannabis zu bekommen, muss man es persönlich vor Ort entgegennehmen – und dafür den Mitgliedsausweis und einen amtlichen Ausweis mit Foto vorlegen. Einen Kaufpreis dürfe es außerdem nicht geben, stattdessen müssten sich die Clubs über ihre Mitgliedsbeiträge finanzieren.

Cannabis-Freigabe: Reformbedarf schon vor Gesetzverabschiedung

Insgesamt, meint Felix, müsste das Prozedere in Zukunft verschlankt werden. Er kann sich vorstellen, dass das Gesetz noch einmal angefasst wird, wenn es erst einmal angelaufen ist und erste Erkenntnisse gezogen werden können. Auch die Dokumentationspflichten müssten anonymer gestaltet werden.

Christoph würde sich zudem wünschen, dass in den Abgaberäumen auch gemeinsam geraucht werden könnte. "Dass man beisammensitzen kann und sich über den Geschmack und die Qualität dessen, was man konsumiert, austauschen kann", sagt er.

Obwohl aus Sicht der beiden Vereinsgründer noch Luft nach oben ist, sind sie froh, den Schritt gegangen zu sein. Ihnen ist es wichtig, dass Cannabis-Konsumierende entkriminalisiert werden und sie haben Lust, diesen Prozess mitzugestalten. Mit der Verabschiedung des Gesetzes geht es für sie erst richtig los.

(Mit Material der dpa)

Was die Suchterkrankung von Eltern für ihre Kinder bedeutet

"Das Aufwachsen in einer suchtbelasteten Familie kann sehr, sehr traurig machen", sagt Katharina Spatola. Sie arbeitet bei Nacoa Deutschland, ein Verein, der sich deutschlandweit für Kinder aus ebensolchen Familien einsetzt. Sie fährt fort:

Zur Story