Tunçay Kulaoğlu kommt in das Foyer des Kunstraum Bethanien
gehastet, eine Wolke aus Zigarettenduft umgibt ihn. "Die kommenden Nächte werde ich wohl durchmachen müssen", sagt er und läuft hastig durch die langen Gänge des "Kunstraum Bethanien" in Kreuzberg. Es ist nicht mehr viel Zeit, schon in ein paar Tagen ist Ausstellungseröffnung.
Dann stößt er die Türen zum
Ausstellungsraum auf und es wird laut. Jemand sägt, ein anderer hämmert, in
einem anderen Raum werden Plakate geklebt. An den Wänden hängen Ausdrucke mit
Zeichnungen, Wortfetzen, Karikaturen, es riecht nach Sägespänen.
Tunçay läuft durch die Ausstellungsräume
Seit Samstag werden hier die Ausstellung "Wir verrecken vor
Lachen – 50 Jahre Karikatürkei" eröffnen. Es geht um
Satirezeitschriften, Karikaturen, Comics und auch Kabarett der Türkei der vergangenen fünf Jahrzehnte. Tunçay Kulaoğlu ist der Kurator der Ausstellung, gemeinsam mit Serkan Altuniğne und Jule Sievert.
Das ist Tunçay vor einer der Ausstellungswände, die gerade aufgebaut wird:
Satire hat Tradition in der Türkei
Das erste türkische Satiremagazin "Terakki" (Fortschritt) erschien 1870 als Beilage der gleichnamigen Tageszeitung im Osmanischen Reich – seitdem soll es an die 870 Satirezeitungen gegeben haben. 1972 kam dann "Gırgır" auf den Markt und sprach auch die Bevölkerungsmassen und nicht nur das Bildungsbürgertum an. Die "Gırgır" hatte nach dem Putsch 1980 eine Auflage von einer halben Million.
Die Ausstellung erstreckt sich über insgesamt 15 Räume. Am Eingang hängt ein Stammbaum der Satirezeitschriften, es gibt einen Raum mit den Graffitis und Karikaturen der Gezi-Proteste von 2013, einen Lesesaal mit Heften aus den Archiven Istanbuls. Bisher sind das alles noch Platzhalter, die echten Zeichnungen werden kurz vor Eröffnung an die Wand gebracht. "Die
Übersetzung der Karikaturen und Comics war eine unglaubliche Arbeit, gerade
um den Witz einzufangen", sagt Tunçay.
Hier entsteht ein Satire-Stammbaum, die Hefte sind noch Platzhalter
In einem Raum weiter hinten hängen Comic Strips und Bilder an der Wand, die nicht jugendfrei sind. "In den 90er Jahren gab es auch semi-pornografische Arbeiten in den Satirezeitschriften", erklärt Tunçay, während er auf einen Comic Strip zeigt, auf dem eine nackte Frau zu sehen ist. "Heutzutage wäre das unvollstellbar."
Dieses Bild ist not safe for work:
Politische Satire ist in der heutigen Türkei gefährlich geworden. In der polarisierten Gesellschaft und unter dem politischen Druck droht auch vielen Karikaturisten, zu Geldstrafen verurteilt, sanktioniert oder sogar verhaftet zu werden.
Musa Kart zum Beispiel ist das passiert. Er hatte täglich Karikaturen für die regierungskritische Zeitung "Cumhuriyet" angefertigt, und wurde im Oktober 2016 nach dem Putschversuch verhaftet.
Musa Karttwitter/musakart
Im April diesen Jahres wurde Kart wegen des Vorwurfs zur Terrorunterstützung zu drei Jahren und neun Monaten Haft verurteilt. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Auf der Ausstellung werden auch von ihm Arbeiten zu sehen sein.
Es war nicht immer so gefährlich
Die Arbeitssituation war für Karikaturisten nicht immer so angespannt. In den Achtziger- und Neunzigerjahren hatten Satirezeitschriften hohe Auflagen, wurden in der Bevölkerung millionenfach gelesen.
Tunçay Kulaoğlu hatte 1973 seine erste Satirezeitschrift, die "Gırgır" in der Hand, als er sieben Jahre alt war. "Das hat meinen Humor geprägt", sagt der 52-Jährige. "Ich habe jede Woche auf die Zeitschrift gewartet. Womöglich hätte ich einen ganz anderen Humor entwickelt,
wenn ich diese Satirezeitschriften nicht gelesen hätte." Sein Humor heute sei geprägt von Ironie, manchmal sogar etwas böse. An deutschen Satirikern mag er Dieter Hildebrandt, Hagen Rether und Nico Semsrott.
Tunçay wurde in Izmir geboren, ist Dramaturg, Filmemacher und Journalist. Das erste Mal kam er mit 11 Jahren nach Deutschland, nach Nürnberg. "Ich war ein typisches Kofferkind", sagt er. 1997 zog er nach Berlin, leitet heute unter anderem das Theater "Ballhaus Naunynstraße".
Bei dem Militärputsch 1980 war Tunçay in der Türkei. Da kam seine Großmutter morgens halb sechs ins Zimmer und habe ihn mit den Worten "Steh auf! Es findet gerade ein Putsch statt", wachgerüttelt. In der Schule hätten er und seine Mitschüler dann ein Jahr lang jeden Tag in der zweiten Hälfte des Unterrichts – sogar im Sportunterricht – aus dem Werk vom Begründer der Republik Mustafa Kemal Atatürk vorlesen müssen. Tunçay nennt das heute "Gehirnwäsche".
Den Putschversuch vom Juli 2016 hat er so erlebt::
"Ich
weiß noch genau, wo ich an dem Abend des Putsches von 2016 war. Ich war im
Stadtteil Tarabya, der Kulturakademie, wo ich meine Residenz hatte. Abends um
acht bekam ich eine SMS von einer sehr guten Freundin, die hat geschrieben: ‚Es
heißt, das Militär putscht gerade.‘ Dann habe ich auf die Uhr geschaut und mich
erst einmal kaputtgelacht. Man putscht in der Türkei nicht zur Prime Time. Freitagabend 20 Uhr einen Putsch veranstalten, das geht nicht. Normalerweise
kommen die in der Nacht, zumindest war das bei den Putschen zuvor so. Die
neuralgischen Zentralen des Landes werden besetzt, die Fernseh- und Rundfunkanstalt,
das Parlamentsgebäude und so weiter. Alles läuft wie am Schnürchen. Und dann
wacht man eben am nächsten Tag auf und die ersten Mitteilungen werden schon im
Radio vorgetragen. So habe ich den Putsch von 1980 erlebt."
Die ganze Nacht seien Gebetsrufe vorgetragen worden: "Das waren iranische Verhältnisse", sagt der Berliner. Bei dem Putschversuch 2016 habe Tunçay zwar keine Angst gehabt, aber seither Sorge um die Zukunft des Landes. Die Spannungen in der Gesellschaft seien so groß, man sei entweder für oder gegen Erdogan, der werde immer autoritärer, dann noch die wirtschaftliche Lage:
"Da habe ich Sorge, dass die Türkei in einer Irakisierung endet."
Satire in Zeiten von Erdoğan
Das gilt auch für den Kunst- und Kulturbetrieb im Land. "Seit Erdoğan an der Macht ist, hat sich das Leben für viele Menschen,
Künstler, Akademiker, verschlechtert", sagt der Dramaturg. "Erdoğan wurde ja zu Beginn seiner Amtszeit vom Western noch hofiert, weil er so moderat wirkte. Viele von uns
Türken ahnten aber schon, dass das nur Fassade ist."
Die "Penguen"-Zeitschrift stellte 2017 ihren Betrieb als Wochenzeitschrift ein. Seither erscheint sie monatlich.
Die Karikatur-Komik-Kunst sei in der Türkei trotzdem immer noch viel radikaler als in Deutschland, sagt Tunçay. "Die Tagesordnung ist dermaßen komplex und rasant, da hat man als Karikaturist natürlich viel mehr Material."
Auch in der Türkei verbotene oder juristisch sanktionierte
Arbeiten sind ein Thema der Ausstellung. Angst vor Menschen, die ihn deswegen bei der türkischen Regierung denunzieren oder angreifen könnten oder anderweitig Randale machen könnten, hat Tunçay nicht:
"Erdoğan beherrscht das ganze Land, nur die Kultur nicht. Es gibt keine konservativ-religiöse Intelligenzija in der Türkei. So etwas gibt es in Ägypten oder Tunesien, aber nicht in der Türkei. Daher gehen bestimmte Kunstproduktionen auch manchmal – nicht immer – unter. Es gibt in Istanbul also durchaus noch Künstler, die radikale Arbeit machen. Die Frage ist nur: Wer geht hin?"
Natürlich könne in einer Vorstellung aber jederzeit ein "Islamist sitzen, der petzt". Aber Angst? "Nein."
Es geht auch schön: Eine Zeichnung aus einem Raum der Ausstellung, der sich mit deutsch-türkischer Arbeitsmigration beschäftigt."wir verrecken vor lachen"
"Keine Anti-Erdoğan-Veranstaltung"
Seitdem Jan Böhmermann durch sein Erdoğan-Gedicht mit dem türkischen Staatspräsidenten in Konflikt geriet, diskutiert man in Deutschland immer wieder zu der Frage: Was darf Satire? Auch Tunçay hat darauf keine eindeutige Antwort:
"Die Satire muss problematisiert werden, sobald jemand ‚Aua‘
sagt. Das ist aber sehr komplex. Wenn ich Erdoğan beleidige, sagt er auch ‚Aua‘." Für Satire gebe es nicht das Rezept, Satire sieht Tunçay als Kontextfrage, je nachdem, wie das Machtverhältnis ist. "Außerdem ist Satire Geschmackssache."
Böhmermann hält Tunçay für einen talentierten Satiriker, die Kritik an Erdoğan berechtigt, aber: "Böhmermann hat ein unglaublich
gefestigtes rassistisches Bild in der Bevölkerung als Vorlage genommen. Das ist
mein Problem an der Nummer", sagt der Dramaturg.
"Kein Deutscher darf mir sagen, ich sei ein Kanake. Es sei denn, ich erlaube ihm das. Auch ich habe da meine Grenzen."
"wir verrecken vor lachen", kunstraum bethanien
Für die vielen Künstler und Karikaturisten in der Türkei sind diese Grenzen aktuell sehr eng gesteckt. Sie müssen Repressionen fürchten, haben weniger Jobs. Einige von ihnen haben sich trotzdem dafür entschieden, bei der Ausstellung mitzuwirken, obwohl sie noch in der Türkei leben.
"Es ist auch keine Anti-Erdoğan-Veranstaltung hier", betont Tunçay. Diese
Karikaturen seien nur ein Teil der Ausstellungen. "Wir wollten einfach ein gesamtgesellschaftliches
Bild des Landes zeigen."
Der Blumen werfende Pinguin war das Symbolbild der Gezi-Proteste. Dieses Schaf hier sagt: "Ich habe die Blumen gegessen.""wir verrecken vor lachen"
Bald will Tunçay in die Türkei reisen, zwei Jahre nach dem Putschversuch das erste Mal. Er hat Sehnsucht und Dinge zu erledigen. Jetzt zieht er lang an seiner Zigarette und sagt: "Ich weiß nicht, ob es wirklich Dinge gibt, die ich getan oder gesagt habe, die mir Erdoğan falsch
auslegen könnte. Aber ich halte meinen Mund nicht." Man dürfe ja nicht zu kleinkariert werden in seinem alltäglichen und künstlerischen Ausdruck, das sei genau die Falle "und dann zensiert man sich."
Die SMS an Familie und Freunde, sollte etwas bei der Einreise in die Türkei schief gehen, wird Tunçay trotzdem schon vorbereiten. Man weiß ja nie. "Aber erleben will das niemand."
Die Ausstellung "Wir verrecken vor Lachen! – 50 Jahre Karikatürkei" hat eröffnet und ist im "Kunstraum Bethanien" in Berlin-Kreuzberg bis Anfang November zu sehen.