
Eine sowjetische Iljuschin 62 der DDR-Luftlinie Interflug.Bild: Kurt Scholz/dpa
Geschichte
Marina Bethigs Beruf war zu DDR-Zeiten etwas Besonderes: Sie war Stewardess. Das heißt, sie konnte reisen, auch ins westliche Ausland. Ein Traumjob?
Caroline Bock, dpa
Ihre beigefarbene Uniform und der blaue Hut liegen 30
Jahre nach dem Mauerfall in einer Vitrine. Die Geschichte von Marina
Bethig ist Teil einer Ausstellung über Ost-Berlin. Die 59-Jährige hat wie
alle Ostdeutschen ihrer Generation ein Leben vor dem Mauerfall und
eines danach.
Anders als für viele Westdeutsche war 1989 für sie ein
echter Einschnitt. Marina Bethig mochte beide Leben, das eine als
Kind und junge Frau, heute als Oma. Ihr Beruf war zu DDR-Zeiten etwas
Besonderes: Sie war Stewardess. Das heißt, sie konnte reisen.
Sie sagt aber auch:
"Für mich war das Privileg nicht schön, weil ich reisen konnte, andere nicht."
Dass sie als Reisekader konform sein musste,
ist klar. "Ich habe damals die DDR
repräsentiert." Sie flog von 1980 bis 1987 um die Welt, nach Zypern,
Kanada, Kuba, Nigeria, Vietnam oder Pakistan. Der Gedanke an eine
Flucht lag ihr fern, sie hat Mann und Kinder.
Ihr Arbeitgeber hieß Interflug.
Das war die DDR-Staatslinie, die 1958 gegründet wurde und
33 Jahre lang bis nach dem Mauerfall in Betrieb war. Sie schaffte es
sogar mal ins "Guinness-Buch der Rekorde": Am 21. November 1989 flog
eine Maschine in 13:25 Stunden von Kumamoto auf der japanischen Insel
Kyushu nach Berlin-Schönefeld. Nie zuvor hatte damals ein Airbus A310
eine derartige Strecke nonstop bewältigt.
Der schwärzeste Tag in der Interflug-Geschichte war der 14. August
1972, als eine Iljuschin 62 bei Königs Wusterhausen abstürzte – 156
Menschen an Bord kamen ums Leben. 1991 hob zum letzten Mal eine
Tupolew für die Interflug ab. Das Aus kam mit einer Entscheidung der
Treuhand, die viele DDR-Betriebe abwickelte. Auch bei der Interflug
war das umstritten.
Wodka für besondere Vorkommnisse
Noch heute treffen sich die ehemaligen Stewardessen, so hießen die
Flugbegleiterinnen damals, und die Piloten zu Stammtischen. Dann können sie sich Geschichten von früher erzählen. Auf dem
Flughafen von Beirut im Libanon hörte die Besatzung den
Geschützdonner des Bürgerkriegs. Es kam auch vor, dass die Interflug
Kriegsverletzte aus Nicaragua zur Behandlung in die DDR brachte, da
wurde das Flugzeug zum Lazarett und Marina Bethig zur
Krankenschwester. Bedrückend war für sie, wenn DDR-Bürger nach einer
missglückten Republikflucht zurückgebracht wurden. Das waren die
dunklen Seiten des Berufs.

Marina Bethig, ehemalige Interflug-Stewardess, schaut sich ihre Ausgestellte Uniform in der Ost-Berlin-Ausstellung im Museum Ephraim-Palais an.Bild: Tom Weller/dpa
Die ersten zwei Jahre war es üblich, dass die Interflug-Stewardessen
ins sozialistische Ausland flogen, nach Prag, Warschau oder Moskau,
dann durften sie auf die anderen Strecken. Ein geordnetes Privatleben
war wichtig. Wenn jemand zuhause an seiner Familie hing, galt eine
Flucht aus der DDR als unwahrscheinlich. "Da wurde schon darauf
geachtet, dass das Umfeld in Ordnung ist", erzählt Bethig. Wenn der
Familienstand ins Wanken geriet, wurde es schwierig, im Prinzip hätte
einen jeder denunzieren können.
Als Stewardess hat Bethig gerne gearbeitet. Manchmal war es auch
kurios: Zu Notfallübungen musste die Besatzung in Uniform in den
Berliner Müggelsee springen, dort die Schwimmweste anziehen und mit
vollgesogenen Klamotten in ein Floß klettern. Für besondere
Vorkommnisse hatte die Besatzung immer Wodka dabei.
Gegen lästige
Männer bei einem Flug in die Sowjetunion banden sich die Stewardessen
die Schürzen mit einer Doppelschleife. Und: "Man hat natürlich an
Bord auch manchmal einen Heiratsantrag bekommen."
Sie begann, die DDR zu hinterfragen
Der Beruf sei zu DDR-Zeiten ein Traumjob wie Schauspielerin gewesen,
erzählt Bethig, die ihre Kindheit in Potsdam verbrachte und heute in
Berlin lebt. "Der Andrang war sehr groß." Um die Tauglichkeit im
Gleichgewicht zu bestehen, übte Bethig mit ihrem Vater im Drehsessel.
In der Ausbildung ging es um Psychologie, Kosmetik, Sprachen und
Passagierbetreuung. Wie heute mussten die Stewardessen jeden
Handgriff im Schlaf können.
Bethig erzählt weiter, wie sie auf Reisen begonnen habe, die DDR zu hinterfragen, auch durch
ihren Mann, der Westverwandtschaft hatte. Als sie in der Vorwendezeit
nahe der Berliner Gethsemanekirche sah, wie die DDR gegen
Andersdenkende vorging, war das für sie ein Grund, ihr SED-Parteibuch
abzugeben.
Nach dem Mauerfall half Bethig in der Praxis ihres Mannes und
arbeitete als Sporttrainerin. Sie gehört zu den Leuten, die der
"Diktatur des Proletariats" nicht hinterhertrauern und die Demokratie
nach der Wiedervereinigung schätzen. Fernweh verspürt die frühere
Vielfliegerin kaum: "Ich kann auch gut mal eine Woche Urlaub in
Berlin machen."