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Warum Wladimir Putin die Wagner-Söldner braucht

14.05.2023, Nordrhein-Westfalen, Aachen: Teilnehmer einer Demonstration gegen Proteste gegen Waffenlieferungen in die Ukraine stehen vor einer Karnevalsfigur vom russischen Präsidenten Putin in einem  ...
Zum Besuch des ukrainischen Präsidenten Wolodomyr Selenskyj protestierten Menschen in Aachen gegen den russischen Angriffskrieg.Bild: dpa / Henning Kaiser
Analyse

Warum Wladimir Putin die Wagner-Söldner braucht

Jewgeni Prigoschin ist für den russischen Präsidenten die Lebensversicherung gegen die eigenen Generäle. Wie lange noch?
16.05.2023, 11:4816.05.2023, 12:10
Philipp Löpfe / watson.ch
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Jewgeni Prigoschin lästert gegen den Verteidigungsminister Sergei Schoigu und den Generalstabschef Waleri Gerassimow. Der Chef der Wagner-Truppe beschimpft die russische Armee, ja, er soll gar dem Geheimdienst der Ukraine angeboten haben, als Gegenleistung für einen Rückzug aus Bachmut russische Stellungen zu verraten. Das zumindest berichtet die "Washington Post".

Eigentlich wäre zu erwarten, dass Prigoschin wegen Landesverrats an die Wand gestellt und seine Söldner-Truppe aufgelöst werden müsste. Doch "Putins Koch" kann sich offenbar alles erlauben. Warum das so ist, erklären Andrei Soldatow und Irina Borogan im Magazin "Foreign Affairs".

Die vier Machtzentren in Russland

In Russland gibt es derzeit vier Machtzentren. Erstens der Geheimdienst des Militärs, der GRU. Zweitens das Militär selbst. Drittens der FSB, das zivile Gegenstück zum GRU, und viertens Putin. Diese vier Machtblöcke arbeiten keineswegs harmonisch zusammen. Vor allem die Generäle und die reguläre Armee bilden eine Art Staat im Staat.

"Die Armee hat eine Tradition, wonach sie alles unternimmt, dass die Außenwelt so wenig wie möglich über sie erfährt", schreiben Soldatow und Borogan. "Das bedeutet, dass die üblichen Kontrollen der Regierung und der Öffentlichkeit über die Armee – sei es durch das Parlament, die Justiz oder die Medien – in Russland schlicht nicht existieren."

Nach seinem Amtsantritt versuchte Putin, diesen Staat im Staat in den Griff zu bekommen. Deshalb setzte er einen Außenseiter, seinen ehemaligen KGB-Kumpel Sergei Iwanow, als Verteidigungsminister ein. Dieser versuchte, eine umfassende Reform des Militärs durchzupauken – und scheiterte. 2007 musste ihn Putin entlassen.

Auch Schoigu, der aktuelle Verteidigungsminister, stammt nicht aus den Reihen der Armee. Sein Ansehen bei den Generälen ist daher überschaubar. Zudem nimmt deren Macht mit der Dauer des Krieges zu. "Putin weiß, dass es – je länger der Krieg dauert – desto schwieriger werden wird, seine Generäle zu kontrollieren", stellen Soldatow und Borogan fest.

Auftritt der Wagner-Söldner. Ihr Schutzpatron ist der GRU und die Spetsnaz, eine Eliteeinheit des Militärs. Unter Schoigu erhielten beide Aufwind. Sie waren wichtige Faktoren in den Konflikten in Syrien und der Krim. Zunächst allerdings im Geheimen, denn offiziell sind Söldner in Russland nach wie vor verboten.

Russland, Russlands Verteidigungsminister Sergei Schoigu besucht Rüstungsbetrieb in Moskau RUSSIA, MOSCOW REGION - MARCH 14, 2023: Russia s Defence Minister Sergei Shoigu inspects the implementation o ...
Trotz Uniform, Sergei Schoigu hat keine Karriere im Militär hinter sich.Bild: IMAGO/ITAR-TASS

2015 berichtete das Online-Portal fontanka.ru erstmals über Wagner und machte auch öffentlich, dass Dmitry Utkin, ein ehemaliger Spetsnatz-Kommandant, ihr militärischer Anführer sei. Heute wirbt Prigoschin mit riesigen Plakaten in Moskau für seine Truppe und lässt diese am Staatsfernsehen als Helden feiern.

Söldnertruppen haben lange Tradition

Dass private Söldner die offizielle Armee unterstützen, ist nicht den Russen vorbehalten. Die Amerikaner setzten im Irak mit Blackwater ebenfalls eine Privatarmee ein. Die Vorgänger von Wagner gehen jedoch weiter zurück. Sie stammen noch aus den Zeiten der Sowjetunion. Stalin setzte russische Söldner im Spanischen Bürgerkrieg gegen die Truppen von Franco ein.

"Für Putin ist die Wagner-Truppe ein entscheidendes Mittel geworden, um die Militärs im Griff zu behalten."
Soldatow und Borogan

"Für den GRU wurde das russische Experiment im Spanischen Bürgerkrieg eine bequeme Ausrede, um die Wagner-Söldner in der Ukraine zu rechtfertigen", schreiben Soldatow und Borogan. "Der Kreml behauptet unverblümt, es sei erneut ein Kampf gegen Faschisten."

Derzeit sind die Wagner-Söldner nicht nur an der Front in Bachmut tätig. Sie bilden auch das Gegengewicht zu den selbstherrlichen Generälen. "Für Putin ist die Wagner-Truppe ein entscheidendes Mittel geworden, um die Militärs im Griff zu behalten, die er als potenzielle Gefahr für seine Macht hält", schreiben Soldatow und Borogan.

Gleichzeitig ist Prigoschin so etwas wie der Hofnarr im Kreml geworden. Auch das hat Tradition in Russland. Peter der Große, den Putin immer wieder als sein Vorbild nennt, hielt sich ebenfalls einen solchen Narren. Er hieß Alexander Menschikow und war seinerzeit der mächtigste Prinz am Hof, aber ebenfalls nicht Mitglied der russischen Aristokratie. Wie Prigoschin war er dem Zaren blind ergeben und galt als brutal und rücksichtslos.

HANDOUT - 12.05.2023, ---: Dieses vom Prigoschin Pressedienst zur Verfügung gestellte Videostandbild zeigt Jewgeni Prigoschin, Chef der Söldnertruppe Wagner, an einem unbekannten Ort während einer Erk ...
Wagner-Chef Prigoschin gilt als Putins Mann fürs Grobe.Bild: PRIGOZHIN PRESS SERVICE/AP / Uncredited

Doch Putin ist nicht Peter der Große, und Prigoschin wird zu einem immer teureren Narr. Wie einst Menschikow wird der ehemalige Sträfling von der Elite verachtet. Deshalb kann er Putin politisch nicht gefährlich werden. Doch sollte er den Kampf um Bachmut verlieren – und das erscheint derzeit durchaus möglich zu sein –, dann könnte ihn Putin fallen lassen.

Er hätte dann zehntausende von Menschenleben sinnlos geopfert und gewaltige Munitionsvorräte sinnlos verbrannt. Und Putins Loyalität gegenüber seinen Untergebenen hält sich in Grenzen.

Russland: Kreml spricht plötzlich von Krieg – Experte gibt Einschätzung

Seit Beginn des Krieges in der Ukraine sprach Russlands Präsident Wladimir Putin öffentlich stets nur von einer "militärischen" Spezialoperation. Die Verwendung des Begriffs "Krieg" in der Öffentlichkeit war verboten. Wer dagegen verstieß, musste mit horrenden Strafen rechnen. Es hagelte in diesem Zusammenhang Festnahmen.

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