Bild: AA / Stringer
Analyse
In seiner Rede, in der der russische Präsident Wladimir Putin in der Nacht auf Donnerstag den Angriff auf die Ukraine rechtfertigt, spricht er von einer "Entnazifizierung" – einer "Entnazifizierung" eines von einem Mann mit jüdischer Abstammung geführten Landes, wie Experte Andreas Umland erklärt.
In der Nacht auf Donnerstag hat der russische Präsident einen Angriffskrieg auf die Ukraine gestartet. In seiner Rede rechtfertigt Wladimir Putin diesen Zug damit, dass Zusammenstöße zwischen Russland und der Ukraine, die er als "nationalistischen Kräfte" bezeichnet, unvermeidlich seien. "Es ist nur eine Frage der Zeit. Sie bereiten sich vor, sie warten auf einen günstigen Moment. Jetzt beanspruchen sie sogar den Besitz von Atomwaffen. Das werden wir nicht zulassen", sagt er in seiner Ansprache. Und er spricht von einer "Entnazifizierung".
Hier ein Ausschnitt aus seiner Rede:
"Das Ziel der russischen Spezialoperationen ist es, die Menschen zu schützen, die acht Jahre lang vom Kiewer Regime misshandelt und ermordet wurden. Zu diesem Zweck werden wir versuchen, die Ukraine zu entmilitarisieren und zu entnazifizieren und diejenigen vor Gericht zu bringen, die zahlreiche blutige Verbrechen gegen die Zivilbevölkerung, einschließlich russischer Bürger, begangen haben."
Die Wochenzeitung "Die Zeit" hat die gesamte Rede Putins im Wortlaut veröffentlicht. Dass die Ukraine von Nazis befreit werden müsse, bezeichnet der Russland-Experte Andreas Umland als eine Lüge. "Putin behauptet, ein Land zu 'entnazifizieren', das einen Präsidenten mit jüdischem Familienhintergrund hat", schreibt der Analyst des Stockholm Centre for Eastern European Studies, Swedish Institute of International Affairs in einem Post auf LinkedIn.
Und weiter: "2019 gewann der russischsprachige ukrainische Jude Selenskyj freie Wahlen mit einem Ergebnis von 73 Prozent. Er ersetzte einen nichtjüdischen Amtsinhaber, der gegen einen jüdischen Herausforderer die schlimmste Niederlage eines Präsidentschaftskandidaten in der ukrainischen Geschichte hinnehmen musste."
Falsche Erzählungen über "extreme Rechte" in Ukraine geben Putin Legitimation
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj. Bild: dpa / Uncredited
Nachdem der ehemalige Komiker Wolodymyr Selenskyj die Präsidentschaftswahlen 2019 in der Ukraine gewonnen hatte, titelten mehrere Medien damit, dass er, als Mann mit jüdischen Wurzeln, den Sieg gegen den Antisemitismus im Land errang. Darunter etwa auch "Der Spiegel".
Experte Umland erklärt, die vereinte extreme Rechte in der Ukraine habe bei den Parlamentswahlen 2,15 Prozent der Stimmen bekommen. "Hunderte westliche 'antifaschistische' Journalisten und sogar einige Wissenschaftler haben Putin seit 2014 mit ihren alarmierenden Äußerungen geholfen, die vor der überraschend schwachen ukrainischen extremen Rechten warnten." Damit habe man dem Kreml indirekt einer der wichtigsten Rechtfertigungen für diesen russischen Angriffskrieg gegen eine weitgehend tolerante Nation Glaubwürdigkeit gegeben. Ein Angriff auf eine Nation, "die während der Nazi-Aggression von 1941 bis 1944 Millionen Menschenleben verloren hat."
Tatsächlich verlor die Ukraine im deutschen Vernichtungskrieg, beziehungsweise dem deutsch-sowjetischen Krieg zwischen 1941 und 1945, ein Viertel ihrer Bevölkerung. Von etwa 40 Millionen Kriegstoten in Europa war jedes fünfte Opfer ein Ukrainer oder eine Ukrainerin.
"Viele EU-Bürger sollten sich damit trösten, dass sie heute, wenn sie das Licht einschalten oder tanken, Putins 'Entnazifizierung' der Ukraine mitfinanzieren:"
Expete Andreas Umland
Unterdessen behauptet Putin heute, Russland könne sich "nicht sicher fühlen, sich nicht entwickeln und nicht existieren, wenn es ständig von der Ukraine bedroht" werde. Dass einzig und allein Russland seit Monaten eine Drohkulisse an der Grenze zur Ukraine aufbaute, in dem das Land mehr als 150.000 Soldaten entlang der Grenze stationierte, belegen indes mehrere Satellitenaufnahmen.
Satellitenbilder von russischen Truppen an der Grenze zur Ukraine, bereits vom Januar 2021. Bild: PIXSELL / Armin Durgut
Umland erinnert in einem weiteren LinkedIn-Post auf zynische Weise noch einmal an die wirtschaftlichen Beziehungen, die die Europäische Union auch weiterhin zu Russland hegt.
Er schreibt:
"Viele EU-Bürger sollten sich damit trösten, dass sie heute, wenn sie das Licht einschalten oder tanken, Putins 'Entnazifizierung' der Ukraine mitfinanzieren. Wir alle sind nun aktive Antifaschisten, in Europas bester Stunde!"
Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) ist einer der beliebtesten Politiker Deutschlands. Ganz anders als sein Chef, Bundeskanzler Olaf Scholz. Der will trotzdem Kanzlerkandidat seiner Partei werden.