Die Premiers aus Slowenien, Tschechien und Polen, Janša, Fiala und Morawiecki, bei ihrem Besuch in Kyjiw. Bild: imago images / imago images
Analyse
Was der Ukraine-Besuch der Regierungschefs Polens, Tschechiens und Sloweniens zu bedeuten hat
Die Visite in der Ukraine soll Solidarität bezeugen – und den Druck auf den Rest Europas erhöhen. Dass der Besuch ausgerechnet aus diesen drei Staaten kommt, hat auch mit der Geschichte Mitteleuropas zu tun.
Selten hat eine Zugfahrt so viel Aufmerksamkeit erregt. Am Dienstag sind der polnische Premierminister Mateusz Morawiecki, sein Stellvertreter und Vorgänger Jarosław Kaczyński, der tschechische Premier Petr Fiala und der slowenische Regierungschef Janez Janša mit der Eisenbahn ins ukrainische Kriegsgebiet gereist – mitten in die Hauptstadt Kyjiw.
Die drei Regierungschefs und der polnische Ex-Premier trafen dort den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj.
Ihr erklärtes Ziel: der vom russischen Regime um Wladimir Putin angegriffenen Ukraine ihre Solidarität zu beweisen.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj während des Besuchs. Bild: imago images / imago images
Der polnische Vize-Premier Kaczyński nutzte den Besuch außerdem für eine umstrittene politische Forderung: Er sprach sich für eine Friedensmission des Militärbündnisses Nato in der Ukraine aus. Der Einsatz solle "von Streitkräften geschützt" werden und "in der Lage sein, sich selbst zu verteidigen", erklärte Kaczyński am Rande des Treffens.
Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) äußerte sich nach der Rückkehr der vier Politiker positiv zu der Reise. Auf die Frage, ob Scholz zur Mitreise aufgefordert worden sei, antwortete Regierungssprecher Steffen Hebestreit am Mittwoch: "Ich weiß, dass der Bundeskanzler dazu nicht angefragt worden ist."
Welchen Wert hat dieser Solidaritätsbesuch? Was bedeutet es, dass ausgerechnet Regierungschefs aus diesen drei Staaten die Reise antreten? Und was hat es mit der Forderung nach einer Nato-Friedensmission auf sich?
Der Vorschlag mit der Nato-Friedensmission
Der polnische Vizepremier Kaczyński stellt sich offenbar eine Mission vor, bei der Nato-Soldatinnen und -Soldaten Zivilisten in der Ukraine beschützen. Ihr erklärter Zweck wäre dann wohl, das menschliche Leid zu lindern, das der russische Angriffskrieg verursacht – zumindest in den Gebieten der Ukraine, in denen keine russischen Soldaten stehen.
Joachim Krause, Direktor des Instituts für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel, fasst gegenüber "Bild" den möglichen Umfang einer solchen Mission so zusammen:
"Dass Truppen der Nato oder der EU auf Bitten der ukrainischen Regierung in unbesetzte Teile der Ukraine vordringen, um dort einen humanitären Korridor zu bilden, der auch gegen Luftangriffe verteidigt werden kann."
Ein solcher Einsatz, erklärt Krause laut "Bild" weiter, sei ein möglicher "moralischer Aufwind für die Ukrainer". Militärtaktisch würde eine solche Nato-Mission die ukrainische Armee zudem entlasten: Sie hätte Unterstützung beim Schutz der Bevölkerung und könnte mehr Kraft in ihrem Kampf gegen den russischen Angriff einsetzen.
Kaczyński scheint seinen Vorschlag nicht mit Vertretern anderer Nato-Staaten besprochen zu haben.
Es gibt erhebliche Einwände gegen einen Einsatz von Nato-Truppen in der Ukraine: von US-Präsident Joe Biden, Bundeskanzler Scholz, dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron und vielen weiteren Regierungschefs in Nato-Staaten. Sie alle schließen bisher kategorisch aus, eigene Soldaten ins Kriegsgebiet zu schicken.
Ihr Hauptargument: die Gefahr, dass ein solcher Einsatz von Moskau als Kriegserklärung verstanden würde, sei groß.
Seit Tagen wenden sich die Regierungschefs der allermeisten Nato-Staaten mit dem gleichen Argument auch gegen eine Flugverbotszone, die den Luftraum über der Ukraine militärisch gegen russische Flugzeuge abschirmen könnte.
Die Wahrscheinlichkeit einer solchen Mission ist also verschwindend gering – zumindest, solange die Ukraine im Kriegszustand ist.
Es ist kein Zufall, dass gerade Jarosław Kaczyński mit einer so offensiven Forderung wie der nach einer Nato-Friedensmission nach vorne prescht. 2008, nachdem Russland den Nachbarstaat Georgien überfallen hatte, war Kaczyńskis Zwillingsbruder Lech, damals Präsident Polens, nach Georgien gereist. Er sagte damals, in einer Ansprache vor dem georgischen Parlament: "Heute ist es Georgien, morgen die Ukraine, dann das Baltikum und irgendwann vielleicht mein Land: Polen."
Knapp zwei Jahre später, im April 2010, starb Lech Kaczyński bei einem Flugzeugabsturz nahe der russischen Stadt Smolensk.
Zwillinge an der Macht: Der damalige polnische Präsident Lech Kaczyński (links) gratuliert im Juli 2006 seinem Bruder Jarosław zur Ernennung zum Ministerpräsidenten. Bild: www.imago-images.de / bimago stock&people
Sein Bruder Jarosław ist bis heute überzeugt, dass hinter dem Absturz ein russisches Komplott unter Beteiligung polnischer Politiker stecke, bei vielen Anhängern seiner nationalistischen und religiös-konservativen Regierungspartei PiS ist diese These verbreitet – obwohl mehrere unabhängige Untersuchungen dafür keine gewichtigen Indizien fanden und viele Experten sie für eine Verschwörungserzählung halten.
Eine bedeutsame Geste aus Mitteleuropa in Richtung Osten
Warum sind ausgerechnet die Regierungschefs aus Tschechien, Polen und Slowenien nach Kyjiw gereist? Ein Teil der Antwort dürfte in der jüngeren Geschichte der drei Staaten liegen.
Die heutigen Nato- und EU-Mitgliedsstaaten Tschechien und Polen waren nach dem Zweiten Weltkrieg und bis Anfang der 1990er-Jahre kommunistische Diktaturen: Polizeistaaten ohne Meinungs-, Reise- und mit stark eingeschränkter Berufsfreiheit – und Teil des sogenannten "Ostblocks" unter scharfer Kontrolle der damaligen Sowjetunion.
Tschechien bildete mit der heute unabhängigen Slowakei die Tschechoslowakei (deren Abkürzung in kommunistischen Zeiten ČSSR war). ČSSR und Polen waren Teil des Warschauer Pakts, der sowjetisch dominierten Gegenorganisation zur westlichen, stark von den USA geprägten Nato.
In beiden Staaten begehrte ein Teil der Bürger zeitweise auf gegen die Diktatur. In der ČSSR wurden Mitte der 1960er Jahre Kunst, Kultur und Presse freier, 1968er kam der demokratische Reformer Alexander Dubček an die Macht – bis am 21. August 1968 Panzer aus der Sowjetunion und anderen Warschauer-Pakt-Staaten ins Land rollten und die Demokratisierung buchstäblich niederwalzten.
In Polen rebellierte die Gewerkschaft Solidarność 1980 gegen die miserablen Arbeits- und Lebensbedingungen – 1981 verhängte die kommunistische Regierung auf Drängen Moskaus das Kriegsrecht und unterdrückte Solidarność gewaltsam.
Die Regierungen beider Länder blicken auch deshalb mit großer Sorge bis Feindseligkeit auf die seit Jahren aggressivere Außenpolitik des russischen Präsidenten Wladimir Putin. Seit dem Georgienkrieg 2008 und spätestens seit dem ersten russischen Angriff auf die Ukraine 2014 warnten tschechische und polnische Politiker lautstark vor weiteren Aggressionen Putins – oft bügelten die Regierenden in Deutschland, Frankreich oder Italien ihre Sorgen ab.
Seit Russland begonnen hat, die ganze Ukraine anzugreifen, fühlen sich die Regierungen in Warschau und Prag bestätigt – und handeln oft schneller als jene in Berlin. Der polnische Premier Morawiecki drängte am Samstag nach dem Angriff Bundeskanzler Scholz dazu, schnell Waffen an die Ukraine zu liefern – wenige Stunden später willigte Scholz nach wochenlanger Weigerung ein. Tschechien und Polen versorgen die Ukraine schon seit Monaten mit militärischem Gerät.
Das liberale tschechische Politikmagazin "Respekt" bezeichnet den Besuch der drei Regierungschefs als "starke Geste" und schreibt mit Blick auf Premier Petr Fiala, es sei gut, dass das Land mit diesem Besuch die Botschaft vorantrieben, "dass es der EU auf die Ukraine ankommt". "Gerade die Tschechen", schreibt "Respekt", "die selbst erfahren haben, was sowjetische Besatzung bedeutet".
Slowenien mit seinem Premierminister Janez Janša hat einen anderen geschichtlichen Hintergrund: Das heute unabhängige Land war bis 1991 Teil des sozialistischen Jugoslawien – das aber nicht zum Warschauer Pakt gehörte, sondern "blockfrei", also weitgehend neutral war. Premier Janša positioniert sich aber als Hardliner gegen Putins Angriff auf die Ukraine.
Was Kaczyński, Morawiecki und Janša auch sind: Rechtspopulisten
So mutig die Reise der Premierminister aus Polen, Tschechien und Slowenien auch wirkt und so sehr sie dafür auch aus anderen EU-Staaten und von EU-Vertretern wie Ratspräsident Charles Michel gelobt werden: In den Monaten und Jahren vor der russischen Invasion der Ukraine sind zumindest zwei der drei Regierungschefs als rechte Hardliner aufgefallen.
Der tschechische Premier Fiala ist ein relativ liberaler Konservativer, er führt seit Ende 2021 eine mittig orientierte Regierung an, die nach der Wahlniederlage des Populisten Andrej Babiš zustande gekommen ist.
Der Slowene Janša dagegen ist ein Rechtspopulist. Seit 2020 ist er in seiner dritten Amtszeit Regierungschef. Er hat seither unliebsame Journalisten und vor allem Journalistinnen persönlich attackiert und mehrfach Sympathie für die rechtsextreme "Identitäre Bewegung" geäußert.
Morawiecki und sein Vize Kaczyński regieren das Land nach einer religiös-konservativen Agenda: Die von der Partei PiS angeführte Regierung hat Schwangerschaftsabbrüche für Frauen faktisch komplett unmöglich gemacht, sie beschneiden die Pressefreiheit und machen die Justiz immer stärker abhängig von der Regierung. Im Dezember 2021 erregte Morawiecki mit einer aggressiven Rede vor dem Europaparlament Aufregung – und nährte die Befürchtung, die polnische Regierung könnte die ganze EU ins Wanken bringen.
Wie Morawiecki und Janša sich jetzt, nach dem Angriffskrieg Russlands und den vielen Erschütterungen, die er verursacht hat, in der Europäischen Union verhalten werden, ist eine spannende Frage.
Ihr Besuch in Kyjiw hat ihnen in jedem Fall in vielen europäischen Staaten Respekt verschafft. Wie lange dieses Gefühl anhält, haben die beiden mitteleuropäischen Regierungschefs selbst in der Hand.
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