Der russische Präsident Wladimir Putin im September 2020 am Rande einer Militärübung. Bild: imago images / Kremlin Pool
Analyse
Was hinter Putins Rechtfertigungen für seinen Angriff auf die Ukraine steckt
Der russische Präsident sprach vor der Invasion davon, die Ukraine "entnazifizieren" zu wollen. Doch: Wie mächtig ist die extreme Rechte überhaupt in der Ukraine? Und: Was ist dran am angeblichen "Genozid" im Donbas? Hat die Nato Russland eingekreist? Ein Faktencheck in sechs Fragen und Antworten.
Wer einen Krieg beginnt – oder einen sonstigen militärischen Angriff –, der braucht seit einigen Jahrzehnten eine möglichst gute Erklärung dafür. Kriege, die nur das eigene Land vergrößern oder mit denen andere Länder ausgeplündert oder unterworfen werden, sind spätestens seit dem Zweiten Weltkrieg verpönt.
Am frühen Donnerstagmorgen hat nun der russische Präsident Wladimir Putin Ernst gemacht mit seinem Krieg: Er ordnete militärische Angriffe auf das Staatsgebiet der Ukraine an. Bundeskanzler Olaf Scholz sprach in einer Erklärung von einem "rücksichtslosen Akt" des russischen Präsidenten. Staats- und Regierungschef von Washington über London bis Paris verurteilten den Angriff mit scharfen Worten.
Putin hatte zuvor immer wieder Erklärungen für seine aggressive Haltung gegenüber der Ukraine geliefert – und für seinen Plan, dem Nachbarstaat einen Teil des eigenen Gebiets endgültig wegzunehmen: die selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk, deren östlichen Teil seit 2014 prorussische Kämpfer besetzt halten.
Teilweise seit Jahren verbreiten Putin und russische Staatsmedien Rechtfertigungen für ihre feindliche Haltung gegenüber der Ukraine. Diese Erzählungen verbreiten auch Menschen in Deutschland: in Whatsapp- und Facebook-Gruppen, über Youtube-Clips, in Bundestagsreden, in Satiresendungen wie "Die Anstalt" im ZDF.
Was steckt hinter diesen Erzählungen über die Ukraine, über die Nato und angebliche Gräueltaten im ukrainischen Teil des Donbas, ganz im Osten des Landes? Watson geht sechs davon auf den Grund.
Wie mächtig sind Neonazis in der Ukraine?
Sie sind dort weniger mächtig als Rechtsradikale in Deutschland.
Es ist eine Behauptung, die immer wieder zu lesen ist: Die Ende 2013 entstandene prowestliche Bewegung rund um den Euromaidan sei durchsetzt gewesen von Neofaschisten und Neonazis. Seit das ukrainische Parlament, so geht die Erzählung weiter, im Februar 2014 den prorussischen Präsidenten Viktor Janukowytsch entmachtete, seien Rechtsextreme ein mächtiger Teil der ukrainischen Regierung.
Diesen Vorwurf hat Putin in seiner faktischen Kriegserklärung am Donnerstag wiederholt. Er sprach davon, mit dem Angriff werde man die "Entmilitarisierung und die Entnazifizierung der Ukraine anstreben".
Diese russische Deutung findet auch in Deutschland Widerhall. Noch am Mittwoch hatte sie die Linksjugend, die der Linkspartei nahestehende Jugendorganisation, verbreitet. In einem per Twitter verbreiteten Statement schrieb sie von einem "rechte[n] Status Quo" in der Ukraine, und von einer "Dominanz der Opposition durch faschistische Milizen".
Polizeieinheiten der Sondereinheit Berkut versuchen im Dezember 2013 auf dem Unabhängigkeitsplatz in Kiew die Barrikaden eines Protestcamps der Bewegung "Euromaidan" einzureißen.Bild: imago stock&people / Markus Heine
Der Euromaidan, das war die proeuropäische Protestbewegung, die sich ab Ende 2013 dafür einsetzte, dass die Ukraine ein Assoziierungsabkommen mit der Europäischen Union unterzeichnet. Hunderttausende Menschen gingen monatelang in der ukrainischen Hauptstadt Kyjiw auf die Straße. An den Protesten nahmen auch rechtsradikale Gruppierungen um die Vereinigung "Swoboda" (zu Deutsch: Freiheit) teil, die sich teilweise gewalttätige Auseinandersetzungen mit der Polizei lieferten. Die Rechtsextremen waren aber zu keiner Zeit die bestimmende Kraft hinter den Protesten.
Sozialwissenschaftliche Untersuchungen zum Euromaidan zeichneten das Bild einer bunten Mischung aus Demonstrierenden, aus unterschiedlichen Landesteilen und mit unterschiedlichen Motiven für ihren Protest.
Rund die Hälfte der ukrainischen Bevölkerung unterstützte die Bewegung Ende 2013 laut einer Umfrage. Im Westen des Landes war der Anteil deutlich größer, im Osten deutlich kleiner.
Bei den Wahlen in den Jahren nach den Euromaidan-Protesten blieb der Einfluss Rechtsradikaler in der Ukraine gering: Bei der Parlamentswahl 2019 bekam die Vereinigung "Swoboda" nur 2,2 Prozent der Stimmen. Das ist erheblich weniger als der Stimmenanteil rechtsradikaler Parteien etwa in Frankreich, Italien, Deutschland (die AfD erhielt bei der letzten Bundestagswahl 10,3 Prozent der Zweitstimmen) oder Österreich.
Was ist an Putins Vorwürfen dran, im Donbas finde ein "Genozid" statt?
Für die Vorwürfe gibt es keine Grundlage.
Es ist der wohl heftigste Vorwurf, den ein Regierungschef einem anderen Staat machen kann: Dass ein Genozid stattfinde oder geplant sei. Genozid oder Völkermord, damit ist nach der einflussreichen Definition des Juristen Raphael Lemkin eine monströse Straftat gemeint, die das Ziel hat, "eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören".
Wladimir Putin hat am frühen Donnerstagmorgen, in der Rede, mit der er den Angriff auf die Ukraine ankündigte, der Ukraine einen Genozid vorgeworfen. Seine Kriegserklärung rechtfertigte er auch mit diesen Worten: "Ziel ist der Schutz der Menschen, die seit acht Jahren Misshandlung und Genozid ausgesetzt sind."
Es ist eine Behauptung, die Putin und russische Staatsmedien seit Wochen wiederholen: Vergangene Woche etwa, während der Pressekonferenz beim Besuch des deutschen Bundeskanzlers Olaf Scholz in Moskau, hatte Putin ebenfalls behauptet, im ukrainischen Teil des Donbas drohe ein Genozid gegen die russischsprachige Bevölkerung, in seiner aufsehenerregenden Rede am Montagabend hat er das wiederholt.
Der Punkt ist: Es gibt nicht einmal den Ansatz eines Belegs dafür, dass der ukrainische Staat der russischsprachigen Bevölkerung im Osten des Landes systematisch Leid zufügen will. Die Russischsprachigen machen einen erheblichen Teil der ukrainischen Bevölkerung aus. Sie besitzen alle Bürgerrechte. Bei der Wahl im Jahr 2019 erhielt die offen prorussische Oppositionsplattform "Für das Leben" über 13 Prozent der Stimmen und ist mit 43 von 450 Abgeordneten im Parlament vertreten.
Staatsbürger der Ukraine sind heute Menschen unterschiedlicher ethnischer Herkunft: neben Ukrainern und Russen gehören dazu unter anderem Ungarischstämmige, Rumänischstämmige und die muslimischen Krimtataren. Selbst unter der vergleichsweise nationalistisch geprägten ukrainischen Regierung unter dem ehemaligen Präsidenten Petro Poroschenko (2014 bis 2019) gab es keine Bestrebungen, Menschen aufgrund ihrer Ethnie staatlich zu diskriminieren. Zweisprachigkeit ist in der Ukraine Alltag, auf den Straßen wie in den Medien.
Nochmals: Von einem "Genozid" an Russen in der Ukraine kann nicht einmal ansatzweise die Rede sein.
Hat Putin recht, wenn er den Donbas mit dem Kosovo vergleicht?
Nein. Im Kosovo fanden in den Neunziger Jahren tatsächlich Massaker an der albanischen Zivilbevölkerung statt. Im Donbas nicht.
Als Kanzler Olaf Scholz vergangene Woche Putin besuchte, sagte er bei der Pressekonferenz nach dem Treffen der beiden, Krieg in Europa sei für jemanden aus seiner Generation kaum vorstellbar – und es sei die "verdammte Pflicht" der Regierenden, ihn zu verhindern. Der russische Präsident erwiderte, es habe nach 1945, dem Ende des Zweiten Weltkriegs, doch schon Krieg in Europa gegeben: Als Nato-Staaten, darunter Deutschland, 1999 im Kosovo-Krieg das damalige Jugoslawien angriffen und unter anderem die Hauptstadt Belgrad bombardierten.
Scholz' Erwiderung auf Putin: Im Kosovo habe ein Genozid an der albanischen Bevölkerung durch serbische Soldaten und Sicherheitskräfte gedroht. Putins Antwort darauf: Im Donbas drohe dasselbe an den Russen dort. Dass es für den Genozid-Vorwurf keine Grundlage gibt, steht weiter oben in diesem Text. Aber hat Putin einen Punkt mit seinem Kosovo-Vergleich?
Der Nato-Kriegseinsatz gegen das damalige Jugoslawien (das 1999 noch aus den heutigen Staaten Serbien, Montenegro und Kosovo bestand) ist bis heute umstritten. In Deutschland protestierten damals hunderttausende Menschen dagegen. Für die Grünen, die damals erstmals seit ein paar Monaten in einer Bundesregierung mit der SPD waren, wurde der Streit darum zur Zerreißprobe.
3500 Menschen sollen durch die Bombenangriffe ums Leben gekommen sein. Andererseits starben nach Schätzungen über 10.000 Kosovo-Albaner, vor allem durch die Gewalt serbischer Sicherheitskräfte. Serbische Sicherheitskräfte verübten Massaker an Albanern, hunderttausende Kosovo-Albaner flüchteten aus ihrer Heimat.
Flüchtlinge aus dem Kosovo im Mai 1999 in einem Flüchtlingslager in Albanien. bild: imago/Koall
So umstritten der Kosovo-Krieg also ist: Dass ihm massive Gräueltaten an den Kosovo-Albanern durch Serben vorangingen, ist vielfach belegt. Im Donbas kann von auch nur ansatzweise vergleichbaren Verbrechen an Russen nicht die Rede sein.
Kurios ist Putins Kosovo-Vergleich auch aus einem anderen Grund: Russland hat das Kosovo, das nach dem Krieg im Jahr 2008 seine Unabhängigkeit von Serbien erklärt hat, nie anerkannt – mit der Begründung, die Loslösung des Kosovo sei ein Angriff auf das Staatsgebiet Serbiens. Jetzt hat Putin das Staatsgebiet der Ukraine direkt militärisch angegriffen. Russland könne jetzt vor den Vereinten Nationen nichts mehr gegen die Unabhängigkeit es Kosovo sagen, ohne ausgelacht zu werden, schreibt Autor Orhan Dragaš für das Portal "Euractiv".
Warum sind gerade viele Bilder von jubelnden Menschen mit russischen Flaggen aus dem Donbas zu sehen?
Es gibt im Donbas Unterstützer einer russischen Invasion. Aber wie groß ihr Anteil an der Bevölkerung ist, ist zweifelhaft.
Die Bilder gingen schon in der Nacht von Montag auf Dienstag in die Welt: jubelnde Menschen, die in den ukrainischen, von prorussischen Separatisten besetzten Städten Donezk und Luhansk Russland-Flaggen schwenken. Kleine Autokorsos, die Fahrzeuge ebenfalls mit weiß-blau-roten Flaggen ausgestattet. Der Eindruck, der damit offenbar erweckt werden soll: Die Menschen im Osten der Ukraine freuen sich über den russischen Angriff, sie begreifen ihn als Befreiung. Was ist dran?
Das am Dienstag von der russischen Staatsagentur Tass verbreitete Bild zeigt Menschen, die auf einer Straße in Lugansk die Anerkennung der Unabhängigkeit der selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Lugansk feiern.Bild: dpa / Alexander Reka
Auf den Bildern sind offenbar dutzende, teilweise hunderte Menschen zu sehen. Inwieweit diese Menschen repräsentativ für die Mehrheit der Bevölkerung in den Städten Donezk und Luhansk und im Rest der von Separatisten besetzten Gebieten ist, lässt sich nicht unabhängig prüfen. Freie journalistische Berichterstattung aus den Gebieten ist kaum möglich, die dort erscheinenden Medien verbreiten zu einem wesentlichen Teil anti-ukrainische Hasspropaganda.
Wer sich öffentlich gegen den russischen Einfluss und die Separatistenregierung äußert, muss mit harten Repressalien rechnen, viele Ukrainerinnen und Ukrainer haben den Donbas in den vergangenen Jahren verlassen. Nikolaus von Twickel, Redakteur des von der liberalen Denkfabrik "Liberale Moderne" betriebenen Portals "Russland Verstehen", sagt mit Blick auf die Regimes in den selbsternannten "Volksrepubliken" im Gespräch mit watson: "Es handelt sich hier wohl um das repressivste Regime in Europa seit Ende des 2. Weltkriegs"
Prorussische Kräfte hätten im russisch kontrollierten Teil des Donbas "eine Diktatur errichtet, um proukrainische Menschen zum Schweigen zu bringen oder wegzuekeln." Putins Krieg gegen die Ukraine ist nach von Twickels Einschätzung als logische Fortführung zu verstehen: "Jetzt folgen die Schritte zur Annexion der selbsternannten Volksrepubliken an Russland."
Zumindest mit Blick auf Donezk – vor Beginn des Ukrainekriegs 2014 eine Millionenstadt – traut sich von Twickel unter Verweis auf seine Kontakte in die Gegend diese Einschätzung zu:
"Die prorussische Bewegung in und um Donezk ist ganz klar von einer Minderheit getragen."
Wie ist die Lage im Donbas mit der auf der Krim im Jahr 2014 zu vergleichen?
Auf der Krim ist die Zustimmung zu Russland vermutlich deutlich höher als in der Ostukraine. Die Annexion der Halbinsel an Russland im Jahr 2014 rechtfertigt das trotzdem nicht.
Die Euromaidan-Proteste hatten 2014 zwei konkrete Folgen: Das ukrainische Parlament setzte den prorussischen ukrainischen Präsidenten Wiktor Janukowytsch ab, Janukowytsch verließ das Land fluchtartig. Und Russland begann seine Aggression gegen den Nachbarstaat: Erst gegen die Halbinsel Krim, dann in Richtung Donbas.
Die Krim gehörte seit 1954 zur Ukraine: Erst zur ukrainischen Sowjetrepublik, die Teil der Sowjetunion war. Seit 1991 dann zur unabhängigen Ukraine. Russland brachte die Krim binnen weniger Tage faktisch unter seine Kontrolle: zuerst über militärische Einheiten, die die russische Führung verniedlichend "grüne Männchen" nannte: Kämpfer mit russischen Waffen, ohne russische Hoheitsabzeichen. Später über ein Referendum, das nach westlicher Einschätzung klar völkerrechtswidrig war und zu dem es erhebliche Manipulationsvorwürfe gibt: 95 Prozent, so das offizielle russische Ergebnis, stimmten damals dafür, dass die Krim zu Russland gehöre.
Durchsichtige Wahlurnen: Ein Bürger der Krim beim Referendum über den Beitritt zu Russland im März 2014.Bild: imago stock&people / ITAR-TASS
Trotz der Zweifel am Referendum vermuten auch unabhängige Experten, dass die Mehrheit der Krim-Bewohner zu Russland gehören wollen. Das liegt auch daran, dass die Mehrheit der Bevölkerung dort aus Russinnen und Russen besteht. Zur Wahrheit gehört aber auch: Die Krim wurde im 20. Jahrhundert gezielt "russifiziert": 1944, im Zweiten Weltkrieg und unter der Herrschaft des sowjetischen Diktators Josef Stalin, wurden über 200.000 muslimische Krimtataren, deren Familien seit Jahrhunderten auf der Krim gelebt hatten, aus der Krim verschleppt, später wurde dort gezielt russische Bevölkerung angesiedelt. Es war eines der vielen Beispiele grausamer "ethnischer Säuberung" im Europa des 20. Jahrhunderts.
1954 wies der damalige sowjetische Staatschef Nikita Chrustschow die Krim der ukrainischen Sowjetrepublik zu. Deren Rechtsnachfolgerin wurde 1991 die Ukraine: Das Land erklärte in den turbulenten Wochen, in denen die Sowjetunion zerfiel, seine Unabhängigkeit – so wie 13 andere Sowjetrepubliken, die heute unabhängige Staaten sind. Russland erhebt seither den Anspruch, Rechtsnachfolger der Sowjetunion zu sein.
Rechtsnachfolge bedeutet im Völkerrecht grob gesagt: Ein neuer Staat erwirbt das Gebiet eines zerfallenden oder sich verkleinernden Staates – oder entsteht auf dessen Territorium neu. Ein entscheidendes Prinzip dabei trägt den Namen "uti possidetis": Demnach übernimmt der Nachfolgestaat den Grenzverlauf des alten Staates. Im Fall der Ukraine heißt das: 1991 übernahm sie das gesamte Staatsgebiet der alten ukrainischen Sowjetrepublik. Krim eingeschlossen.
Nein. Die Nato ist kein gigantischer Bösewicht, der andere Staaten einkreist. Sie ist ein Verteidigungsbündnis, dem unabhängige Staaten freiwillig beitreten können. Mehrere Staaten des früheren Ostblocks, den bis 1989 die Sowjetunion dominierte, sind seit den 1990er Jahren der Nato beigetreten. Jeder Staat hat sich selbstständig und freiwillig dazu entschieden.
Es ist seit Jahren eines der beliebtesten Argumente der russischen Führung für ihre aggressive Haltung gegen die Ukraine und westliche Staaten: Die Nato sei bis an die Grenzen Russlands vorgerückt, sie kreise Russland ein. Die ukrainische Regierung unter Präsident Wolodymir Selenskij hat wiederholt erklärt, sie wolle der Nato auf absehbare Zeit beitreten. Ein baldiger Beitritt der Ukraine erschien allerdings unrealistisch – zumindest bis zum russischen Angriff auf die Ukraine, der viele Gewissheiten wohl grundsätzlich infrage stellen wird. In seiner Kriegserklärung am Donnerstag sprach Putin von einer "Frage um Leben und Tod" für Russland angesichts der Nato-Osterweiterung.
Ja, die Nato ist seit Ende des Kalten Kriegs erheblich in Richtung Osten gewachsen. In insgesamt fünf Osterweiterungen traten ab 1999 insgesamt 14 Staaten der Nato bei: Die ersten waren Polen, Tschechien und Ungarn, 2020 folgte zuletzt Nordmazedonien (das vor 1989 aber nicht zum Ostblock gehört hatte, sondern zum blockfreien Staat Jugoslawien).
Jeder unabhängige Staat, der der Nato beitrat, tat das aus eigenem Entschluss. In mehreren Staaten, darunter Ungarn und Slowenien, gab es Volksabstimmungen, die mit einer deutlichen Mehrheit den Nato-Beitritt befürworteten. Von Tschechien bis zu den baltischen Staaten ist die Zustimmung zur Nato-Mitgliedschaft bis heute über den Großteil der politischen Parteien hinweg groß.
Dass sich die Nato-Neumitglieder eigenständig für die Nato entschlossen, lässt die russische Führung unter den Tisch fallen – ebenso wie Putin-freundliche Politikerinnen und Politiker in Deutschland. Der russische Außenminister Sergej Lawrow machte seine Missachtung des Willens der Staaten westlich von Russland Anfang des Jahres sogar über einen offiziellen Kanal deutlich. Über den Twitter-Kanal der russischen Botschaft in Großbritannien nannte er diese Länder "Gebiete, die durch den Zusammenbruch des Warschauer Pakts und der Sowjetunion verwaist" seien. Es sind Worte wie von einer ehemaligen Kolonialmacht.
Nikolaus von Twickel, Redakteur des Portals "Russland Verstehen", fasst es so zusammen: "Man muss immer betonen, dass die Nato niemanden zwingt, ihr beizutreten." Ehemalige Warschauer-Pakt-Staaten seien der Nato beigetreten, weil sie sich Sorgen um ihre Sicherheit gemacht hätten: "Nicht wegen der USA, sondern wegen Russlands."
Die Bedrohungslage gehe nicht von der Nato in Richtung Russland aus, sondern umgekehrt. Von Twickel sagt: "Die russischen Raketen, die Warschau oder Berlin treffen könnten, sind längst in Kaliningrad stationiert." 2018 verlegte Russland Raketen, die mit Nuklearwaffen bestückt werden können, in die russische Enklave Kaliningrad. Die frühere deutsche Stadt Königsberg ist seit dem Ende der Sowjetunion umgeben von Polen und Litauen, die heute Mitglied der Nato und der EU sind.
Haftbefehl gegen Netanjahu: Welche Folgen die IStGH-Entscheidung hat
Der Gazastreifen liegt in Schutt und Asche, das Sterben gehört dort zum Alltag, Kinder leiden massiv: Der Nahost-Konflikt und das brutale Agieren Israels im Gazastreifen spaltet die Gesellschaft. Es hagelt seit Monaten Kritik zur ungeheuren Brutalität, mit der das Land unter Ministerpräsident Benjamin Netanjahu in der Enklave vorgeht. Auch in Israel wird der Widerstand größer.