Der russische Präsident Wladimir Putin macht sich auf den Weg nach Zentralasien. In der Hauptstadt Kasachstans treffen sich Staats- und Regierungschefs aus elf Ländern zur "Conference on Interaction and Confidence Building Measures in Asia" (CICA). "Zusammenarbeit und vertrauensbildende Maßnahmen in Asien" – zu diesem Zweck kommen etwa Aserbaidschan, der Irak, Iran, Katar, die Türkei und die zentralasiatischen Staaten zusammen an einen Tisch.
Parallel treffen sich auch die sogenannten GUS-Staaten. Die "Gemeinschaft Unabhängiger Staaten" ist eine regionale zwischenstaatliche Organisation in Osteuropa und Asien. Besonders interessant wird wohl das Zusammentreffen Russlands mit den zentralasiatischen Staaten. Denn die Stimmung ist angespannt.
Der völkerrechtswidrige Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine hat die Dynamik zwischen Russland und seinen postsowjetischen Verbündeten verändert. "Das gegenseitige Vertrauen ist angeschlagen", sagt Zentralasienexperte Temur Umarov im Gespräch mit waton. Dieses Zerwürfnis wird Umarov zufolge eine Rolle auf dem Gipfel spielen.
Laut des Experten hofft Putin natürlich auf Unterstützung für seinen Krieg in der Ukraine und seinen "Machtkampf" gegen den Westen. "Aber er weiß, dass niemand öffentlich oder sogar privat seine Mithilfe aussprechen werde", sagt Umarov. Sein Hauptziel bei diesem Gipfeltreffen in Astana sei demnach, seine Position in Zentralasien zu sichern.
Zentralasien soll weiterhin ein enger Verbündeter Russlands bleiben und nicht auf den Gedanken kommen, Russland durch andere Partner zu ersetzen.
Für Kasachstan braucht Putin wohl besonders viel Überzeugungskraft, denn das Gastgeberland des Gipfels hinterfragt momentan seine Beziehung zum Kreml. Bis heute zeigt der kasachische Präsident Kassym-Schomart Tokajew keinerlei Interesse an einem Engagement in Russlands Krieg in der Ukraine. Im Gegenteil – er heißt russische Deserteure in seinem Land willkommen.
Nach Angaben kasachischer Behörden sind seit Beginn von Putins Mobilmachung mehr als 100.000 russische Staatsbürger, möglicherweise bis zu 200.000, nach Kasachstan eingereist. Viele von ihnen sind in das benachbarte Kirgisistan weitergezogen. Aber auch in Usbekistan suchen russische Männer Zuflucht vor der Einberufung ins Militär.
"Die russische Mobilisierung hat Zentralasien ins Rampenlicht gerückt", meint Umarov, der bei der "Carnegie Stiftung für Internationalen Frieden" forscht. Tausende Russen fluten die Städte Zentralasiens. Das verändere auch die Beziehung zwischen den Menschen der Länder.
Der Experte sagt dazu:
In Zukunft wird das laut Umarov zu einem besseren Verständnis der Russen für Zentralasien führen. "Es wird mit sämtlichen Stereotypen brechen, die in den Köpfen vieler Russen über Zentralasien existieren", meint der Experte. Langfristig sei dies demnach eine gute Entwicklung.
Kurzfristig gesehen berge es allerdings auch Risiken. Nicht alle geflüchteten Russen haben ein geregeltes Einkommen oder eine feste Bleibe. "Zentralasien ist kein Ort, der diesen Neuankömmlingen viele Jobs anzubieten hat", sagt Umarov. Das könne der Wirtschaft der zentralasiatischen Länder Probleme bescheren.
Doch bei diesem Gipfeltreffen geht es dem Experten zufolge nicht nur um die Beziehung zwischen Russland und Zentralasien. Kasachstan schlägt eigene Wege ein, weg von russischer Einflussnahme, hin zu mehr Unabhängigkeit. "Das Gipfeltreffen ist auch ein Versuch Kasachstans, mehr Präsenz auf dem asiatischen Kontinent zu gewinnen", sagt Umarov.
Aber auch China ist ein Akteur, den es zu beobachten gilt.
Der chinesische Vizepräsident Wang Qishan wird eine Delegation nach Kasachstan führen. Er ist laut Umarov ein enger, vertrauenswürdiger Freund des chinesischen Präsidenten Xi Jinping. "Was er sagt, wird äußert interessant, vor allem hinsichtlich der Ukraine", meint der Experte und fügt hinzu: "Falls der Krieg in der Ukraine überhaupt diskutiert wird."
Einer hat sein Interesse daran bereits bekundet: der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan.
Abseits des Gipfels wollen sich Putin und Erdoğan zum Zweiergespräch treffen. So verkündet es das türkische Präsidialamt. Erdoğan ist bemüht, im russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine zwischen den Konfliktparteien zu vermitteln.
"Ein Waffenstillstand muss so schnell wie möglich hergestellt werden. Je früher, desto besser für beide Länder, für uns alle", sagt Außenminister Mevlüt Cavusoglu dem türkischen Nachrichtensender tvnet. Ankara strebe einen "tragfähigen Waffenstillstand und fairen Frieden" auf der Grundlage der territorialen Integrität der Ukraine an – bevor sich die Verluste beider Seiten in diesem Winter noch weiter vervielfachen, fügte Cavusoglu hinzu.
Kasachstan, China und die Türkei sind sich den Auswirkungen des Krieges in der Ukraine bewusst. Nun werden sie sich mit Putin an einen Tisch setzen.
(Mit Material der dpa)