Jeder Verbündete zählt. Das denkt sich wohl Russland, das seit seinem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen die Ukraine weitgehend isoliert ist. Als Staatsgast ist der russische Präsident Wladimir Putin in vielen Ländern nicht mehr willkommen. Im Gegenteil: Die meisten müssten ihn auf der Stelle festnehmen.
Im März sprach der Internationale Strafgerichtshof einen Haftbefehl gegen Wladimir Putin aus. Grund: Seine mutmaßliche Mitverantwortung für die Deportation ukrainischer Kinder aus besetzten Gebieten nach Russland. Die Mitgliedsstaaten des Internationalen Strafgerichtshofes sind damit verpflichtet, Putin festzunehmen.
Das führt Südafrika in ein "wahres Dilemma", sagt Gregor Jaecke auf watson-Anfrage. Als Leiter des südafrikanischen Auslandsbüros der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung erklärt er, warum das Land die Nähe zu Russland sucht und sich damit die Finger verbrennen könnte.
Fakt ist: Südafrika ist Mitunterzeichner des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs. Sollte sich Putin dazu entscheiden, südafrikanischen Boden zu betreten, müsste er direkt vor Ort verhaftet werden. Und solch ein Szenario steht unmittelbar bevor.
Im August findet der Wirtschaftsgipfel der BRICS-Staaten in der südafrikanischen Küstenstadt Durban statt. Laut Jaecke bringt das Südafrika in die Klemme – das Land könnte wohl sogar in eine "Verfassungskrise" stürzen.
So gilt eine Verhaftung des russischen Präsidenten auf südafrikanischen Boden laut des Experten als nahezu ausgeschlossen. Denn: Der Kreml pflegt eine gute Beziehung zum Afrikanischen Nationalkongress (ANC). Der ANC gilt als die Partei des südafrikanischen Freiheitskämpfers Nelson Mandela.
Allgemein wächst Putins Einfluss in Afrika – ob in Mali, Burkina Faso und eben an der Südspitze des afrikanischen Kontinents, in Südafrika. Dabei festigt sich zunehmend eine prorussische Haltung. Im Fall Südafrika ist diese laut Jaecke teils historisch bedingt.
Die südafrikanische Außenpolitik sei stark ideologisch geprägt, erklärt der Experte. Dabei spielen vor allem die noch immer engen Verbindungen zur ehemaligen UdSSR eine Rolle – begründet in der damaligen Unterstützung von Anti-Apartheid-Aktivist:innen. Als Randnotiz dazu, ergänzt Jaecke:
Weiter erklärt Jaecke: Politische Beobachtende sollen zudem darüber spekulieren, inwieweit hohe Parteispenden eines kremlnahen russischen Oligarchen an den ANC die Positionierung der Regierungspartei bezüglich des Krieges in der Ukraine beeinflussen.
Laut Jaecke gibt es viele Punkte, die aufzeigen: Die ANC-Regierung verfolgt eine anti-westliche und russlandfreundliche Politik. Dazu nennt er vier Beispiele:
Laut Jaecke bringt Südafrika demnach mehr Verständnis für die russische Seite als für die ukrainische auf. Wer der Angreifer in diesem Krieg sei, werde dabei ausgeblendet. Er sagt:
Die offizielle Positionierung der südafrikanischen Regierung sei eine Politik der Neutralität, erklärt der Experte. Bedeutet: Man unterstützt Russland offiziell nicht, sondern befürwortet eine friedliche Beilegung des Krieges durch Vermittlung und Verhandlung.
Dabei müsse man berücksichtigen, dass die südafrikanische Regierung in diesem Zusammenhang nicht auf die territoriale Integrität der Ukraine oder gar die Beachtung des Völkerrechts verweist. Zudem ist laut Jaecke bisher kein nennenswerter Vermittlungsversuch seitens Pretorias erfolgt. Obwohl stets betont werde, dass man eine Vermittlerrolle übernehmen wolle.
Doch diesen Worten folgen wohl nun widersprüchliche Taten: Laut "Spiegel" hatte der US-Botschafter Reuben Brigety Südafrika vorgeworfen, Russland Waffen und Munition für den Krieg in der Ukraine geliefert zu haben.
Die USA seien sich demnach "sicher", dass Anfang Dezember an einem Marinestützpunkt in der Nähe von Kapstadt Waffen und Munition auf einen russischen Frachter geladen worden seien. "Diesen schwerwiegenden Verdacht hat die südafrikanische Regierung zurückgewiesen und eine unabhängige Untersuchung angekündigt", erklärt Jaecke.
Den Angreifer mit Waffen zu beliefern, würde die bereits bestehende Kluft zwischen dem Westen und Südafrika weiter vertiefen. Laut des Experten besteht allerdings auch die Möglichkeit, dass die angebliche Waffenlieferung an Russland ohne offizielles Wissen der südafrikanischen Regierung stattgefunden hat. Und das, wohl bemerkt, an einem Militärhafen.
"Sollte sich dieses Szenario bewahrheiten, wäre das ein besorgniserregender Beleg für den fortschreitenden Kontrollverlust der südafrikanischen Regierung über sensible Bereiche ihres Machtmonopols", meint Jaecke.
Mittlerweile hat sich US-Botschafter Brigety bei der Regierung Südafrikas für seinen Vorwurf entschuldigt. Dennoch: Der Westen will offenbar Druck auf das Land ausüben. "Damit soll das Ziel verfolgt werden, die Regierung dazu zu bewegen, wieder einen Kurs der 'wirklichen Neutralität' einzuschlagen und von Moskau abzurücken", meint Jaecke.
Und wie kommt Südafrika nun aus dem Dilemma heraus, wenn Putin das Land zum BRICS-Gipfel im August besuchen will?
Laut Jaecke könnte Südafrika vorher aus dem Statut des Strafgerichtshofs austreten. Dies wurde laut ihm sogar seitens des ANC öffentlich mitgeteilt, kurze Zeit später aber als "Kommunikationsfehler" deklariert und zurückgezogen.
Rechtlich würde der Austritt erst mit einer Frist von zwölf Monaten greifen, erklärt Jaecke. Bis zum Gipfel im August müsste also eine andere Lösung her. Und die könnte "digital" heißen. Demnach habe Südafrika die Option, die gesamte Veranstaltung einfach online stattfinden zu lassen.
"Denkbar wäre natürlich auch, dass nur Putin online dazu geschaltet wird", meint Jaecke. Aber ob ihm das gefallen würde, ist eine andere Frage.