Ein russischer Soldat überprüft einen Panzer in der zu dieser Zeit von Russland besetzten Region Charkiw. Bild: imago images / SNA
Analyse
Artillerie, Drohnen, Raketen, Maschinengewehre, Clusterbomben, Panzer – der Einsatz von Waffensystemen im Krieg in der Ukraine ist divers. Tag für Tag verpulvern russische Streitkräfte Millionen Euro, um in ihrem Angriffskrieg die Stellungen zu halten oder Landgewinne zu machen.
Häufig kommt vor diesem Hintergrund die Frage auf: Woher kommen diese Waffen und Munition?
Neu: dein Watson-Update
Jetzt nur auf Instagram: dein watson-Update!
Hier findest du unseren
Broadcast-Channel, in dem wir dich mit den watson-Highlights versorgen. Und zwar nur einmal pro Tag – kein Spam und kein Blabla, versprochen! Probiert es jetzt aus. Und folgt uns natürlich gerne
hier auch auf Instagram.
Schon vor der Invasion wurde Russland Stück für Stück sanktioniert. Seit dem 24. Februar 2022 gilt das Land weitgehend als isoliert: Die meisten Länder haben wirtschaftliche Beziehungen komplett eingestellt. Das gilt auch für den Handel mit Waffen.
Dennoch wirkt es, als würde Russland das Pulver nicht ausgehen. Wer versorgt den Kriegstreiber also?
Eine Spurensuche zeigt: Unter dem Deckmantel von kommerziellen Lieferketten werden weiterhin Unmengen an Kriegsmaterialien nach Russland verschifft.
Russland
Russland gehörte bis vor seinem Angriffskrieg – und auch kurz nach Beginn – zu den Top-Waffenexporteuren weltweit. In Teilen habe das Land sogar den Westen überholt, erklärte der Militärexperte und Oberst a. D. Ralph Thiele im Dezember in einem Gespräch mit dem Portal "web.de".
Jetzt, sagt er auf watson-Anfrage, hat sich das wohl gewandelt. "Russland exportiert nicht mehr so viel – außer nach Afrika, wo die Wagner-Söldner noch immer sehr aktiv sind." Ansonsten hat das Land auf Kriegswirtschaft umgestellt. Heißt: Viele kommerzielle Hersteller beliefern jetzt die Waffenindustrie.
"Russland kann bis zu 40 Kampfpanzer im Monat herstellen", meint Thiele. Und: "Rechnet man Upgrades älterer Baumuster mit ein, sogar das Doppelte. Da liegt der Westen, selbst mit den USA, weit hintendran"
Zusätzlich dazu geht der Verteidigungsnachrichtendienst "Janes" davon aus, dass Russland Waffen wie Artillerie bereits seit Jahrzehnten hortet. Das Land hat sich nie zum Abrüsten verpflichtet und konnte so ungestört über Dekaden hinweg Kriegsgerät herstellen und lagern.
In der ukrainischen Hauptstadt Kiew werden zerstörte russische Panzer ausgestellt.Bild: imago images / ZUMA Wire
Dennoch braucht das Land viele Komponenten auch aus dem Ausland, um Waffen herstellen zu können. Dazu zählen etwa Mikrochips. Früher, erklärt Thiele, seien knapp zweidrittel der Chips für Hightech-Waffen aus den USA, aus Japan, Südkorea, aber eben auch aus Frankreich und Deutschland gekommen. Woher sie jetzt kommen, ist nicht eindeutig geklärt. Sicher ist allerdings: Auch Lieferungen aus der Vergangenheit helfen dem Land noch heute beim Waffenbau.
Trotzdem dürfte auch die auf Krieg ausgerichtete Industrie so schnell nicht hinterherkommen. Schließlich hat Russland in den vergangenen 16 Monaten Unmengen an Kriegsgerät im Kampf verloren.
Nordkorea
Die Diktatur unter dem Machthaber und Obersten Führer Kim Jong-un hat einen großen Bestand an Artillerie-Geschossen und auch Raketen. Dass das Land an Russland liefert, gilt als gesichert.
Das würde auch erklären, warum der Krieg anmutet, wie der Erste oder Zweite Weltkrieg. Dass sich die meisten Angriffe in Frontnähe auf Artillerie beschränken, hat auch viele Expert:innen überrascht. Das hatte etwa auch der KI-Experte Frank Sauer in einem Interview mit watson erläutert.
Ein Bericht der Vereinten Nationen deutet zudem darauf hin, dass die beiden Länder ihre Zusammenarbeit deutlich vertiefen. So liefert Russland Erdöl – Nordkorea antwortet mit Waffen. Vor allem an die Wagner-Gruppe habe der Staat im November 2022 Flugkörper und Raketen geliefert, wie die Nachrichtenagentur Reuters berichtet. Da die Wagner-Gruppe nicht mehr in der Ukraine aktiv ist, wird sich dieser Handel vermutlich auf das russische Militär ausweiten.
Zudem wird vermutet, dass Nordkorea Russland mit Munition versorgt. Etwa für Langwaffen. Nordkoreanische Langwaffen arbeiten mit den gleichen Kalibern wie die russische Kalaschnikow.
Iran
Bereits im September hat die Ukraine die erste iranische Drohne abgeschossen. Seither hatte Russland auch seine Drohnenangriffe immer weiter verstärkt. Iran hatte zunächst abgestritten, seine Mohajer-6 und Shahed-136 an Russland zu liefern, doch die Untersuchungen verschiedener Behörden zeichnen ein ganz anderes Bild.
Ukrainische Sicherheitskräfte untersuchen regelmäßig die Teile von abgeschossenen Drohnen oder auch jenen, die bereits Zerstörung und Verwüstung angerichtet haben. Dabei wird deutlich, dass es sich um iranisches Kriegsgerät handelt. Auch die Geheimdienste der USA und Großbritannien sehen Zeichen für Waffenhandel zwischen den beiden Staaten.
Eine iranische Shahed-136 am Himmel über Kiew.Bild: AP / Efrem Lukatsky
Der Handel findet vor allem unter dem Deckmantel von Konsumgüterlieferungen statt, wie der Informationsdienst Lloyd's List Intelligence vermutet. Gleichzeitig verschwinden Schiffe urplötzlich vom Radar – und das, erklärt das Unternehmen in seiner Analyse, seit Sommer 2022 vermehrt.
"Der Seehandel zwischen dem Iran und Russland über das Kaspische Meer, eine mutmaßliche Route für Waffentransporte, nimmt zu", schreibt der Informationsdienst. Jene Schiffe, die diesen Handel betreiben, tun dies routinemäßig mit ausgeschalteten Signalen des automatischen Identifikationssystems, das zeigen die Daten von Lloyd's List Intelligence. Einen deutlichen Anstieg der Lieferungen hat es demnach im Juli 2022 gegeben.
Türkei
Vermutet wurde und wird noch immer, dass auch türkische Hersteller Drohnen nach Russland bringen. Diese dementieren etwaige Gerüchte allerdings vehement.
"Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan hat sich hier eine gute Position erarbeitet", sagt Thiele. "Er liefert offenbar zwar selbst keine Waffen, aber durch das korrupte System, das er aufgebaut hat, können auch in der Türkei und auf hoher See Lieferschiffe umgepackt werden."
Heißt: Waffen, die etwa von Syrien aus oder auch vom Iran heimlich über den Bosporus ins Schwarze Meer bis nach Russland gelangen, werden gezielt in der Türkei umgeladen.
China
"China will nicht offiziell Waffen liefern, aber es hilft Russland mit Dual-Use-Komponenten aus", erklärt Thiele. Mit Dual-Use-Komponenten meint der Experte vor allem Chips, die für viele elektronische Geräte genutzt werden – aber eben auch für Hightech-Waffen. Doch auch konventionelle Drohnen gehören dazu – Fluggeräte, die auch jeder Privathaushalt für sich kaufen kann. "Der Großteil der Drohnen, die gebaut werden, sind ja für die private Nutzung gedacht", sagt Thiele.
Diese können dann etwa für die Aufklärung genutzt, aber auch gleichzeitig mit Munition versehen werden.
Das deckt sich mit Aussagen der ukrainischen Behörden, die seit einigen Monaten vermehrt chinesische Bauteile in russischen Geschossen finden.
Indien
Grundsätzlich, meint Militärexperte Thiele, muss man zudem davon ausgehen, dass korrupte Staaten Wege finden, um mit Russland Waffenhandel zu treiben. Selbst, wenn dafür geschmuggelt werden muss. "Viele Staaten, darunter gehören auch China und Indien, sind mit der westlichen Weltordnung unzufrieden, da sie den Westen wirtschaftlich und machtpolitisch bevorteilt und wollen es dem Westen schwermachen", erklärt er.
Dies zeige sich dann eben auch darin, dass weiterhin kommerzieller Handel mit Russland betrieben wird und damit Dual-Use-Komponenten in den Waffensystemen auftauchen.
Andere Staaten
Zu jenen "korrupten" Staaten, die Thiele aufzählt, gehören auch etwa Brasilien oder verschiedene afrikanische oder asiatische Staaten, die den Krieg in der Ukraine per se nicht unterstützen, aber Russland im Zwist mit dem Westen beistehen.
Zwischenzeitlich wurde Südafrika von den USA beschuldigt, Waffen nach Russland zu exportieren, doch daran glaubt Thiele nicht wirklich. Zumindest nicht an einen staatlichen Auftrag. "Doch klar ist, dass Südafrika ein Russland-Sympathisant ist."
Der Westen
Apropos Südafrika: Westliche Unternehmen, meint Thiele, würden auch in Südafrika unter anderem Namen Komponenten herstellen, die Russland letztendlich für seine Waffensysteme nutzen kann.