Vielen Menschen gaben diese Bilder Hoffnung: In russischen Städten wie St. Petersburg bildeten sich lange Schlangen von Personen, die für Boris Nadeschdin unterschreiben wollten. Dadurch sollte der russische Politiker zum Antritt bei den Präsidentschaftswahlen im März gegen Amtsinhaber Wladimir Putin befähigt werden.
Nadeschdin wäre der einzige Kandidat gewesen, der den Krieg gegen die Ukraine offen ablehnt. Tatsächlich erreichten er und seine Unterstützer:innen sogar mehr als die geforderte Menge an Unterschriften. Diese reichte er am 31. Januar bei der Zentralen Wahlkommission ein.
Wenig überraschend stimmte die Kommission nun gegen die Nominierung des Politikers, wie er zunächst selbst über seinen Telegram-Kanal mitteilte. Die Begründung: 15 Prozent der Unterschriften seien wegen Unstimmigkeiten ungültig. Etwa, weil diese angeblich von bereits verstorbenen Bürger:innen stammten oder durch andere Personen gesetzt worden seien. Bis zu fünf Prozent an fehlerhaften Unterschriften sind laut Gesetz erlaubt.
Nadeschdin wird also nicht an den Präsidentschaftswahlen teilnehmen dürfen. Eine Gefahr für Putin stellte der Politiker ohnehin nie dar, wie der Russland-Experte bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), Stefan Meister, gegenüber watson klarstellt. Vielmehr sei das Nadeschdin-Vorhaben ein Experiment des Kremls gewesen. Das russische Regime hat seiner Einschätzung nach ein klares Ziel verfolgt.
Boris Nadeschdin veröffentlichte am Donnerstag ein Statement zur verhinderten Kandidatur. Auf Telegram schrieb der Politiker:
Nadeschdin hatte vor wenigen Tagen gut 105.000 Unterschriften eingereicht, gesammelt hatte er doppelt so viele. Er kündigte nun an, gegen die Entscheidung der Zentralen Wahlkommission Berufung beim Obersten Gerichtshof der Russischen Föderation einzulegen.
Später wurde laut des russischen Exilmediums "Meduza" bekannt, dass Nadeschdins Post auf Telegram bereits vor der Abstimmung in der Zentralen Wahlkommission über die Nominierung veröffentlicht worden war.
Dass Nadeschdin überhaupt für die Unterschriftensammlung zugelassen worden war, bezeichnet der Russland-Experte Stefan Meister als "Testballon". Er ist Leiter des Zentrums für Ordnung und Governance in Osteuropa, Russland und Zentralasien und glaubt, dass der Kreml damit die Stimmung in der Gesellschaft auszuloten versuchte. Die Unterschriftensammlung fungierte ihm zufolge als Ventil für diejenigen in der russischen Gesellschaft, die gegen den Krieg sind. Meister sagt:
Die Zentrale Wahlkomission sei ein Instrument des Kremls, um Kandidat:innen zu verbieten, die Putin und das Russland-Regime nicht zulassen will. Die Entscheidung gegen Nadeschdin sei also erwartbar gewesen.
Eine Gefahr sah man in dem Politiker in Russland ohnehin nie, wie der Experte einschätzt. "Er ist ein Projekt des Kremls, ehemals die rechte Hand von Kirienko (Anm. d. Red.: Sergei Wladilenowitsch Kirienko), der im Kreml die Wahlkampagne verantwortet." Mehr als 10 Prozent bei der Wahl hätte man dem liberalen Politiker Nadeschdin nach Meinung von Meister "niemals erlaubt".
Ohnehin steht Putin als neuer Präsident bereits fest, wie der Russland-Experte verdeutlicht:
Dennoch: Die Unterschriftensammlung und die hohe Beteiligung hat dem Kreml laut Meister gezeigt, dass es einen beträchtlichen "Teil in der Bevölkerung gibt, der gegen den Krieg ist, aber keinen Raum hat, um das zu artikulieren".
Konsequenzen habe Nadeschdin keine zu befürchten. Wohl aber möglicherweise diejenigen, die ihre Unterschrift für den vermeintlichen Anti-Kriegs-Hoffnungsträger gesetzt haben. Man werde in Russland diese Personen und ihre Daten sowie Adressen genau unter die Lupe nehmen, sagt Meister: "Sie könnten Opfer von Repression werden."