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Interview

Chinas Kehrtwende in der Null-Covid-Politik und was sie für uns bedeutet

28.11.2022, Hongkong: Demonstranten halten w
Proteste wegen der Null-Covid-Politik: Im ganzen Land demonstrierten die Menschen, wie hier am 28. November in Hongkong.Bild: AP / Kanis Leung
Interview

China macht Kehrtwende in der Null-Covid-Politik – Experte sagt, was das für uns bedeutet

Nach Protesten über die Null-Covid-Politik hat Chinas Regierung am Mittwoch beschlossen, die Corona-Maßnahmen zu lockern. Für den China-Experten Yufan Jiang ist klar, dass die Bevölkerung und die Wirtschaft stark gelitten haben. Auch in Europa sollen die Lockerungen bald spürbar sein.
10.12.2022, 08:24
Kilian Marti / watson.ch
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China hat am Mittwoch eine Kehrtwende in der jahrelangen Null-Covid-Politik gemacht – nach Demonstrationen im Land. Hat die Regierung dem Druck der Bevölkerung nachgegeben?

Yufan Jiang: Ich würde sagen, man kann es als Sinneswandel in der Parteiführung betrachten. Für diesen gab es zwei Gründe.

Welche?

Nach dem Brand in Ürümqi regte sich in China viel Unmut über die strikten Corona-Maßnahmen. Darauf folgten die im Land seltenen Protestaktionen in mehreren Städten. Zum anderen ist die Finanzsituation in vielen Regionen so prekär, dass man langsam kein Geld mehr hat für die Aufrechterhaltung der bisherigen Covid-Politik.

Kritiker sagen, Präsident Xi Jinping wartete mit einer Anpassung bis zum Parteitag, wo er in seiner dritten Amtszeit bestätigt wurde.

Klar ist einzig: Zuvor wurden keine anderen Maßnahmen beschlossen. Erst aufgrund der zuvor genannten zwei Gründen sah sich der neu bestätigte Parteichef gezwungen, die Null-Covid-Politik zu lockern.

China-Experte an der FHNW: Yufan Jiang.
China-Experte an der Fachhochschule Nordwestschweiz: Yufan JiangBild: zvg
Zur Person
Dr. Yufan Jiang (66), ist in China geboren und aufgewachsen und studierte danach in Deutschland. Nachdem er jahrelang als Entwicklungsingenieur in der Schweiz gearbeitet hat, ist er nun seit 2011 bei der Fachhochschule Nordwestschweiz. Dort leitet er die Executive Programmes des China Centre.

Die Bevölkerung kritisierte diese Politik vermehrt. Über welche Maßnahmen ärgerten sich die Chinesen am meisten?

Da gibt es einige Beispiele. Die teils monatelangen Lockdowns, in denen die Menschen ihr Zuhause gar nicht oder nur eingeschränkt verlassen durften. Die vielen PCR-Tests für alles Mögliche. Verärgerung machte sich auch breit über die physischen Maßnahmen: Zäune, die gebaut wurden, Notfallausgänge und Feuerwehrzufahrten, die zugesperrt wurden. Nicht zuletzt die Quarantäne für Covid-positive in Regierungseinrichtungen.

"Die Importe sind eingebrochen und auch die Exporte zeigen einen klaren Abschwung."

Was ändert sich nun für die Chinesen?

Die Quarantäne wird erleichtert, sie soll zu Hause möglich sein. Aber auch die Lockdowns werden weniger strikt und begrenzen sich auf Gebäude statt auf ganze Gegenden. Zudem braucht es keine negativen Corona-Tests mehr, wenn man von einer Provinz in eine andere reisen möchte. Doch es gibt auch schon Probleme mit den Lockerungen.

Die wären?

Dass die Lockerungen vielerorts unkoordiniert und chaotisch vorangingen, weil die Lokalmatadoren die Politik der Zentralregierung unterschiedlich interpretieren. Ein anderes Problem ist, dass mit den strickten Covid-Maßnahmen eine Dämonisierung des inzwischen harmlosen Omikron-Virus einherging, dass viel Angst in der Bevölkerung geschürt wurde. Dies gilt jetzt zu korrigieren. Es fehlt also bei der Einführung dieser Lockerungsmaßnahmen gute Koordination. Ich hoffe, dass dies mit der Zeit besser wird.

Lange wurde in China die Meinung verbreitet, besser durch die Pandemie gekommen zu sein als der Westen. Wird das mittlerweile anders betrachtet?

Bevor die Omikron-Variante auftrat, war auch ich der Meinung, dass in China die Kontrollen besser laufen als im Westen. Doch dann hat man bemerkt, dass der Omikron-Virus weniger Auswirkungen auf die Gesundheit hat. Die Regierung hat nicht darauf reagiert, was beim Volk zu viel Unverständnis geführt hat. Vor allem, weil in anderen chinesisch sprechenden Gebieten, wie Hongkong, die Maßnahmen bereits angepasst wurden.

Bis vor Kurzem hielt China an der Nulltoleranzpolitik fest, welche Auswirkungen hatte das auf die Wirtschaft?

Die Importe sind eingebrochen und auch die Exporte zeigen seit diesem Jahr einen klaren Abschwung. Unter anderem, weil die Produktionen im Land heruntergefahren wurden, es viele logistische Probleme gab sowie unterbrochene Lieferketten und blockierte Häfen. Viele Menschen konnten nicht arbeiten gehen. Zudem blieb seit Anfang des Jahres auch der Finanzausgleich von den Küstenregionen an die ländlichen Teile Chinas aus.

"Europäische Unternehmen in China schauen sich nach anderen Standorten um."

Wegen der Maßnahmen?

Ja, denn die finanzstarken Provinzen wurden wirtschaftlich so stark von Maßnahmen getroffen, dass sie sich fast keine Einzahlungen mehr in die Staatskasse leisten können.

Das Geld hat auch an Wert verloren. Der chinesische Yuan fiel 2022 teils auf den niedrigsten Stand seit der Finanzkrise 2008.

Ich bin kein Währungsexperte, würde aber sagen, dass es auch mit der Nulltoleranzpolitik und der angeschlagenen Wirtschaft zusammenhängt. Seit Anbahnen der Lockerungen ist der Yuan schließlich wieder angestiegen.

Der Wirtschaftsstandort China hat unter der eigenen Politik gelitten. Hat das Land dadurch Relevanz verloren, gerade als Produktionsmetropole?

Man hat gesehen, dass europäische Unternehmen, die in China produzieren, sich nach anderen Standorten umschauen. Nicht, um ihre Produktionen zu schließen. Aber es wurden vermehrt neue Investitionsmöglichkeiten in anderen asiatischen Ländern wie dem Vietnam oder Indien gesucht. China ist aber noch immer einer der wichtigsten Wirtschaftsstandorte. Nur dauert es noch etwas, bis sich das Land von der Null-Covid-Politik erholt. Beispielsweise werden viele Apple-Produkte zu Weihnachten wohl noch nicht rechtzeitig nach Europa geliefert.

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Viele große Firmen wie Apple produzieren in China.Bild: CHINATOPIX/AP / Uncredited

Apropos: Wie lange dauert es, bis Chinas neue Covid-Politik im Westen spürbar ist?

Wie schnell sich die Lieferketten wieder erholen, ist auch eine Frage der Logistik und Produktion. Ich kann mir vorstellen, wenn die Zentralregierung jetzt vorwärts machen will, dass es dann schnell geht.

"Die Impfrate ist ziemlich hoch für so ein bevölkerungsreiches Land."

Vorwärts machen müssten sie auch bei den Impfungen. 80 Millionen Chinesen im Alter von über 60 Jahren sind ungenügend geimpft, wie das US-Brokerhaus Jefferies analysierte.

China hat lange auf die Corona-Kontrollen gesetzt, aber die Impfung wurde ernst genommen. Ich persönlich finde, die Impfrate ist ziemlich hoch für so ein bevölkerungsreiches Land, wohlgemerkt mit den eigenen Impfstoffen.

Von einem großen Land zum anderen: Wie ist die Stimmung in China zum Russland-Ukraine-Krieg?

Anfang des Jahres war mehrheitlich eine starke prorussische Stimmung zu spüren bei der Bevölkerung. Aber inzwischen ist man sich nicht mehr sicher. Die Menschen reagieren definitiv zurückhaltend auf das Thema. Für viele ist die Ukraine sehr weit weg.

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Russlands Präsident Wladimir Putin und der chinesische Staatschef Xi Jinping stehen oftmals eng beisammen.Bild: Pool Sputnik Government / Alexei Druzhinin

Dafür ist Taiwan sehr nahe. Was hört man dazu aus China?

Ich glaube nicht, dass es demnächst dringende Anlässe geben würde, die zur Eskalation des Konflikts führen könnte. Daher nimmt die Bevölkerung die Situation sehr gelassen.

Sie sind in China geboren und in Peking zur Schule gegangen. Wie war es, unter der damaligen Regierung aufzuwachsen?

Es war die Zeit der Kulturrevolution. Die Politik war sehr stark kontrolliert und das freie Denken wurde eingeschränkt, Überwachung durch den Staat gehörte zum Alltag. Die Wirtschaft wurde bis an den Rand des Ruins gebracht. Wenn ich an meine Kindheit in China denke, werde ich nostalgisch, aber diese Zeit war nicht beneidenswert. Erst mit der Reform und Öffnung hat sich China zum heutigen Wohlstand entwickeln können.

Würden Sie wieder in China leben?

Das Land ist schön, zum Leben und Wohnen. Ich sage nicht, ich würde nie nach China zurückgehen. Aber ich würde nicht zurück in die damalige Zeit gehen.

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