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Israel-Krieg: Diese Rolle spielen Hass und Erniedrigung im Nahostkonflikt

Palestinians evacuate wounded people following an Israeli airstrike in Bureij refugee camp, Gaza Strip, Thursday, Nov. 2, 2023. (AP Photo/Mohammed Dahman)
Die Situation für die Zivilbevölkerung in Gaza ist seit Kriegsausbruch noch prekärer, als zuvor.Bild: AP / Mohammed Dahman
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"Terrorismus funktioniert hauptsächlich, indem man schockierende Bilder breit streut"

Nicht erst seit dem Terrorangriff der Hamas fluten konfliktgeladene Bilder soziale Medien. Hat der technische Fortschritt die Gewaltspirale zusätzlich befeuert? Ein Interview mit Politikwissenschaftler Oliver Fink darüber, wie Emotionen gewalttätige Handlungstendenzen beeinflussen.
04.11.2023, 15:27
Chantal Stäubli / watson.ch
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Welche Rolle spielt Hass in der jüngsten Eskalation des Nahostkonflikts?

Oliver Fink: Intensive und negativ konnotierte Emotionen wie Verzweiflung, Wut, aber auch Hass spielen eine sehr große Rolle. In diesem aktuellen Gewaltausbruch müssen wir davon ausgehen, dass bedeutende Anteile von Hass vorhanden sind, die den Gegner vernichten wollen, auch wenn das gegebenenfalls sogar die eigene Vernichtung bedeuten kann.

Hat sich der Hass in den letzten Jahren verstärkt?

Zu Hass habe ich da keine belastbaren empirischen Daten über mehrere Jahre. Grundsätzlich hat sich aber in der sich immer weiter polarisierenden und scheinbar ausweglos verschärfenden Situation über die letzten Jahre ein Gefühl von Verzweiflung und Ausweglosigkeit auf beiden Seiten definitiv erhöht.

Oliver Fink
Sozialpsychologe Oliver Fink.Bild: zvg
Zur Person
Oliver Fink ist Politikwissenschaftler und Sozialpsychologe und forscht – finanziert durch ein Projekt des Schweizerischen Nationalfonds (SNF) – am Herbert C. Kelman Institute for Interactive Conflict Transformation. Für das Feldforschungsprojekt lebte er drei Jahre in Jerusalem – direkt an der Grenze zum Westjordanland. Er analysierte die Dynamik von Emotionen und deren Einfluss auf Gewalt, insbesondere im Israel-Palästina-Konflikt. Er sagt: "Ich wollte sowohl die Einschränkungen auf palästinensischer Seite als auch die Furcht und das Misstrauen auf israelischer Seite erleben und verstehen. Nur so konnte ich die Forschungsergebnisse auch richtig einordnen."

Welche Rolle spielt Erniedrigung?

Erniedrigung ist gerade in einem Kontext von Ehre, von deren Wiederherstellung, von Gruppenkulturen eine wichtige Emotion, die – laut unserer Forschungsergebnisse – gerade bei Gewalt-Eskalationen sehr destruktiv sein kann. Einige Analysten sagen sogar, ein Hauptbeweggrund für die aktuelle Situation sei der Versuch, dieses gefühlt allmächtige Israel – insbesondere jemanden, der einen solchen Fokus auf Sicherheit legt, wie der derzeitige Ministerpräsident Benjamin Netanjahu – zu erniedrigen, es dem mal so richtig zu zeigen.

"Terrorismus und die Verbreitung von Hass funktioniert hauptsächlich, indem man möglichst schockierende Bilder breit streut."

Der Konflikt spült Unmengen an Bildern und Videos in soziale Medien. Hat der Hass aufgrund des technischen Fortschritts zugenommen?

Zu sozialen Medien habe ich nicht selbst geforscht. Was wir aber definitiv sagen können, ist, dass der vergleichsweise anonyme und unpersönliche virtuelle Raum auf einer individuellen Ebene viel weniger Rücksichtnahme fordert. Ich kommuniziere Sachen, die ich in einer persönlichen Begegnung mit einem direkten Gegenüber nie so sagen würde. Auf einer Gruppenebene funktioniert Terrorismus und die Verbreitung von Hass hauptsächlich, indem man möglichst schockierende Bilder möglichst breit streut – und da sind die technischen Fortschritte in den letzten Jahren in Bezug auf Reichweite und Unmittelbarkeit enorm.

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Dieses Bild von verwundeten Palästinenserinnen im Al-Shifa-Krankenhaus in Gaza-Stadt ging um die Welt, 17. Oktober 2023.Bild: dpa / Mohammad Abu Elsebah

Viele haben durch Angriffe einen geliebten Menschen verloren. Führt ein solches Erlebnis zu noch mehr Hass und Radikalisierung?

Dies kann durchaus der Fall sein. Daher sind militärische Opferzahlen der Gegenseite als "Erfolgsmeldung" so trügerisch – ich habe vielleicht fünf Kämpfer der Gegenseite vernichtet, aber auch zwei Unbeteiligte, die haben alle Brüder, Cousins, Onkel, Freunde. Übermorgen habe ich es dann vielleicht mit zehn Gewaltbereiten zu tun statt mit den fünf ...

Führen solche Erlebnisse also auch zu mehr Gewaltbereitschaft?

Dies ist wie gesagt definitiv möglich. Andererseits gibt es auch Phänomene wie durch eigenes Leid ausgelösten Altruismus – also, wenn Menschen sich völlig selbstlos für andere Menschen einsetzen, ohne einen eigenen Nutzen davon zu haben. Ein weiteres Phänomen ist posttraumatisches Wachstum. Statt an traumatischen Erfahrungen zu zerbrechen, nehmen Menschen dabei positive psychologische Veränderungen wahr. Dies kommt insbesondere dann vor, wenn die eigene Erfahrung eine Perspektive für allgemeines menschliches Leid anregt – auch das der Gegenseite.

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Gaza-Stadt in Flammen nach israelischen Angriffen.Bild: SOPA Images via ZUMA Press Wire / Ahmed Zakot

Berichten zufolge werden auf beiden Seiten in einigen religiösen Schulen radikale Ideologien und Hass indoktriniert. Wie schwierig ist es, sich später selbst eine eigene Meinung zu bilden? Kann man sich überhaupt von solchen indoktrinierten negativen Gefühle selbst befreien?

Grundsätzlich ist das natürlich schwierig. Es gibt sowohl von unserer Seite im Israel-Palästina-Konflikt als auch in anderen Gewalt-Kontexten, zum Beispiel beim sogenannten "Islamischen Staat" in Syrien oder im militanten Islamismus, Forschung, wie so eine emotionale Deradikalisierung passieren kann. Oft passiert dies initial durch eine emotionale Schlüsselerfahrung, zum Beispiel durch eine unerwartete wertschätzende Begegnung mit der Gegenseite oder schlicht durch Desillusionierung mit dem eigenen gewalttätigen Lebensweg.

Welche Gefühle helfen denn bei einer Deradikalisierung?

Eine Emotion, die dafür grundsätzlich in einem positiven und konstruktiven Sinne wichtig ist, ist Empathie. Also eine Perspektivenübernahme, die Sicht für die Leiderfahrungen des anderen. Laut unserer Forschung entsteht diese wie gesagt oft aus einer Begegnung mit "dem anderen". Diese löst ein Bewusstsein für die Erfahrungen des Leidens des anderen aus. Daraus entsteht dann das Gefühl der Empathie, das Mitleiden und oft eine prosoziale Handlungskomponente. Es bleibt also nicht bei dem Gefühl, sondern es wird auch etwas Konkretes, ein anderer Lebensstil, umgesetzt.

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