Jahrhundert-Spektakel im US-Repräsentantenhaus: Kevin McCarthy wäre gern Sprecher des Hauses, wird aber von Mitgliedern der eigenen Partei blockiert.Bild: AP / Julio Cortez
USA
Carl-Philipp Frank / watson.ch
Was momentan im US-Repräsentantenhaus geschieht, ist ein regelrechtes Jahrhundert-Spektakel: Auch im elften Wahlgang scheitert der republikanische Kandidat Kevin McCarthy an der Wahl zum Sprecher des Hauses. Der Grund dafür hockt in den eigenen Reihen: Rund 20 republikanische Abgeordnete weigern sich, ihm die Stimme zu geben. Wer sind sie, wer führt sie an, was wollen sie?
Scott Perry: Der strategische Kopf
Scott Perry ist Vorsitzender der besonders konservativen Gruppe "Freedom Caucus".Bild: AP / Julio Cortez
Der 60-Jährige aus Pennsylvania ist Vorsitzender des sogenannten "Freedom Caucus". Das ist eine Gruppe von äußerst konservativen Republikanern, die größtenteils aus Anhängern der Tea Party entstanden ist. Donald Trump steht die Gruppe nicht zwingend wohlwollend gegenüber, sie haben viele seiner Vorlagen abgelehnt – sie seien zu wenig radikal.
Irak-Veteran Perry ist hingegen ein enger Gefolgsmann Trumps. Von ihm wird gesagt, er sei daran beteiligt gewesen, Donald Trump das Annullieren der Wahlniederlage 2020 via Justizministerium schmackhaft zu machen, wie die NZZ schreibt. Außerdem verbreitete er die Lüge der gestohlenen Wahl rege.
Aber was motiviert jemanden zum Blockieren des eigenen Parteimitglieds? Vor einigen Tagen verfasste Perry einen Brief an McCarthy mit der Aufforderung, den Platz zu räumen. Wer schon so lange (14 Jahre) zur Parteiführung gehöre, sei längst Teil des Establishments und habe die politische Schlagkraft verloren. McCarthy gebe im politischen Gefecht zu schnell auf; er reize die Druckmöglichkeiten der Republikaner nicht aus. Kurz: zu kompromissbereit, zu wenig radikal. So könne sich nichts ändern im "politischen Sumpf", den man so dringend trockenlegen will.
Chip Roy: Der Changemaker
Chip Roy im Repräsentantenhaus.Bild: AP / Alex Brandon
Auch der 50-jährige Texaner steht politisch am rechten Rand und gehört dem "Freedom Caucus" an. Aber anders als seinem obigen Mitstreiter geht es ihm anscheinend weniger um die Person McCarthy, sondern mehr um den grundsätzlichen Ablauf in Washington, den er ändern möchte. Mit fast schon missionarischem Eifer (was auch sinnvoll ist, er ist schließlich bekennender und gläubiger Christ) sprach er am Dienstag vor dem Haus in einer emotionalen Rede über die Missstände der amerikanischen Demokratie.
So kritisierte er, dass der Kongress Gesetze beschließe, die finanziell absolut über die Latte hinausschießen. So zum Beispiel das gigantische Verordnungspaket vom Dezember mit einem Preisschild von flotten 1,7 Billionen (!) US-Dollar. Es sei nicht einmal Zeit zum Lesen des ganzen Pakets geblieben.
Roy stört sich auch daran, dass zu wenig debattiert wird im Haus und Kompromisse zu schnell geschlossen werden.
Paul Gosar: Das Enfant Terrible
Paul Gosar bezeichnet jene, die am 6. Januar das Kapitol stürmten, als friedliche Demonstrierende.Bild: AP / Alex Brandon
Der Name des 64-Jährigen aus Arizona dürfte einigen noch von der "Anime-Affäre" um Alexandria Occasio-Cortez und Joe Biden bekannt sein. Gosar hatte sich in einem Wahlkampfvideo als Protagonisten der Serie "Attack on Titan" inszeniert, der die beiden Titanen Occasio und Biden tötet. Geschmacklos, aber Hauptsache provozierend. Er wurde vom Repräsentantenhaus für die Aktion mächtig gescholten und aus den Ausschüssen, in denen er einen Sitz hatte, geworfen.
Solche Provokationen sind Sinnbild Gosars. Er leugnet den Klimawandel, bezeichnet die Präsidentschaftswahl 2020 als gefälscht und findet, dass die Personen, die am berüchtigten 6. Januar das Kapitol stürmten, "freundliche Patrioten" seien. Der Zahnchirurg wirft mit Unwahrheiten und Falschaussagen dermassen um sich, dass ihm sogar Parteikollegen diese nicht mehr abnehmen.
Lauren Boebert: Die Bewaffnete
Lauren Boebert ist eine Fürsprecherin der US-amerikanischen Waffenlobby.Bild: AP / Andrew Harnik
Ihre erste Amtshandlung in der republikanischen Mehrheit im Repräsentantenhaus: Sie ließ die Metalldetektoren, die nach dem 6. Januar auf der Sitzungsebene des Kapitols aufgestellt wurden, wieder entfernen. Da ist es nicht verwunderlich, dass die 36-Jährige aus Colorado eine Fürsprecherin der Waffenlobby ist.
Sie besaß sogar ein Restaurant, in dem die Servicemitarbeiter bewaffnet sind. Zudem ist sie Sympathisantin der Verschwörungstheoretiker-Gruppe QAnon. Zu ihrer Blockade im Haus sagte sie gegenüber Sean Hannity, dem konservativen politischen Sprecher von "Fox News": "Ich habe kein Problem damit [mit der Blockade]. So verprassen wir kein Steuergeld, wir schicken kein Geld an die Ukraine." Die massiven Ausgaben im Rahmen des Ukraine-Kriegs sind dem Freedom Caucus schon länger ein Dorn im Auge.
Sie verlangt von Ex-Präsident Trump (der McCarthy unterstützt, wenn auch erstaunlich lustlos), dass er ihm sagen soll, seine Kandidatur zurückzuziehen, da er ohnehin nicht auf seine 218 Stimmen komme. Als Fox-Moderator Hannity sie darauf anspricht, dass ihre Gruppe selber nur auf 20 Stimmen komme und sich darum, ihrer Logik nach, auch zurückziehen müsse, weicht sie aus und lächelt.
Matt Gaetz: Der Hitzkopf
Matt Gaetz im Repräsentantenhaus.Bild: AP / Alex Brandon
Er gilt als Hitzkopf und ist tatsächlich sehr laut, sehr extrem und provokativ. Auch er war Corona-Maßnahmengegner und findet, dass jedermann sein Heim mit Waffengewalt verteidigen darf.
Der 40-Jährige aus Florida hat sich mit einem Satz zum McCarthy-Debakel in sämtliche US-Medien gebracht: "Wenn man den Sumpf trockenlegen will, darf man nicht den größten Alligator zum Chef der Übung machen."
Auch er bezieht sich auf das konservative Narrativ, dass Washington ein politischer Sumpf von Korruption und Fäulnis sei, den es zu entwässern gilt. Dass er McCarthy als größten Alligator bezeichnet, kann man so deuten, dass Gaetz ihn für korrupt hält. Gaetz selber hat aber, wie die "Zeit" schreibt, noch eine andere Motivation zur Blockade: Er hat anscheinend ein Auge auf den Sitz des Unterausschusses, der über das Verteidigungsbudget bestimmt, geworfen. Auch Gaetz will die Unterstützung für die Ukraine beenden. Mit der Blockade soll McCarthy zu Zugeständnissen wie ebendiesem Sitz erpresst werden.
Nach bald drei Jahren hat die Ukraine kaum noch Optionen, um den Krieg gegen Aggressor Russland militärisch zu gewinnen. Besiegt ist das geschundene Land deswegen aber nicht.
Am Dienstag ist es 1000 Tage her, seit der russische Autokrat Wladimir Putin den Befehl zur Invasion der Ukraine gab. Nun beginnt der dritte Kriegswinter. Er droht in der Ukraine "besonders kalt und dunkel zu werden", so der österreichische "Standard". Denn russische Luftschläge haben die Energieversorgung hart getroffen, zuletzt am Wochenende.