Der russische Präsident Wladimir Putin Bild: www.imago-images.de / imago images
International
15.09.2022, 10:0415.09.2022, 10:18
Entgegen vieler Erwartungen konnte die Ukraine in den vergangenen Tagen immer mehr Geländegewinne im Osten des Landes erzielen. Für Russland und Putin bedeutet das vor allem: Niederlagen. Tote. Verwundete.
In Russland selbst wird im Normalfall nicht darüber gesprochen. Der Angriffskrieg wird dort noch immer als Spezialoperation bezeichnet. Die Gesamtzahl getöteter russischer Soldaten wird nicht veröffentlicht. Zumindest nicht die aktuelle. Propaganda im Sinne des Kremls, im Sinne Putins – in Russland etwas ganz Normales.
Doch irgendetwas ändert sich offenbar in dem Land.
Der Reporter Alexander Sladkov spricht im Fernsehen über die ukrainische Gegenoffensive. Bild: Screenshot / Rossiya 1 TV
Sei es Absicht – wie etwa die Petition russischer Lokalpolitiker:innen, die wollen, dass Putin zurücktritt – oder eben ein Ausrutscher.
Letzterer ist dem russischen TV-Reporter Alexander Sladkov passiert – und das dürfte der russische Präsident nicht gerade erfreulich finden.
Der Reporter verplapperte sich. Wie unangenehm ihm das ist, lässt sich zweifellos an seinem Gesicht ablesen.
Niederlage wird in Russland als "Umgruppierung" verkauft
Sladkov hat in einer Nachrichtensendung von Rossiya 1 TV versehentlich über das Ausmaß der russischen Verluste nach der ukrainischen Gegenoffensive gesprochen.
Zur Erinnerung: Bei einem überraschenden Gegenangriff hat die Ukraine mehr als 30 russisch besetzte Ortschaften in der Region Charkiw und im Donbass zurückerobert. Russische Soldaten flohen aus den Gebieten und ließen sogar Waffen und schweres Gerät zurück.
Eine peinliche Niederlage für den russischen Präsidenten.
Dmitri Peskow ist der Sprecher des Kremls. Er warnte kürzlich auf subtile Weise vor Kritik.Bild: dpa / Alexei Nikolsky
Doch in Russland wird diese Niederlage eigentlich anders verkauft: Moskau hat diesen Truppenabzug als "Umgruppierung" bezeichnet. Aus dem Kreml hieß es, man wolle sich auf die Regionen Luhansk und Donezk konzentrieren.
Kritik am Vorgehen der russischen Regierung könnte indes gefährlich werden. Das machte der Kreml-Sprecher Dmitri Peskow kürzlich bei einer Pressekonferenz noch einmal deutlich:
"Was andere Standpunkte, kritische Standpunkte anbelangt, so ist dies Pluralismus – solange sie sich im Rahmen der Gesetze bewegen. Aber es ist ein sehr, sehr schmaler Grat, man muss hier sehr vorsichtig sein."
Kritik war es nicht, die der TV-Reporter Sladkov äußerte. Im russischen Fernsehern sprach er über die ukrainische Gegenoffensive. Dabei erwähnte er aus Versehen, dass "eine große Anzahl von Menschen" auf russischer Seite gestorben sei. Dann stockte er plötzlich. Ein "ähm" war zu hören. Und der Reporter korrigierte sich. Plötzlich sprach er von "großen Erfolgen".
Im Wortlaut sagte Sladkov folgendes:
"Die Menschen hier (im Donbass, Anm. d. Red.) warten darauf, dass wir loslegen. Dass wir sie so hart treffen, dass sie auf dem Hintern landen. Das heißt, ein Knockout. Es ist sehr schwierig, nach Punkten zu gewinnen. Wir verlieren eine große Zahl von Menschen, wir haben Verwundete. Wir haben ... (hmmmm) ... große Erfolge. Wir haben große Erfolge, aber wir sind nicht ... (Stille) ... Nun, jetzt haben wir die Langstreckenluftfahrt eingesetzt."
Den russischen Präsidenten Wladimir Putin dürfte ein solcher Ausrutscher wütend machen. Der Sender – auch wenn er kein Staatssender ist – erreicht ein Millionenpublikum.
Boris Pistorius (SPD) ist seit Januar 2023 Bundesverteidigungsminister unter Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). Er gilt als einer der beliebtesten Politiker Deutschlands.