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"Manifest für Frieden": Gregor Gysi teilt bereits widerlegte Falschnachrichten

ARCHIV - 23.02.2022, Berlin: Gregor Gysi (Die Linke), Bundestagsabgeordneter, blickt am Rande einer Ausschusssitzung im Paul-Löbe-Haus in die Kamera des Fotografen. (zu dpa «Gysi hält sich mit Schwimm ...
Gregor Gysi gehört zu den Unterzeichner:innen von Sahra Wagenknechts offenem Brief.Bild: dpa / Kay Nietfeld
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"Manifest für Frieden": Gregor Gysi teilt längst widerlegte Falschnachrichten

19.02.2023, 16:37
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Auf den Aufruf folgte Empörung: Nachdem die Linkenpolitikerin Sahra Wagenknecht und die umstrittene Verlegerin Alice Schwarzer wieder einmal einen offenen Brief geschrieben hatten, hagelte es heftigste Kritik. Die Liste der Erstunterzeichner:innen dieses Briefes ist dabei nicht weniger brisant.

Dazu gehören etwa Martin Sonneborn, Chef der Satire-Partei Die Partei, oder auch die frühere Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Margot Käßmann, der CSU-Politiker Peter Gauweiler, die Grünen-Politikerin Antje Vollmer und der Sänger Reinhard Mey.

Auch der Linkenpolitiker Gregor Gysi unterschrieb diesen Brief. Dafür wurde auch er stark in die Mangel genommen. Noch am Tag der Veröffentlichung des "Manifests für Frieden" sagte Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) in Berlin: "All denjenigen, die sagen, Waffen müssen nur schweigen, weil dann haben wir Frieden, möchte ich sagen: Was ist das für ein Frieden, wenn man unter russischer Besatzung leben muss, jeden Tag die Sorge hat, dass man kaltblütig ermordet, vergewaltigt oder als Kind sogar verschleppt wird?"

Auch der Journalist Georg Restle stieg in die Kritik mit ein.

Er drückte in einem Tweet seine Enttäuschung aus. "Zu welchem Frieden sollen diese Verhandlungen am Ende führen? Welche Art von Kompromiss soll’s denn bitte sein mit einem Aggressor, der offensichtlich zu keinem Kompromiss bereit ist? Und von Anfang an die Zerstörung der kulturellen Identität der Ukraine als Kriegsziel ausrief?", fragte er auf Twitter.

Und Gysi reagierte.

In einem dreizehnteiligen Thread schreibt Gysi auf Twitter, warum er der Meinung ist, westliche Waffenlieferungen an die Ukraine sollten sofort gestoppt werden. Das ist die Quintessenz aus dem offenen Brief Wagenknechts.

Tatsächlich reproduziert Gysi in seinem Tweet Falschmeldungen, die auch bereits von verschiedenen Journalist:innen in mehreren Faktenchecks widerlegt wurden.

Gysi steigt allerdings auch direkt mit einer Behauptung ein, deren Inhalt doch mehr als fraglich ist. Er schreibt: "Inzwischen hat er (Putin, Anm. d. Red.) aber begriffen, dass eine Auslöschung des Staates Ukraine und eine Vernichtung der ukrainischen Identität ausgeschlossen sind." Dass Putin in irgendeiner Hinsicht seine Meinung oder sein Kriegsziel geändert hat, ist in keinster Weise belegt. In keinem Interview, in keiner Fernsehansprache geht der russische Präsident darauf ein.

Die Frage, woher Gysi diese angebliche Information hat, bleibt unbeantwortet.

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In dem Thread behauptet der Linkenpolitiker zudem, dass der Westen einen Waffenstillstand vorsätzlich blockiert habe. Gysi schreibt:

"Es wäre sehr schnell nach Kriegsbeginn zu einem Waffenstillstand gekommen, dem sowohl Putin als auch Selenskyj zugestimmt hatten. Ich frage Sie, mit welchem Recht US-Präsident Biden und der damalige Premierminister von Großbritannien Johnson diese Übereinkunft nicht akzeptierten?"

Eine solche Behauptung hatten Wagenknecht und die linke Außenpolitikerin Sevim Dağdelen kurz nach Kriegsbeginn getroffen. Allerdings haben Faktenchecks des ZDF etwas anderes ergeben.

Wahr ist demnach: Es gab bei den Verhandlungen zwischen der Ukraine und Russland im März 2022 Annäherungen. Laut ZDF machte die Ukraine das Angebot, gegen Sicherheitsgarantien einen neutralen Status zu akzeptieren. Das Angebot Russlands hingegen war, seine Truppen etwa um Kiew zu verringern und sich militärisch auf den Donbass zu konzentrieren.

Es soll sogar schon einen Entwurf zu einem Abkommen über einen Waffenstillstand gegeben haben. Das berichtete damals die "Financial Times". Der Artikel, der am 28. März veröffentlicht wurde, beinhaltet aber auch die Zweifel, die die Ukraine an diesen Zugeständnissen hegte.

"Die Ukraine und ihre westlichen Unterstützer blieben jedoch skeptisch gegenüber Putins Absichten und befürchteten, dass der russische Präsident die Gespräche als Deckmantel nutzen könnte, um seine erschöpften Streitkräfte aufzufüllen und eine neue Offensive zu planen", hieß es damals. Zu dieser Zeit waren die Verhandlungen noch nicht beendet. Wenige Tage später sollten die Ukraine und Russland wieder in Istanbul an den Verhandlungstisch kommen.

09.02.2023, Frankreich, Paris: Emmanuel Macron (r), Präsident von Frankreich, geht neben Wolodymyr Selenskyj, am Militärflughafen Villacoublay. Der französische Präsident Macron und der ukrainische Pr ...
Wolodymyr Selenskyj (l.) mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron.Bild: EPA POOL / Mohammed Badra

Wichtig hier: Zu diesem Zeitpunkt – also Ende März – waren die etlichen Kriegsverbrechen, die russische Soldaten an Zivilist:innen begangen haben, noch nicht öffentlich.

Die Friedensgespräche in Istanbul endeten letztlich ohne Ergebnisse. Denn selbst während der Gespräche gingen die russischen Angriffe unvermindert weiter – der ukrainische Präsident äußerte daher seine Zweifel.

Dann wurden die Gräueltaten in Butscha aufgedeckt.

Ein Massaker an Zivilisten in einem Vorort von Kiew. Vergewaltigungen. Zerstörung. Mehr als 400 Tote wurden gefunden.

Nach diesen Ereignissen war es der Ukraine nicht mehr möglich zu verhandeln.

ARCHIV - 08.04.2022, Ukraine, Butscha: Iryna Wenediktowa (M), Generalstaatsanw�ltin der Ukraine, betrachtet exhumierte Leichen aus einem Massengrab. Sie steht an vorderster Front in einem weltweiten j ...
Exhumierte Leichen aus einem Massengrab in Butscha.Bild: AP / Efrem Lukatsky

Die Linke argumentiert hingegen mit einem Artikel, der Anfang Februar dieses Jahres in der "Berliner Zeitung" veröffentlicht wurde. Darin wird der damalige israelische Premier Naftali Bennet zitiert, der sagte, die USA und Großbritannien hätten einen Waffenstillstand blockiert, Deutschland und Frankreich seien eher pragmatisch eingestellt gewesen.

Allerdings sollte man diesen Artikel mit Vorsicht genießen.

Es handelt sich dabei um einen Beitrag, der im Rahmen einer Open-Source-Initiative der "Berliner Zeitung" eingereicht wurde. Dabei können freie Autor:innen und auch sonst jeder Texte anbieten, die die Zeitung bei Interesse veröffentlicht. Der Beitrag selbst erfüllt dabei keine journalistischen Ansprüche. Hier wurde weder die Gegenseite befragt, noch kritisch bei Bennet nachgefragt. Vertreter:innen der USA, Großbritanniens oder auch Deutschlands und Frankreichs hatten keine Möglichkeit, ein Statement abzugeben.

Eine weitere Aussage Gysis klingt im ersten Moment vernünftig und angemessen, ergibt aber bei näherer Betrachtung wenig Sinn.

Gysi schrieb:

"Getreideabkommen und Gefangenenaustausche zeigen, dass Vereinbarungen möglich sind. Egal, wann die Verhandlungen geführt werden, niemand kann ernsthaft damit rechnen, dass es in absehbarer Zeit Putin als Präsidenten nicht mehr gibt, Verhandlungen also mit ihm geführt werden müssen."

Allerdings, das ist auch die Auffassung der meisten Friedensforscher:innen, müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein, um Einigungen wie etwa beim Getreideabkommen zu erzielen. Das erklärte auch kürzlich die Friedens- und Konfliktforscherin Anja Dahlmann im Gespräch mit watson.

Denn der Westen verschärft die Wirtschaftssanktionen momentan weiter. Gerade im Dezember hatte die EU ein neues Sanktionspaket auf den Weg gebracht. Und Dahlmann sagte, dass es eben verschiedene Druck-Komponenten geben müsse, um an den Verhandlungstisch zu kommen. "Mit militärischem, wirtschaftlichem und auch diplomatischen Druck können wir zu Verhandlungen kommen", sagte sie.

Sobald das Interesse beider Seiten befriedigt werden könne, sehe man, dass Verhandlungen zustande kommen könnten.

Gute Beispiele sind eben jene, die Gysi so leichtfertig in seinem Tweet erwähnt: Gefangenenaustausch, Getreideabkommen.

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