Moskau hat ebenso Probleme wie Kiew, genügend Soldat:innen für die Front im Ukraine-Krieg zu rekrutieren. Diejenigen, die von Anfang an dabei waren, sind teils ausgebrannt oder verletzt. Zahlreiche wehrpflichtige Menschen weigern sich, wollen nicht oder nicht mehr Teil des Krieges sein.
Dass der russische Machthaber Wladimir Putin mit Andersdenkenden kurzen Prozess macht, ist kein Geheimnis. Nun wurden Hunderte Männer aus russischen Regionen offenbar gewaltsam an die Front geschickt. Neusten Recherchen zufolge begann Russland im Mai damit, Verweigerer massenhaft in den Ukraine-Krieg zu schicken. Mit purem Zwang, Waffen und Gewalt.
Die Informationen gehen auf Recherchen der unabhängigen russischen Zeitung "Verstka" zurück. Sie beruft sich auf Gespräche mit Anwälten und Familien der Zwangsmobilisierten.
Einige der Männer wurden demnach zur Unterschrift eines Vertrags mit dem Verteidigungsministerium gezwungen. Teils mit fragwürdigen Methoden. Die Hilferufe einiger betroffener Männer und deren Familien sind in thematischen Gruppenchats zu finden.
Dort sind viele verzweifelte Nachrichten von ihnen lesen: "Heute gab es einen Befehl: entweder Sturm oder einen Vertrag unterzeichnen. So entsteht unsere Armee", lautet eine Nachricht. Andere berichten, sie seien nach der Weigerung in viel gefährlichere Einheiten versetzt worden.
Zu den Betroffenen gehörte auch ein Mann namens Wladimir Muronow, der in einem medizinischen Unternehmen tätig war. Er kam im Juni 2023 für seinen Urlaub nach Hause und beschloss, nicht zur Front zurückkehren zu wollen.
Im Herbst wurde er den Recherchen zufolge von der Militärpolizei festgenommen und anschließend in das 32. Militärlager in Jekaterinburg gebracht. Dort sei er festgehalten worden. Gemeinsam mit anderen Verweigerern, wie es in dem Bericht weiter heißt.
Die Bedingungen seien dort wie im Gefängnis gewesen: kein Ausgang, nur unzureichende Nahrung. Zudem seien die Räume völlig überfüllt gewesen, Menschen sitzen und schlafen den Angaben nach auf dem Boden und auf Fensterbänken im Flur.
Ihnen werde den Recherchen zufolge nahegelegt, in die Ukraine zurückzukehren. Nur dann würden der Straftatbestand abgeschafft und Zulagen, Löhne und Sozialleistungen wiederhergestellt. Oder aber sie sollten auf den Prozess warten. "Fast alle blieben im Gebäude und warteten auf ihren Prozess", sagte die Schwester eines Verweigerers.
Angehörigen zufolge seien später diejenigen, die sich weigerten zu kämpfen, geschlagen worden: eine gewaltsame Art der "Überzeugungsarbeit".
So sollten sie "zur Ausreise in die Ukraine" bewegt werden. Einige Verweigerer begannen daraufhin, wegzulaufen, wie die russische unabhängige Zeitung "Meduza" berichtet. Einige flüchteten mit zusammengebundenen Laken. Andere liefen davon, während sie Verwandte besuchten. Wieder andere kehrten den Angaben zufolge später zurück, weil sie Angst hatten, wieder erwischt zu werden.
Mitte Mai wurde der Umgang dann noch brutaler: Es soll begonnen worden sein, Kriegsdienstverweigerer gewaltsam in die Ukraine zu verschleppen.
Wie "Verstka" solche Szenen beschreibt, trieb das mit Maschinengewehren und Schlagstöcken bewaffnete Militär 170 bis 180 Verweigerer gewaltsam in Busse, woraufhin sie zu einem Militärflugplatz und von dort in den Krieg gebracht wurden. Wladimir gehörte zu denen, die so an die Front gebracht wurden.
Wie die Zeitung herausfand, kam es im Mai in mehreren Regionen zu solchen Massenversetzungen, darunter in der Region Krasnojarsk, Moskau und der Region Moskau.
Die Soldaten durften demnach auch dann nicht mehr das Kriegsland verlassen, als sie verletzt waren. Bei Frontfluchten drohten Gerichtsverhandlungen.