Der Druck auf den russischen Präsidenten Wladimir Putin steigt. Russland steht offenbar eine Polizeikrise bevor. Bild: imago images / Mikhail Metzel
Russland
Russland ist etwa 50-mal so groß wie Deutschland. Die politischen Fäden des gigantischen Landes führen allesamt nach Moskau in den Kreml, in die Hände des Machthabers Wladimir Putin. Er selbst stammt als ehemaliger KGB-Offizier aus der Wiege des Geheimdienstes und baute das Land weiter zu einem Polizeistaat auf – stets auf der Jagd nach Spionen und Verräter:innen – oder eben politisch Andersdenkenden.
Doch bald könnten Putin die Leute in Uniformen ausgehen, die für "Recht und Ordnung" auf den Straßen Russlands sorgen. Zu anstrengend und unterbezahlt sei der Job – viele bei der Polizei fühlen sich ausgebrannt, enttäuscht und demoralisiert. Das zeigt ein Bericht der britischen "BBC".
Russische Polizisten führen einen Mann ab, der gegen die Invasion der Ukraine protestiert. Bild: imago images / Sergei Savostyanov
Dabei besitzt Russland eine der größten Polizeikräfte der Welt.
Auf Russland könnte eine Polizeikrise zusteuern
Das Verhältnis von Polizist:innen zu Bürger:innen in Russland ist eines der höchsten der Welt. Nach Angaben des russischen Innenministeriums verfügt Russland über mehr als 900.000 Beamt:innen für eine Bevölkerung von 146 Millionen. Auf 100.000 Menschen kommen fast 630 Polizist:innen – mehr als doppelt so viele wie in den USA, schreibt die "BBC".
Doch die Zahl der Polizeibeamt:innen in Russland soll massiv zurückgegangen sein. Viele Russen, die bei der Polizei gearbeitet haben, sagten der "BBC", dass sie sich für einen weniger stressvollen Job entschieden haben, bei dem sie auch mehr Geld verdienen.
"Nur ein Idiot würde jetzt zur Polizei gehen"
Ex-Polizist aus Rostow, Russland
"Sie haben die Gehälter überhaupt nicht angepasst", zitiert die "BBC" einen ehemaligen Beamten aus Rostow am Don im Südwesten Russlands. "Nach der Inflation und den neuen Preisen ist es nicht genug." Er hat gekündigt und ist heute Taxi-Fahrer. Er verdiene jetzt doppelt so viel wie als Polizeibeamter.
Überarbeitet und überlastet: Die russische Polizei arbeitet wohl am Limit
"Nur ein Idiot würde jetzt zur Polizei gehen", meint der ehemalige Offizier aus Rostow. Laut "BBC"-Recherche würden sich überlastete Polizeikräfte weigern, Fälle zu eröffnen, selbst wenn eine Aussage gemacht wurde. "Jeder bekommt zehn Tage Zeit, um die Aussagen zu prüfen, egal ob es fünf oder 50 sind, und so verschlechtert sich natürlich die Qualität der Arbeit", argumentiert ein Polizist aus der sibirischen Region Russlands.
Wenn es eine Reihe von zehn Dingen gibt, die die Polizei erledigen muss, etwa Nachbarn befragen, Zeug:innen ins Kreuzverhör nehmen, den Tatort besichtigen – "dann tun sie nur ein oder zwei und schreiben, dass es 'nicht möglich' war, die anderen zu erledigen", führt der Polizist aus Sibirien aus. Dann weigert man sich, Anklage zu erheben – es werde also keine Untersuchung geben.
Russische Polizeikräfte haben offenbar keinen Bock mehr: zu stressig, zu wenig Geld.Bild: imago images / Mikhail Tereshchenko
Ein Polizei-Major aus der russischen Stadt Tomsk erzählt gegenüber "BBC", dass durch den Druck auf die verbliebenden Kolleg:innen die Korruption ansteige. "Die Beamten prügeln Geständnisse aus den Leuten heraus, blähen die Verhaftungsquoten auf, das sehen wir ständig", sagt er. "Es wird nur noch schlimmer werden. Es werden Beweise gefälscht, es wird gezielt geprügelt, es bleibt einfach keine Zeit mehr, um etwas richtig zu untersuchen."
Auch der völkerrechtswidrige Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine trägt wohl Schuld am Personalmangel bei der russischen Polizei.
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Russische Invasion der Ukraine hinterlässt Lücken bei der Polizei
Als Russland die Ukraine angriff, entschieden sich viele Beamte, ihren Job zu behalten. Denn: Russische Polizeibeamte sind von der Einberufung zum Militärdienst ausgenommen. Dabei war laut der "BBC" die Zahl der Polizeibeamten in Russland vor Beginn des Krieges in der Ukraine rückläufig.
Doch viele hätten ihren Job behalten, um nicht kämpfen zu müssen. "Entweder man blieb standhaft, oder man ging und wurde eingezogen", erklärt ein Beamter aus Moskau. "Ich weiß, dass es Vorgesetzte gab, die eine Liste mit allen erstellten, die zu kündigen drohten, und sie direkt an die [Armee-]Rekrutierer weitergaben. Alle waren ziemlich verängstigt."
Aus der Spezialoperation, mit der Putin in wenigen Tagen die Ukraine einnehmen wollte, wurde ein Angriffskrieg, der sich seit mehr als 18 Monaten in die Länge zieht. Das russische Militär braucht Männer für den Fleischwolf an der Front – das hinterlässt wohl Lücken bei der Polizei im Land.
Laut des ukrainischen Verteidigungsnachrichtendienstes (DIU) hat Russland in den vorübergehend besetzten ukrainischen Gebieten, einschließlich der Krim, mehr als 420.000 Soldaten stationiert. Die Zahl der militärischen Opfer in Russland nähert sich nach offiziellen Angaben an die 300.000, heißt es in einem Bericht der "New York Times".
Während also die Invasion der Ukraine weiter tobt, sinkt die Zahl der Polizist:innen in Russland. Laut "BBC" ist die Polizei nicht in der Lage, die bestehenden Lücken zu schließen – ganz zu schweigen von den 40.000 zusätzlichen Kräften, die nach Angaben des Innenministeriums in Donezk und Luhansk benötigt werden.
Als wäre der russische Angriffskrieg in der Ukraine nicht schon genug, eskaliert der Konflikt weiter. Nach russischen Angaben hat das Land am Donnerstagmorgen mit einer neu entwickelten Mittelstreckenrakete die ukrainische Großstadt Dnipro beschossen, eine "Hyperschall-Rakete". Sechs Sprengköpfe schlugen dort ein. Der russische Präsident Putin sagte, es seien keine Atomsprengköpfe gewesen.