Anna Peters hat einen aufmerksamen Blick. Wenn sie den Menschen zuhört, kneift sie ab und an die dunkelbraunen Augen etwas zusammen, verzieht den Mund zu einem verständnisvollen Lächeln. Sie will die Brückenbauerin sein, sagt sie von sich selbst. "Ich verstehe deine Wut", hört man sie immer wieder sagen.
Die junge Grünen-Politikerin steht auf Listenplatz 13 der Europaliste ihrer Partei. Damit hat sie ganz gute Chancen auf den Einzug ins Europaparlament, um ihre Themen in Brüssel umzusetzen: geschlechtergerechte Finanzpolitik.
Im vergangenen Jahr hat Anna mit einer Förderung des Start-ups Join Politics den Fiscal Feminist Hub gegründet. "Wir sind zu viert gestartet, nach einem halben Jahr sind wir schon 23 Ökonom:innen und Aktivist:innen", erzählt sie in der Metro in Barcelona, auf dem Weg zu einem Termin. Ihre Augen leuchten, während sie das sagt. Sie klingt stolz auf sich und auf ihr Team, das sie hinter sich versammelt hat.
Die Finanzpolitik würden heutzutage immer noch einige wenige Männer dominieren. Das schade allen, die nicht weiß, männlich und hetero sind: Frauen, behinderte Menschen, BIPOC, Migrantische und queere Personen, schreibt Annas Start-up auf ihrer Website. Sie will das mit ihrer Politik ändern. "Wir müssen endlich feministische und queere Kämpfe gegen Ausbeutung zusammen denken und die Forderungen in der Finanzpolitik unterbringen."
Dafür ist die 27-Jährige vor der Europawahl in verschiedenen Ländern der EU unterwegs. Sie will herausfinden, wo der Schuh konkret drückt, wohin EU-Gelder eigentlich fließen und vor allem: wohin nicht. Herauskommen soll ein umfangreicher Forderungskatalog. 20 Forderungen für Deutschland, vier aus jedem Land, das sie besucht hat – insgesamt 40 – will die Grüne mit nach Brüssel nehmen.
Vor Weihnachten war sie mit ihrem Team in Polen und Ungarn unterwegs, Anfang des Jahres in Griechenland und Italien, den Abschluss bildet Spanien. Wir treffen die junge Finanzpolitikerin in Barcelona, in der Woche des feministischen Kampftags, 8. März.
Mit überschlagenen Beinen und einem Pappbecher mit heißem Tee in der Hand sitzt sie einer jungen Frau gegenüber. Zwischen ihnen ein wackeliger Holztisch, sie sitzen auf schwarzen Plastikstühlen in einem schattigen katalanischen Hinterhof. Um sie herum die hohen Hauswände Barcelonas, vor den Fenstern baumelt Wäsche.
Die Frau ist Projektmanagerin der gemeinnützigen Organisation Aadas, der einzigen psychosozialen Anlaufstelle in Barcelona für Betroffene von sexualisierter Gewalt. Anna hat sich in den vergangenen Wochen mit vielen Vertreter:innen solcher Organisationen getroffen, die sich für die Rechte von Frauen, queeren oder migrantischen Menschen einsetzen.
Sie berichten Anna oft von ähnlichen Problemen, sind wütend auf ihre Regierungen. Die EU ist für sie meist weit weg, die bürokratischen Hürden viel zu hoch. Vereine wie Aadas müssen sich jedes Jahr neu auf Fördermittel bewerben, und teilweise sogar vorübergehend schließen, wenn sie in einem Jahr leer ausgehen.
Die junge Frau sitzt Anna aufgebracht gegenüber:
Anna versteht die Wut der Frau. Noch kann sie nur zuhören, nicken. Wenn sie ins EU-Parlament einzieht, will sie etwas an der Situation der Frau ändern. Ihre Kollegin macht sich Notizen für den Forderungskatalog. "Let's talk about money", sagt Anna irgendwann. Damit lenkt sie das Gespräch auf Konkretes: Wo fehlt euch Geld? Was braucht ihr von der EU, um eurer Arbeit nachgehen zu können? Was kann ich für euch tun? Da bricht alles aus der Frau heraus. Genau, was Anna herausfinden wollte.
Der Termin war intensiv. Annas wache Augen können nicht darüber hinwegtäuschen, dass die vergangenen Wochen ihre Spuren hinterlassen haben. Abends wird ihr vor allem die Wut der Frau im Kopf bleiben, sagt sie. Überraschend war die Reaktion der Frau auf die finanziellen Fragen für sie nicht. Was auf EU-Ebene zunächst trocken und abstrakt klingt, hat direkte, manchmal lebensverändernde Auswirkungen für die Menschen vor Ort, sagt Anna. Sie wüssten meist genau, was sie brauchen, nur höre ihnen niemand zu.
Deshalb sei es so wichtig, dass Politiker:innen diese Menschen im Blick haben, wenn sie politische, und besonders finanzpolitische Entscheidungen treffen. Vor Ort sind, sich die Probleme anhören.
Anna sagt über sich selbst, sie sei mit einem "europäischen Background aufgewachsen". Denn sie ist unter anderem in ihrer Heimatstadt Freiburg auf eine deutsch-französische Schule gegangen, spricht demnach beide Sprachen fließend, auch Spanisch beherrscht sie gut, nur bei Katalanisch muss sie passen.
Bei ihren Terminen kann sie also flexibel zwischen den Sprachen wechseln, übersetzt Teile für den Rest ihres Teams. Das kommt ihr natürlich auch in Brüssel entgegen.
"Wie wir unser Geld ausgeben – also der Kern der europäischen Finanzpolitik – geht uns alle an", sagt sie. Deshalb setze sie alles daran, mehr Menschen dafür zu begeistern. Aktuell fehlte der Finanzpolitik jedoch eine geschlechtergerechte Perspektive. "Zu viele Menschen werden durch die männlich dominierte Fiskalpolitik benachteiligt." Diese gelte es wieder näher an die Politik heranzuholen. Anna möchte daher als junge Frau unbedingt in den Finanz- und den Haushaltsausschuss. Dort das Bindeglied sein, die Brückenbauerin. Eine Stimme hätten die Menschen selbst, sagt sie.
Ziel ihrer Europa-Tour sei es gewesen, herauszufinden, was feministische Finanzpolitik erreichen muss, wie sie demokratisiert und von unten herauf aufgebaut werden kann. "Und vor allem: Was bedeutet sie für die Bäckereifachverkäuferin in Baden-Württemberg, aber auch die NGO in Griechenland." Das reize Anna an Brüssel: "über die Parteigrenzen hinweg Allianzen für spezifische Themen schmieden".
Während die Grüne das erzählt, steht sie zwischen zwei Terminen in ihrem Airbnb in Barcelona und hängt Wäsche auf. Sie sei seit Wochen unterwegs und nur mit Handgepäck gereist, erklärt sie entschuldigend.
Trotz der Anstrengungen der vergangenen Wochen und der zahlreichen Eindrücke merkt man Anna an, wie sehr sie für ihr Thema brennt. Wie überzeugt sie davon ist, die Situation der Menschen vor Ort tatsächlich verbessern zu können. "Diese Termine sind meine Energiequelle. Ich schöpfe unheimlich viel Kraft daraus", sagt sie.
Es würde immer darüber geredet, die Demokratie müsse verteidigt werden. Die Held:innen der Demokratie existierten aber bereits vor Ort, sie müssten nur gehört und vor allem mit EU-Mitteln gefördert werden, ist sich Anna sicher. "Sie stehen buchstäblich an der Front und halten unsere Demokratie zusammen."
Klar erlebe auch sie manchmal ein Ohnmachtsgefühl, angesichts der Krisen der Zeit, "aber die Funken, die ich durch meine Arbeit in der feministischen Finanzpolitik spüre, sind stärker".
Im Juni geht es los, sofern Anna ins Europaparlament gewählt wird. Der 40-Punkte-Forderungskatalog soll ihr persönlicher Fünf-Jahresplan sein, eine Kampfansage an die männlich dominierte europäische Finanzpolitik.