Als "1,5-Grad Ultra" will Rosa Domm sich in der EU für Klima und Mobilität einsetzen.bild: privat
Vor Ort
Rosa Domm von den Grünen ist Mitglied der Hamburger Bürgerschaft und kandidiert für die EU-Wahlen. In Brüssel will sie dafür kämpfen, Europa zum ersten klimaneutralen Kontinent zu machen. Warum dieses Vorhaben in Gefahr ist.
Je näher die EU-Wahl rückt, umso intensiver, länger und aufregender werden Rosa Domms Tage. Alles ist durchgetaktet: Panel-Diskussionen mit anderen EU-Kandidat:innen an Schulen, Telefonate, Besprechungen, dazwischen Fraktionssitzungen, Ausschusssitzungen, Büroarbeit, Social Media – sogar die Wegzeit von Termin zu Termin. Ihr Kalender ist so ambitioniert wie Rosa selbst.
Denn Rosa sitzt nicht nur seit Februar 2020 als jüngste Abgeordnete für die Grünen in der Hamburger Bürgerschaft, sie will Deutschland und die EU in Sachen Klima voranbringen – und kandidiert fürs Europa-Parlament. "Das war nie mein Plan – ich wollte nur für meine Themen einstehen", sagt sie im Gespräch mit watson.
Rosa Domm (Grüne) kandidiert für die EU-Wahlen am 9. Juni.bild: Elias Keilhauer
Rosa Domm will Europa zum ersten klimaneutralen Kontinent machen
Und das nimmt man ihr ab. Denn das Thema Klima beschäftigt Rosa schon lange. 2017, als die AfD erstmals in den Bundestag einzog, merkte Rosa nach einer Klimademonstration in Bonn, dass es ihr nicht länger reicht, "nur ab und zu mal irgendwo auf einer Demo zu sein".
"Das, was ich mache, möchte ich richtig gut machen."
Rosa Domm, Kandidatin für die EU-Wahlen
Sie wollte in einer Gruppe für ihre Werte, ihre Themen einstehen. Hängen geblieben ist sie bei der Grünen Jugend, das war 2017. Als 2018 und 2019 Fridays for Future immer größer wurde und auch die Grünen an Mitgliedern gewannen, schwamm Rosa in der grünen Welle mit.
Seitdem sind fast fünf Jahre vergangen. Eine Gruppe, deren Werte sie teilt, hat sie gefunden, mehr noch – Rosa hat eine Mission, die größer kaum sein könnte: Sie will Europa zum ersten klimaneutralen Kontinent machen.
Dass sie erst 25 Jahre alt ist, vergisst man schnell. Sie bewegt sich inhaltlich und auf Panels so gelassen und redegewandt, als täte sie seit Jahren nichts anderes.
Die Ziele, die sie sich steckt, sind hoch, der Ehrgeiz groß. Ganz gleich, ob bei der Alpenüberquerung mit dem Fahrrad, beim Ballett oder in der Politik. "Das, was ich mache, möchte ich richtig gut machen."
Seit Rosa fünf Jahre alt ist, tanzt sie leidenschaftlich gern Ballett.bild: privat
Alles für den Klimaschutz: Warum Rosa Domm sich "1,5-Grad Ultra" nennt
Auf Instagram bezeichnet sich Rosa als "1,5-Grad Ultra". Weil 1,5 Grad für sie das Symbol für ambitionierte und realistische Klimapolitik ist. Weil 1,5 Grad das Ziel sind, auf das sich 197 Staaten und die EU im Pariser Klimaabkommen geeinigt haben – für eine lebenswerte Zukunft.
Rosa sagt:
"Für mich bedeuten die 1,5 Grad, dass die Klimakrise nicht ein Politikfeld unter vielen ist, sondern die zentrale Frage der Menschheit. Auch wenn wir derzeit erleben, dass viele Krisen auf uns einprasseln, sind die Folgen der Klimakrise für Menschen in vielen Teilen der Welt eine zentrale Überlebensfrage."
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Aus diesem Grund sind die 1,5 Grad Rosas Leitfaden durch die Politik. "Das heißt nicht, dass alles, was ich tue, auch 1,5-Grad-konform ist." Denn Politik bedeutet immer auch: Kompromisse. "Und die sollen der Lösung möglichst nah kommen und Veränderungen einleiten." Auch dann, wenn der Kompromiss weit hinter dem zurückbleibt, was Rosa eigentlich wollte.
"Es gibt so viele Menschen, die mehr Klimaschutz wollen – ich bin nicht allein. Deswegen ist es so wichtig, durchzuhalten und sich die Kraft nicht nehmen zu lassen", sagt sie. Trotzdem gibt es auch bei Rosa Momente, in denen ihr alles zu viel wird: die vielen Studien über die Folgen der Klimakrise, die anhaltenden Temperaturrekorde, die Waldbrände und Überschwemmungen.
Rosa sagt:
"Ich versuche, mir nicht jeden Tag zu vergegenwärtigen, wie schlimm die Lage ist. Sonst wäre ich nicht mehr handlungsfähig. Aber ab und zu übermannt das auch mich, das lasse ich dann zu. Danach zwinge ich mich wieder, nach vorn zu schauen."
Denn Lösungen gibt es: Der IPCC und Forschende weltweit zeigen längst Wege aus der Klimakrise auf. Daran hält Rosa fest. Versucht, das Positive zu fokussieren: Was haben wir schon geschafft? Und: Wie könnte eine klimaneutrale Zukunft aussehen?
Welche neuen Jobs, Möglichkeiten und Fortschritte sind möglich?bild: privat
Wenn Rosa über Klimapolitik, allem voran aber über die Mobilitätswende spricht, dann fangen ihre Augen zu leuchten an, sie sitzt noch etwas aufrechter, spricht noch etwas schneller. Man merkt: Das ist ihr Herzensthema.
Selbstständig und mobil zu sein, hat Rosa politisch stark geprägt. Ihre Familie hatte kein Auto, in den Urlaub ging es mit dem Zug, von A nach B kam sie mit dem Fahrrad. "Ich war eine Außenseiterin – es gab in meiner Klasse niemanden, dessen Familie kein Auto hatte. Deswegen weiß ich, dass Mobilität gerade für junge Menschen wichtig ist, um Teilhabe zu schaffen."
Mobilität und Verkehr in Europa: Warum Rosa ein Europaticket will
Ihr großes Vorhaben? Ein europäisches Schienennetz auf die Beine zu stellen. Einerseits, um CO2-Emissionen einzusparen, der Verkehrssektor gilt als großes Sorgenkind der Klimapolitik. "Und andererseits, weil ich Mobilitätsfreiheit für alle ermöglichen will."
Schnellere Bahnverbindungen seien ein Anreiz dafür, das Auto stehenzulassen und nicht mehr in den Flieger zu steigen. "Ja, das geht oft schon – aber es ist derzeit mit sehr, sehr langen Fahrzeiten verbunden." Das will Rosa ändern, auch wenn das erst einmal teuer wird.
Denn was passiert, wenn man das nicht tut, zeige sich am Beispiel Griechenlands: "Im Zuge der Finanzkrise wurde das Schienennetz kaputtgespart, es gibt nur noch eine Handvoll Verbindungen." Und aus Griechenland raus kommt man mit der Bahn nicht.
Rosas politische Mission: aus dem Deutschlandticket ein Europaticket zu machen – und zwar so, dass es sich jede:r leisten kann. In Österreich gibt es bereits das Klimaticket, in Luxemburg ist der ÖPNV kostenlos.
Rosa sagt:
"Ich finde das eine tolle Vorstellung von einem zusammenwachsenden Europa, wo Mobilität auch für junge Leute, die keinen Führerschein haben, europaweit möglich ist."
Und auch das Fahrrad will Rosa weiter pushen. Wie gut das funktioniert und ankommt, könne man bereits an einigen Orten sehen. Mit den Fingern zählt sie auf: "Amsterdam, Utrecht, Paris, Ljubljana, Kopenhagen – das waren nicht immer Fahrradstädte." Erst in den letzten Jahren hätten sich die Städte verändert, seien fahrradfreundlicher geworden. "Und keiner will mehr zurück."
Trotzdem weiß sie, dass all das dauert. Und bei vielen noch immer auf Widerstand stößt, wie etwa bei der Durchsetzung der autofreien Friedrichstraße in Berlin – die mittlerweile wieder mit dem Auto passierbar ist.
EU-Wahl 2024: Was der Rechtsruck mit dem Green Deal zu tun hat
Die grüne Welle, auf die auch Rosa aufgesprungen ist, hat klimapolitisch viel bewegt: Da ist der Green Deal, den Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zu ihrer Priorität gemacht hat. Da ist die Verabschiedung des neuen Klimagesetzes, die Genehmigungsbeschleunigung bei Infrastrukturprojekten der Bahn, die Landstrompflicht für Häfen. Und vieles, vieles mehr.
"Die Frage ist aber, wie wir es schaffen, diesen Weg auch nach der Wahl weiterzugehen", sagt Rosa. Einen Moment lang schweigt sie. "Wenn wir den drohenden Rechtsruck nicht verhindern können, dann …", sie sucht nach Worten, findet keine.
Rosa macht eine ausschweifende Handbewegung, ergänzt schließlich:
"Dann gelangen wir auf den falschen Pfad. Die Wahl, die uns bevorsteht, ist auch eine Wahl über den Green Deal: Wollen wir eine klimaneutrale Zukunft und ein geeintes Europa – oder wollen wir im Nationalismus versinken und den Klimaschutz an den Nagel hängen?"
Sie macht eine kurze Pause. Zwar wagt sie nicht zu hoffen, dass die Wahl-Ergebnisse so ermutigend sind wie 2019 – "aber ich hoffe, dass die Demokratiebewegung es schafft, den Klimaschutz noch einmal ins Zentrum zu rücken".
Dafür jedenfalls kämpft Rosa – als "1,5-Grad Ultra".