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Atomwaffen in Belarus: Was Putin mit seiner Drohung bewirken will

RUSSIA, MOSCOW - MARCH 20, 2023: Russia s President Vladimir Putin attends the annual extended meeting of the Russian Interior Ministry Board to summarize the results of the work of internal affair au ...
Die Nachricht ist eingeschlagen: Russlands Präsident Wladimir Putin will taktische Atomwaffen in Belarus stationieren.Bild: IMAGO/ITAR-TASS
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Atomwaffen in Belarus: Was Putin mit seiner Drohung bewirken will

27.03.2023, 19:40
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Zurückgelehnt im Sessel kündigt Kremlchef Wladimir Putin in ruhigem Ton im russischen Staatsfernsehen die Stationierung taktischer Atomwaffen in Belarus an. Eine Ankündigung, die blitzschnell die Runde macht. Und die Angst vor einer atomaren Eskalation im russischen Angriffskrieg wieder einmal hervorruft.

Denn: Erstmals seit den 1990er-Jahren rückt Putin nun die nuklearen Geschosse näher an die EU und Nato heran. Eine neue Drohung, nachdem Putin erst im vergangenen Jahr die strategischen Nuklearwaffen in erhöhte Bereitschaft versetzt hat.

Was hat es mit der Drohung auf sich? Und was will Putin damit erreichen? Watson klärt die wichtigsten Fragen für euch.

Was hat es mit taktischen Atomwaffen auf sich?

Im Gegensatz zu strategischen haben taktische Atomwaffen eine deutlich geringere Sprengkraft – zu unterschätzen sind sie aber trotzdem nicht. Denn auch wenn die Sprengkraft nicht zu einer totalen Zerstörung eines großen Gebietes ausreiche, erzeugen die Waffen einen Atompilz und einen Feuerball, der alles in Reichweite verbrennen würde – und auch taktische Waffen verstrahlen die Umwelt. So beschreibt es Politikwissenschaftlerin Nina Tannenwald gegenüber "euronews.com".

Ein Atompilz steigt nach der Explosion einer Atombombe über dem Testgelände in der Wüste von Nevada auf. (Undatiert).
Die Detonation einer Atombombe geht mit dem sogenannten "Atompilz" einher.Bild: A0009_dpa / dpa

Ein spezielles Risiko sieht Tannenwald in den taktischen Nuklearwaffen: Durch die geringere Sprengkraft ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass die Bomben tatsächlich eingesetzt werden. Sie stellt klar: "Niemand sollte denken, dass das tatsächlich brauchbare Waffen sind."

Im selben Artikel macht Pavel Podvig, Experte für russische Nuklearstreitkräfte, deutlich, dass es nur wenige Szenarien gebe, in denen die Sprengkraft von taktischen Atombomben sinnvoll für den Kampf wäre – zum Beispiel, um unterirdische Strukturen oder Bunker zu zerstören. Vielmehr geht er davon aus, dass auch hinter taktischen Atomwaffen ein strategisches Ziel stecke:

"Die Hauptaufgabe dieser Waffen besteht darin, viele, viele Zivilisten anzugreifen und zu töten."

US-Forscher:innen vom "Bulletin of the Atomic Scientists" schätzen, dass Russlands Nukleararsenal einen Vorrat von mindestens 4,477 Sprengköpfen umfasst. Rund 1912 davon sollen taktische Nuklearwaffen sein.

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Entwickelt wurden die taktischen Nuklearwaffen während des Kalten Krieges, um die nukleare Abschreckung zu verstärken, erläutert Nina Tannenwald.

Sie führt aus:

"Das Argument war: Wenn Sie diese kleineren, weniger zerstörerischen Atomwaffen haben, wäre die Drohung, sie einzusetzen, glaubwürdiger, weil sie weniger schädlich sind und daher die Abschreckung stärker wäre."

Was ist das Gleichgewicht des Schreckens?

Russland ist nicht das einzige Land auf der Welt, das im Besitz von Atombomben ist. Und das hat Konzept: Mit dem Atomwaffensperrvertrag hatte die Weltgemeinschaft bereits 1970 versucht, die Anzahl der Atommächte möglichst gering zu halten.

Kernwaffen sollen nicht verbreitet werden, dieses Ziel haben 190 Staaten mittlerweile unterschrieben. Inhalt des Vertrags ist, dass Staaten, die Atomwaffen besitzen, sie nicht an andere weitergeben. Die Staaten, ohne Atomwaffen wiederum verpflichteten sich, keine anzuschaffen. Die Atommächte sollten zudem abrüsten.

Trotz des Vertrages gibt es bis heute neun Staaten mit Nuklearwaffen: Die USA, Russland, China, Frankreich und Großbritannien sind offizielle Atommächte. Israel, Indien, Nordkorea und Pakistan, die ebenfalls Nuklearwaffen besitzen sollen, gelten als "de-facto"-Atommächte.

Die Atommächte vertrauen auf das sogenannte Gleichgewicht des Schreckens. Bisher diente die Drohung mit dem Einsatz von Atomwaffen zur Abschreckung. Denn im Falle eines Angriffes würde einer anderen Atommacht genug Zeit bleiben, ebenfalls eine Atombombe zu zünden. Diese mögliche Vergeltung ist die Grundlage der Abschreckungsstrategie.

Die USA haben im Zuge der atomaren Abschreckung der Nato Atombomben in mehreren europäischen Ländern stationiert. Offizielle Angaben gibt es dazu zwar nicht. Es sollen aber weiterhin in den Niederlanden, Belgien, Italien und Deutschland Atomwaffen lagern – außerdem im asiatischen Teil der Türkei. Mit Großbritannien und Frankreich besitzen weitere Nato-Staaten eigene Atomwaffen.

Warum stationiert Putin seine Waffen in Belarus?

Belarus und dessen Machthaber Alexander Lukaschenko gehören zu Moskaus engsten Verbündeten. Lukaschenko habe immer wieder um die Stationierung taktischer Atomraketen gebeten, sagte Putin. Russland habe Belarus schon beim Umbau von Flugzeugen geholfen, von denen nun zehn so ausgerüstet seien, dass sie ebenfalls taktische Nuklearwaffen abschießen könnten, sagte der Kreml-Chef.

Der Dauer-Machthaber in Minsk – oft als "letzter Diktator Europas" bezeichnet – hatte auch bedauert, dass Belarus sich nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion vor mehr als 30 Jahren von seinen Nuklearwaffen trennte. Auch die Ukraine hatte damals ihre Atomwaffen aufgegeben – und Russland wurde zu ihrer Schutzmacht.

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Putin und sein belarussischer Freund Alexander Lukaschenko.Bild: Pool Sputnik Kremlin/AP / Gavriil Grigorov

Mit der Stationierung reagiert Russland auf die zunehmenden Spannungen mit der Nato im Zusammenhang mit dem russischen Angriffskrieg. Konkret empörte sich Moskau zuletzt über die mögliche Lieferung von Uranmunition aus Großbritannien an die Ukraine. Die Geschosse mit abgereichertem Uran haben eine besondere Schlagkraft, um etwa Panzer zu zerstören.

Abgereichertes Uran ist ein Metall, das als Abfallprodukt bei der Urananreicherung entsteht. Es ist radioaktiv – allerdings viel weniger, als das Ausgangsmaterial.

Putin warnte im Staatsfernsehen vor dem Einsatz solcher Munition. Uranmunition gehöre "zu den schädlichsten und gefährlichsten für den Menschen", da der Uran-Kern radioaktiven Staub verursache und die Böden verseuche. "Wir haben ohne Übertreibung Hunderttausende solcher Geschosse", sagte er. Bisher seien sie aber nicht eingesetzt worden.

Die britische Armee verwendet seit Jahrzehnten abgereichertes Uran in panzerbrechenden Geschossen. Das Verteidigungsministerium in London warf Putin Falschinformation vor, nachdem er von einer "nuklearen Komponente" gesprochen hatte.

Was bedeutet Putins Schritt für den Krieg?

Wissenschaftler:innen werteten Putins Ankündigung überwiegend als Säbelrasseln. Das Institut for the study of war (ISW) kommt jüngst zu dem Schluss, dass Putins Ankündigung nichts an dem äußert geringen Risiko eines Atomkrieges ändere. Vielmehr versuche der Kremlchef die Ängste vor einer nuklearen Eskalation auszunutzen.

Zwar setze Russland atomwaffenfähige Waffen ein, trotzdem stufe das ISW Putin nach wie vor risikovermeidenden Akteur ein. Die Drohung habe vor allem das Ziel, die Entschlossenheit des Westens zu brechen. Ähnlich fasst Hans Kristensen von der auf Rüstungs- und Sicherheitsthemen spezialisierten Federation of American Scientists den Vorstoß zusammen: "Das ist ein Teil von Putins Versuch, die Nato einzuschüchtern."

Das US-Präsidialamt erklärte nach Putins Ankündigung, es sei weder ein Grund zur Änderung der US-Nuklearwaffenpolitik zu erkennen noch gebe es Anzeichen für Vorbereitungen Russlands zum Einsatz einer Nuklearwaffe. Ein hoher Regierungsbeamter sagte, Russland und Belarus hätten bereits seit dem vergangenen Jahr über eine solche Vereinbarung gesprochen.

(Mit Material der dpa)

Kein Rafah-Termin: Israels Verteidigungsminister widerspricht Netanjahu

Israels Verteidigungsminister Joav Galant hat Medienberichten zufolge seinem US-Kollegen Llyod Austin mitgeteilt, dass es noch keinen Termin für eine Bodenoffensive gegen die Stadt Rafah im Gazastreifen gibt. Galant habe damit der Darstellung seines Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu widersprochen, berichteten am Dienstagabend übereinstimmend die israelischen Zeitungen "Haaretz", "Times of Israel" sowie das Nachrichtenportal "Axios" unter Berufung auf informierte Quellen.

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