Die Räumlichkeiten der EU in Brüssel erinnern an Hogwarts. Nicht etwa, weil die europäischen Parlamentarier:innen in einem alten Schloss arbeiten, in dem sich Menschen in Porträts bewegen oder das Abendessen wie durch Zauberhand auf den Tischen erscheint. Wie in Hogwarts aber sind die Gebäudeteile, in denen die verschiedenen Institutionen sitzen, nach den Begründer:innen der EU benannt.
So gibt es das Paul-Henri-Spaak-Gebäude, in dem das EU-Parlament tagt. Benannt ist es nach dem belgischen Politiker, der die Entwicklung der europäischen Institutionen maßgeblich mitgeprägt hat.
Anders als in Hogwarts ändern die Treppen im EU-Parlament zwar nicht ihre Richtung – trotzdem kann man sich im Gebäudekomplex verlaufen. Denn einen Übergang zu allen Gebäudeteilen gibt es nur in der dritten Etage. Wie in einem Bienenstock wuseln dort also Abgeordnete, Mitarbeitende, Journalist:innen, Lobbyist:innen und Besuchergruppen durcheinander.
Nicht selten rennen Menschen nebeneinander her, updaten sich schnell auf dem Weg von A nach B und gehen binnen weniger Minuten wieder auseinander. Was in Brüssel entschieden wird, hat starke Auswirkungen auf die Gesetzgebung in den Mitgliedsstaaten. Unwichtig, wie viele behaupten, ist die EU also bei weitem nicht.
Doch wie läuft der Gesetzgebungsprozess in Brüssel überhaupt ab? Was hat es mit den unterschiedlichen Institutionen auf sich? Watson klärt die wichtigsten Fragen.
Im Europäischen Parlament sitzen die gewählten Abgeordneten Europas. Das Parlament ist das einzige EU-Organ, das von den Bürger:innen der Union gewählt wird. In diesem Jahr findet die Europawahl zwischen dem 6. und 9. Juni statt. Die Mitgliedsstaaten schicken je nach Größe unterschiedlich viele Abgeordnete nach Europa.
Deutschland hat als Land mit den meisten Einwohner:innen 96 Abgeordnete aus verschiedenen Parteien. Die Gewählten schließen sich in Brüssel europäischen Gruppen an. Aktuell gibt es sieben Fraktionen:
Aktuell sitzen 705 Abgeordnete im Parlament, die größte Gruppe ist die der Konservativen. Präsidentin des Parlaments ist aktuell die konservative Roberta Metsola aus Malta. In insgesamt 27 Ausschüssen arbeiten die Abgeordneten am Gesetzgebungsprozess mit und sie bestätigen die Kommissar:innen der Kommission.
Aktuell ist die Präsidentin der Kommission die deutsche Christdemokratin Ursula von der Leyen. Sie sitzt an der Spitze der Institution, die maßgeblich für die Einbringung von Gesetzesvorschlägen verantwortlich ist. Das EP hat nämlich nur im Bereich der Verfassung ein Initiativrecht. Alle anderen Gesetze kommen von oben – allerdings können sowohl der Europäische Rat, als auch das EP mit den jeweiligen Mehrheiten dafür sorgen, dass die Kommission entsprechende Gesetze vorschlägt.
Gewählt werden die Mitglieder der Kommission dabei nicht demokratisch. Vielmehr werden die Kandidat:innen für das Amt der oder des Kommissionspräsident:in von den Staats- und Regierungschefs der Mitgliedsstaaten vorgeschlagen. Jeder Mitgliedsstaat stellt am Ende eine:n Kommissar:in – das Land, aus dem der oder die Präsident:in stammt, stellt kein weiteres Mitglied. Um gewählt zu werden, benötigt der oder die Kandidat:in die Unterstützung der Mehrheit der Abgeordneten im Parlament.
Der Rest des Teams wird dann von der jeweiligen Spitze zusammengesetzt – wobei diese Vorschläge aus den EU-Mitgliedsstaaten berücksichtigt. Im Grunde nominieren also die EU-Staaten ihre Kandidat:innen selbst – und segnen die Auswahl des oder der Kommissionspräsident:in schließlich ab. Die Nominierten werden letztlich ebenfalls vom Parlament im Amt bestätigt, nachdem sie dort ihre Visionen vorstellen mussten. Der Europäische Rat muss die neuen Kommissar:innen schließlich mit qualifizierter Mehrheit ernennen.
Der Europäischen Rat setzt sich aus den Staats- und Regierungschef:innen der 27 EU-Mitgliedstaaten, dem oder der Präsident:in des Europäischen Rates und dem oder der Präsident:in der Europäischen Kommission zusammen. Sie bestimmen gemeinsam die politische Agenda der EU. Dafür treffen sich die Staatsoberhäupter mindestens viermal jährlich. Das Gremium kann keine Gesetze, beziehungsweise Rechtsakte erlassen.
Der Rat der EU, auch Minister:innen-Rat genannt, gilt als wichtigstes Organ im EU-Gesetzgebungsprozess. Der Rat der EU vertritt die Mitgliedsstaaten in Brüssel – Mitglieder sind die Minister:innen der jeweiligen Regierungen. An den Tagungen des Rates nimmt somit jeweils die Fachminister:in teil. Geht es beispielsweise um das Gemeinsame Europäische Asylrecht (GEAS) verhandeln die Innenminister:innen der Länder. Die Vertreter:innen verhandeln verbindlich für ihre jeweilige Regierung.
Nachdem die Kommission einen Rechtsakt vorgeschlagen hat, geht es in Parlament darum, eine gemeinsame Position zu finden. Auch die Minister:innen der Länder verhandeln miteinander, wie sich der Rat der Europäischen Union dazu verhält. Weil sich im Parlament für diese Meinungsfindung keine 705 Abgeordneten über das Gesetz streiten können, werden die Rechtsakte in die zuständigen Ausschüsse gegeben.
Um die konkreten Gesetzesvorschläge kümmert sich aber auch nicht der ganze Ausschuss, stattdessen verhandeln sogenannte Schattenberichterstatter:innen und ein Berichterstatter miteinander. Das heißt: Handelt es sich beispielsweise um einen Rechtsakt, der sich mit dem Wahlrecht der EU befasst, wird dieser im Ausschuss für Verfassungsfragen behandelt. Dort findet sich ein:e Abgeordnete:r je Fraktion zu einer Untergruppe zusammen. Konkret verhandeln dann also sieben Menschen (und ihre Teams) über die Positionen des Parlamentes. Die sogenannten Schatten vertreten somit die Meinung ihrer gesamten Fraktion.
Ein:e Abgeordnete, die bei diesem Treffen dabei ist, ist außerdem der oder die offizielle Berichterstatter:in. Die Aufgabe: Sie oder er muss die gemeinsame Position des Parlaments im Trilog verteidigen und gemeinsam mit Kommission und Rat der EU einen Konsens finden.
Im sogenannten Trilog verhandelt der Rat der EU mit Vertreter:innen des Parlamentes über die von der Kommission vorgeschlagenen Gesetze, ehe diese verabschiedet werden. Der oder die Vorsitzende des Ausschusses und die Berichterstatter:in des Parlaments setzt sich dabei für die Positionierung des EP ein, die Vertreter:innen des Rats für die der Länder.
Letztlich haben die Verhandler:innen eine Tabelle mit vier Spalten: Nebeneinander stehen der Gesetzesvorschlag der Kommission, die Änderungswünsche des Parlaments, die Positionierung des Rates und eine letzte Spalte für die gemeinsame Einigung. Die Trilogverhandlungen finden hinter verschlossenen Türen statt. Genau deshalb wird diese Art der Gesetzgebung auch von vielen Seiten kritisiert: durch die Intransparenz ist Kontrolle kaum möglich.
Der Trilog gilt außerdem als Schnellverfahren – er ist dafür da, für Einigkeit zwischen Rat und EP zu sorgen, ehe das Gesetz in die Abstimmung im Parlament geht. Einigen sich Parlament und Rat nämlich nicht, muss ein Vermittlungsausschuss einberufen werden, dort muss dann innerhalb von sechs Wochen eine Einigung erzielt werden.
Bei einigen Gesetzesvorhaben ist eine Einstimmigkeit des Ministerrates erforderlich. Dabei handelt es sich um Gesetze, die die Staaten als sensibel betrachten. Also etwa im Bereich der Außen- oder Sicherheitspolitik oder Beitrittkandidaten. Für andere Vorhaben reicht die qualifizierte Mehrheit. Das bedeutet, dass 55 Prozent der Mitgliedsstaaten, die 65 Prozent der Bevölkerung ausmachen, mit Ja stimmen müssen.
Die meisten Beschlüsse werden im Rat mit der qualifizierten Mehrheit gefasst.