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Krieg in Gaza: Social-Media-Plattform Bluesky sperrt Hilferufe

Palestinians collect humanitarian aid packages from the United Arab Emirates after they were airdropped into Deir al-Balah, in central Gaza Strip, Saturday, Aug. 9, 2025. (AP Photo/Abdel Kareem Hana)
Die Hungerkrise im Gaza-Streifen hat katastrophale Ausmaße angenommen.Bild: AP / Abdel Kareem Hana
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Krieg in Gaza: Social-Media-Plattform Bluesky sperrt Hilfesuchende

Seit einem halben Jahr erstellt Hanin Al-Batsh immer wieder neue Bluesky-Accounts – mehr als 80 an der Zahl. Jede Woche hofft die Mutter aus Gaza, so genügend Spenden für etwas Essbares für ihre Kinder zu sammeln.
10.08.2025, 08:5410.08.2025, 08:54

Die humanitäre Lage in Gaza ist katastrophal. Lebensmittel sind rar und unbezahlbar, Hilfslieferungen sind heißumkämpft oder erreichen nicht ihr Ziel. Für Familien wie die von Hanin Al-Batsh ist Online-Crowdfunding zur letzten Rettung geworden.

Bluesky sperrt Spendenaufrufe von hungernden Familien in Gaza

Dabei ist vor allem die X-Alternative Bluesky in Gaza eine wichtige Social-Media-Plattform, um auf ihre Situation aufmerksam zu machen. Doch viele Hilfesuchende geraten ins Visier der automatischen Spamfilter.

Denn wer immer wieder neue Accounts erstellt, wirkt auf die Algorithmen wie ein Bot – genau das, was die Plattform verhindern will. Die Folge: echte Hilferufe verschwinden aus den Feeds.

In ihren Posts beschreibt Hanin Al-Batsh offen die Unterernährung ihrer Söhne, doch sie werden nur wenigen angezeigt. Die Fotos zeigen ihre sichtlich erschöpften Kinder inmitten von Schutt und Asche in Gaza. So macht sie auf die Missstände aufmerksam und erhofft sich zusätzliches Geld.

Damit ist sie nicht alleine. Auch Duaa Al-Madhoun ringt täglich darum, ihre drei Kinder zu ernähren. Windeln und Milch sind fast nicht mehr aufzutreiben, und wenn, dann zu unerschwinglichen Preisen. "Mein Kind trägt Plastiktüten statt Windeln. Er leidet unter Windelausschlag", erklärte Al-Madhoun dem "Guardian".

"Essen ist knapp und sehr teuer. Wenn es etwas gibt, esse ich nur etwas Reis."
Duaa Al-Madhoun laut dem "Guardian".

Jede Kontosperre bedeutet für diese Familien weniger Sichtbarkeit – und damit weniger Chancen, genug Geld für das Nötigste zu sammeln.

Spendenaufrufe aus Gaza werden von deutscher Aktivistin verifiziert

Im Mai 2025 begann die in Deutschland lebende Aktivistin Molly Shah daher, Hilfesuchende zu prüfen – per Videoanruf, durch persönliche Kontakte oder mit Dokumenten.

Wer als echt gilt, darf den grünen Haken und den Schriftzug "Verified by Molly Shah" im Profil tragen. Was mit einer einzigen Empfehlung begann – 2024 half sie einem Bekannten, 10.000 Dollar zu sammeln – ist heute ein Verzeichnis von mehr als 300 verifizierten Profilen.

"Die Verifizierung scheint den Menschen zu helfen zu erkennen, dass es sich um echte Personen handelt. Ich sehe es als [einen Beitrag zum Kampf gegen] die anhaltende und beharrliche Entmenschlichung der Palästinenser:innen", erklärte sie dem "Guardian".

Wenn Shah eine Kampagne teilt, macht sich das sofort bemerkbar. Bei Al-Batsh gingen innerhalb von zwei Tagen zehn Spenden zwischen fünf und 505 Dollar ein – zuvor waren es höchstens zwei oder drei am Tag.

Doch Shah stößt an ihre Grenzen, denn Verifizierungen sind aufwendig. Sie veröffentlicht daher nur noch eine Kampagne täglich und manche müssen wochenlang warten, bevor sie von ihr geprüft werden können.

Verhungernde Bevölkerung in Gaza von Betrügern ausgenutzt

Also greifen viele Betroffene auf Unterstützungsangebote zurück. Da gängige Zahlungsdienste in Gaza nicht funktionieren, sind Betroffene beispielsweise auf Mittelsleute im Ausland angewiesen.

Diese "Receiver" richten die Kampagnen ein, sammeln die Spenden ein und leiten das Geld weiter. Das schafft jedoch Abhängigkeiten – und eine Menge Raum für Missbrauch.

Al-Batsh erlebte es selbst: Bei ihrer ersten GoFundMe-Kampagne behielt die Organisatorin in den USA einen Teil der fast 37.000 Dollar ein. Den Rest habe Al-Batsh nie erhalten. Die Aktivistin Shah berichtet, dass solche Fälle kein Einzelfall sind.

Bluesky reagiert verhalten auf tausende Beschwerden

Mehrere offene Briefe mit Tausenden Unterschriften fordern Bluesky auf, seine Moderationspraxis zu ändern. In einem dieser Schreiben heißt es laut dem "Guardian":

"Eine Gruppe extrem verletzlicher Menschen so zu behandeln wie Bots und Phishing-Betrüger ist nicht nur unglaublich grausam, sondern hat auch die Lage verzweifelter Menschen, die einfach nur zu überleben versuchen, noch verschlimmert."

Bluesky betonte laut dem "Guardian", man wolle Stimmen aus Gaza hörbar machen, verweist aber auf Regelverstöße und empfiehlt die Nutzung "authentischer Accounts".

Shah ist überzeugt, dass Bluesky zu Beginn des Kriegs die Chance hatte, seine Systeme so anzupassen, dass echte Hilferufe nicht im Spamfilter verschwinden. Diese Gelegenheit sei verpasst worden. Shah erklärt der Zeitung: "Es klingt, als würde Bluesky sagen: 'Wir werden Spammer los' – in Wahrheit aber werden sie Menschen los, die verzweifelt sind."

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