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Antisemitismus: Ben Salomo ist bei letzter "Rap am Mittwoch"-Show nicht dabei

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Wegen Drohungen: Ben Salomo wird bei letzter "Rap am Mittwoch"-Show nicht dabei sein

29.04.2018, 14:0201.05.2018, 09:32
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Die Rap-Szene sei ihm zu antisemitisch, deshalb werde er sich zurückziehen. Das hatte der 40-jährige Deutschrapper Ben Salomo in einem Interview mit der "Berliner Morgenpost" mitgeteilt.

Vor einigen Tagen verkündete Ben Salomo dann exklusiv bei watson das Ende der größten deutschen Battle-Show:

Dies teilte er auch auf seiner Facebook-Seite mit, unter dem Post fanden sich Hunderte Kommentare. 

Die Nachricht schockierte viele Fans: Seit mehr als 20 Jahren war Salomo im Rap-Geschäft, darunter acht Jahre als Moderator von "Rap am Mittwoch".

Auch außerhalb der Rapszene machte das Statement inmitten der Echo-Debatte um die Preisträger Kollegah und Farid Bang Schlagzeilen.

Watson hat eine Woche später bei Ben Salomo nachgefragt. Der gab nun bekannt:

"Ich werde bei der letzten Show im Mai nicht dabei sein, das ist mir wirklich ein bisschen zu gefährlich."

Er habe bedrohliche Nachrichten auf Facebook bekommen und wolle sich keinem unnötigen Risiko aussetzen.

Hier das ganze Interview:

Vor einer Woche hast du das Ende von "Rap am Mittwoch" bekanntgegeben. Wie ist es dir seither ergangen?

Es war verrückt. Zwischenzeitlich auch ein bisschen belastend. Mein Telefon stand nicht mehr still, sehr viele Medien, Radiosender usw. wollten mehr über meine Beweggründe erfahren.

Unter meinem Facebook-Post gab es einen Shitstorm.

Mir wurde unter anderem vorgeworfen, ich würde das nur aus Promo-Gründen machen. Aber ich habe nichts zu verkaufen. Ich habe kein Buch, kein aktuelles Album, kein Merchandise.
Für mich ist das hier kein Entertainment
Ich werde auf der Straße von Leuten, die mich vorher vielleicht angesprochen hätten, um mit mir ein Foto zu machen, nun misstrauisch angeschaut. Es wird hinter meinem Rücken getuschelt. Das sind die Erfahrungen, die ich jetzt mache. Die Entscheidung war trotzdem richtig und eine Entlastung für mich. 

Es gab auch viele private Nachrichten von Menschen, sie mich unterstützen, aber sich nicht trauen, ihre Meinung öffentlich zu äußern. Viele haben mir geschrieben: "Ey, du machst das genau richtig."

Hast du erwartet, dass dein Rücktritt solche Diskussionen verursacht?

Überhaupt nicht. Ich dachte, das alles würde eher unter dem Radar bleiben – blieb es dann nicht. Vielleicht ist das ganz gut so, denn auf diese Weise konnte ich meinen Protest auf eine größere Ebene bringen.

Gab es mehr Hass oder Zuspruch für deine Entscheidung?

Ich finde: Wichtig ist nicht unbedingt die Menge, sondern welche Leute es sind. Dass ich teils viel Hass bekommen habe, wundert mich gar nicht. Denn das, was ich in der Rap-Szene beschreibe, wurde in vielen Kommentaren deutlich zum Ausdruck gebracht und ist nun auch für viele andere, die das vorher nicht wahrnehmen konnten, sichtbar.  

Aber wenn Leute, die mir wichtig sind, von deren Meinung ich wirklich etwas halte, mir Zuspruch geben, dann ist mir das mehr wert als 1.000 Leute, die mich für meine Entscheidung hassen.

Kam der Zuspruch auch von Kollegen?

Ja, es sind vereinzelt auch Kollegen, aber ich kann keine Namen nennen.

Es gab Leute aus der Rap-Szene, die mir sagen: "Dicka, ich verstehe das, du hast da schon lange genug mit rumgekämpft, aber ich traue mich jetzt nicht, das öffentlich zu sagen, denn ich will nicht so viel negatives oder so einen Shitstorm in meinem Leben haben".  

Außerdem sagte mir jemand, bei diesen ganzen Verstrickungen mit irgendwelchen kriminellen Clans innerhalb der Szene, könne man sich nicht sicher sein, wenn man sich öffentlich auf meine Seite stellt, ob einen da nicht irgendwelche Leute unaufgefordert besuchen kommen. Solche Sachen wurden mir in privaten Nachrichten geschrieben oder persönlich gesagt.

Kool Savas hat dein Interview mit der Überschrift "RIP Rap am Mittwoch" geteilt – empfindest du das als solidarisch?

Kool Savas hat das meiner Meinung nach ziemlich wertefrei geteilt. Er hat einfach nur die Tatsache beschrieben, dass "Rap am Mittwoch" aufhört, vielleicht etwas mit einem weinenden Auge.

Aber als Solidarität kann ich das nicht wirklich bezeichnen, denn meine Beweggründe sind in seinem Post nicht zur Sprache gekommen. Daher habe ich das nicht allzu sehr verfolgt. 

Ein Hauptargument in den Kommentaren war: "Auf der Bühne wurden alle beleidigt, auch Frauen mit Kopftuch". Was sagst du dazu?

Was viele nicht verstehen: Mir geht es viel weniger um das, was auf der Bühne gesagt wird, sondern um das, was hinter den Kulissen abgeht. Wenn man von der Bühne runter geht, sollten solche Aussagen und Denkweisen auf jeden Fall aufhören. Und das passiert in weiten Teilen der Rap-Szene, insbesondere unter den Künstlern mit den höchsten Verkaufszahlen, leider nicht. Und das ist mein Problem.

Ich rede doch viel mehr davon, wie mir Menschen innerhalb der Rap-Szene begegnet sind. Das sind auch Manager, Leute, die mit den Rappern rumhängen. 
Die Rapper selbst sind nur die Spitze des Eisbergs.
Was darunter liegt, das ist auch Teil der Szene– die Entourage und natürlich die Fans. Und da ist eine große Menge an realem Antisemitismus, Rassismus, Homophobie und Frauenverachtung zu finden.   

Es gibt auch einige Moderatorinnen, die sich aus der Rap-Szene zurückgezogen haben, weil sie gesagt haben "Diese Fanbase ist mir einfach zu frauenfeindlich". Da muss sich die Rap-Szene wirklich mal Gedanken machen, wie viele "ismen" in ihrem eigenen Kosmos existieren und ob das noch mit den Hip-Hop-Werten wie Toleranz und Respekt zusammenpasst.   

Wenn man zu einem Boxkampf geht, weiß man: Die beiden Kontrahenten werden sich auf die Schnauze hauen. Aber es ist einfach nicht möglich, dass diese Boxer dann aus dem Ring gehen und irgendwelche Zuschauer oder Menschen auf der Straße schlagen. Wenn der Boxkampf beendet ist, gelten die Regeln der Gesellschaft. 
Die Würde des Menschen ist unantastbar.
Und da sehe ich in der Hip-Hop-Szene sehr viele Menschen, die die Würde in Bezug auf Juden nicht achten. Die Würde von Homosexuellen nicht achten. Oder von Frauen nicht achten. Oder von Menschen mit einer anderen Hautfarbe. Das ist da alles vertreten.

Denkst du, dass dein Rücktritt ein Umdenken innerhalb der Szene in Bewegung setzen wird?

Ich hoffe das natürlich sehr, aber finde sowas langfristig schwer zu beurteilen. Im Moment sehe ich das innerhalb der Szene nicht wirklich kommen.  

Was ich aber sehe: Die Medien außerhalb der Hip-Hop-Szene nehmen gerade alles ganz genau unter die Lupe. Dadurch, dass ich nun vieles bestätigen kann, was schon sehr lange von außenstehenden Medien über die Hip-Hop-Szene gesagt wurde, geht der Rap-Szene eines ihrer Totschlagargumente verloren. Dieses Totschlagargument war bisher: 
"Ihr seid nicht Teil der Kultur, ihr versteht nicht, wie wir denken und wie wir sprechen."
Das ist nicht wahr, denn ich bin Teil dieser Kultur. Ich verstehe, wie die Leute denken und sprechen. Und ich weiß auch, was Battle-Rap ist.

Die letzte Show im Mai ist in Hamburg. Erwartest du negatives Feedback vom Publikum?

Erstmal ist es wichtig, zu betonen: Ich habe "Rap am Mittwoch" aus Protest aufgegeben, weil ich die Schnauze voll hatte. Nicht, weil es nicht erfolgreich war. Ich hätte das noch viele Jahre weitermachen können, aber eben nicht unter diesen Umständen.  

Was die letzte Show angeht: Nachdem ich auch von einigen Absendern bedrohliche Nachrichten bekommen habe, in denen steht: "Wenn ich dich da oder da sehe, dann...", muss ich ehrlich sagen, ist es mir gerade wirklich ein bisschen zu gefährlich. 
Daher werde ich im Mai bei der letzten Show nicht dabei sein.
Mein Team wird das zu Ende bringen. Das ist natürlich kein würdiger Abschluss für 8 Jahre. Aber man muss sich auch mal fragen, wie würdig ist diese Hip-Hop-Szene denn im Moment?   

Und wenn dort die Menschenwürde nicht geachtet wird – und das ist in vielen Teilen offensichtlich – dann kann man auch schwer einen würdevollen Abschluss machen.

Du hast so heftige Bedrohungen erhalten, dass du zu deiner eigenen, letzten Show nicht gehen kannst?

Ich bekam auf jeden Fall bedrohliche Privatnachrichten auf Facebook und Instagram. Und ich kann nicht berechnen, was für Menschen in der Crowd sind. Dieser Gefahr möchte ich mich im Moment nicht aussetzen.  

Es ist eben so: Man weiß bevor man in ein Flugzeug steigt, dass es abstürzen kann. Man fliegt aber trotzdem mit. Das war bisher all die Jahre so, ich konnte ja nie wissen, wer so im Publikum ist.  

Aber es ist natürlich etwas anderes, wenn man jetzt ganz genau weiß: Auf einer bestimmten Fluglinie sind Turbulenzen und ein Sturm möglich. Dann muss man nicht ins Flugzeug steigen und sich dieser Gefahr aussetzen.

Und es gab explizite Drohungen für die Show in Hamburg?

Ja. Mir wurde geschrieben: "Du wirst schon sehen, wir sehen uns in Hamburg" und anderes. Viele Kommentare unter meinem Post habe ich aber auch gelöscht.
Ich habe darüber nachgedacht und festgestellt: Ich kann das nicht kontrollieren.
Und wenn ich vor Ort bin, und da etwas passiert, wird es ohnehin kein würdiger Abschluss. Wenn ich nicht da bin und die Leute machen die Show einfach wie sonst auch, dann bringen sie es eher in Ruhe zu Ende.

Kannst du die Nachrichten jemandem zuordnen?

Nein, meistens sind das Fake-Profile oder für Hate erstellte Profile. Das sind keine Leute, die ich speziell kenne.

Machst du dir jetzt auch abseits der Show in Hamburg Sorgen um deine Sicherheit?

Naja, also bei manchen Nachrichten denke ich schon: "Was ist, wenn ich genau dann mit meiner Familie unterwegs bin?". Bedrohliche Leute existieren ja in der Szene. Aber ich versuche, nicht zu sehr an diesen Gedanken festzuhalten, und mein Leben weiter zu leben.
Womit ich aber nicht aufhören werde: Die Probleme innerhalb der Rap-Szene und der Gesellschaft, im Hinblick auf Antisemitismus und Intoleranz, weiter zu thematisieren.