Norwegen: Zeitungen holen die Gen Z zurück – mit Gratis-Abo und KI
Stundenlanges Scrollen durch Tiktok- oder Instagram-Feeds, aus Langeweile Fotos auf Snapchat schicken, Headlines überfliegen. Das alles ist vor allem bei der Gen Z und Jüngeren gängiger als das Lesen langer Artikel oder gar Print-Zeitungen.
Medienhäuser weltweit kämpfen darum, nicht den Anschluss an die Generation zu verlieren, die Demokratie und öffentliche Debatten einmal tragen soll. Gleichzeitig warnen Faktenchecker:innen und Forschende immer wieder vor Desinformation, die besonders junge Zielgruppen auf Social Media trifft – etwa prorussische oder andere spaltende Narrative auf Tiktok.
Während Verlage in Deutschland über sinkende Abos und weniger Anzeigen klagen, zeichnet sich in Norwegen ein Gegenbeispiel ab. Verlage dort setzen auf radikale Maßnahmen: Gratiszugang für Teenager:innen – und künstliche Intelligenz im Newsroom. Die Effekte sind bereits bemerkenswert.
Norwegen hat es geschafft: Gen Z liest wieder Zeitung
Das Kernproblem der Branche: In Norwegen sind mehr als 75 Prozent der zahlenden Zeitungsleser:innen über 70 Jahre alt. Beim größten Zeitungshaus Amedi sind nur rund zwölf Prozent unter 40 Jahre. Zum Konzern gehören 120 Zeitungen, vom Nordkap bis zur Südküste.
Seit Sommer gibt es ein bundesweites Digitalabo gratis für alle unter 21. Über den digitalen Personalausweis wird das Alter geprüft, damit niemand sich das Abo erschleichen kann. 400.000 Menschen fallen in die Zielgruppe.
Die Botschaft des Konzerns ist ungewöhnlich deutlich: "Junge Menschen beziehen ihre Informationen zunehmend von zynischen Plattformen, auf denen oft Fehlinformationen, Verschwörungstheorien und Propaganda vorherrschen", sagte Projektleiterin Marte Ingul laut "Tagesspiegel" bei der Vorstellung im Juni.
Das stehe im "krassen Gegensatz zu unseren von Herausgebern kontrollierten Zeitungen, deren Aufgabe es ist, über die wichtigsten Dinge zu berichten, die dort passieren, wo die Menschen leben und wo die Demokratie beginnt".
Natürlich geht es am Ende auch ums Geschäft: Noch schreibt Amedia schwarze Zahlen – vier Milliarden Kronen (344 Millionen Euro) Umsatz, 128 Millionen Kronen Gewinn. Doch der Trend zeigt nach unten. Das Gratisabo ist nicht nur ein PR-Stunt, sondern Überlebensstrategie.
Überraschung: Junge Männer klicken plötzlich Nachrichten
Sechs Monate später zieht das Unternehmen Bilanz – und klingt euphorisch. "Wir sind absolut begeistert von den Ergebnissen", sagt Helene Wille Lund, Projektleiterin für Jugendkommunikation, dem "Tagesspiegel". Rund 66.000 registrierte Nutzer:innen zwischen 15 und 20 Jahren, täglich kommen etwa 300 dazu.
"Das zeigt deutlich, dass junge Menschen gern auf faktengeprüften und ausgewogenen Journalismus setzen." Besonders bemerkenswert: Mehr als die Hälfte der jungen Neuleser:innen seien männlich. In Norwegen zeigte eine Studie zuletzt, dass jeder vierte Junge kaum Vertrauen in Medien hat. "Daher ist ihr starkes Engagement für unsere redaktionellen Inhalte für uns ein besonders wichtiges und positives Signal", sagt Lund.
Und was lesen junge Norweger:innen? Ähnliches wie ihre Eltern: Kriminalität & Justiz, Wirtschaft und Sport dominieren. Krise verbindet offenbar Generationen.
KI im Lokaljournalismus: schneller, tiefer, effizienter
Neben Gratiszugang testet Norwegen einen zweiten Hebel: KI in Redaktionen. Während hierzulande KI-Debatten oft mit Sorge geführt werden, sieht man im Norden eher Chancen. Ein Beispiel: "iTromsø", eine kleine Lokalzeitung weit über dem Polarkreis. Seit zweieinhalb Jahren nutzt sie selbst entwickelte KI-Tools für Datenjournalismus.
Jeden Monat scannt die Software über 12.000 Dokumente aus Behörden und Archiven, sortiert sie und extrahiert Relevantes. "Was mich früher anderthalb Stunden kostete, dauert jetzt nur noch zehn Minuten, und wir entdecken Geschichten, die uns sonst entgangen wären", sagte KI-Chef Lars Adrian Giske 2023. Das Ergebnis: fast 15 Prozent mehr Digitalabos seit 2022 – und mehrere Journalismuspreise.
Auch Amedia setzt KI intern ein: nicht zum Schreiben, sondern zur Recherche und Datenanalyse. Ziel: journalistische Qualität sichern, während der Markt schrumpft. 16 Prozent der norwegischen Jugendlichen haben sich bereits für das digitale Angebot von Amedia registriert.
