Marihuana als gesellschaftlich akzeptiertes Genussmittel (Symbolbild), das sieht eine Drogenberaterin als zielführend – auch um Menschen von den Gefahren des Schwarzmarktes wegzubringen.Bild: iStockphoto / The Cannabiz Agency
Interview
"Faktisch, medizinisch und gesellschaftlich keine Nachteile": Drogenberaterin über Cannabis-Legalisierung
Deutschland stand wohl noch nie so kurz davor, Cannabis zu legalisieren. Alle Parteien der Ampel-Sondierungsgespräche befürworten zumindest eine kontrollierte Abgabe des Rauschmittels. Auch SPD-Gesundheitsminister Karl Lauterbach sagte, er würde einer Legalisierung zustimmen. Seine Begründung: "Immer häufiger wird dem illegal verkauften Straßencannabis neuartiges Heroin beigemischt, das sich rauchen lässt." Er sieht eine Gefährdung der Konsumenten.
Die Tendenz geht von einer Verbots- zu einer Akzeptanzpolitik. Die Freigabe von Cannabis wird ausgiebig diskutiert – mit allen Vor- und Nachteilen. Christine Kluge Haberkorn ist seit 2001 die halb-ehrenamtliche Geschäftsführerin von Akzept e.V., einem Zusammenschluss von Praktikern und Forschern, Professionellen und Betroffenen, Sozialarbeitern, Medizinern und Juristen. Der Verein versteht sich als "eine Gegenbewegung gegenüber bevormundender, ausschließlich abstinenz-orientierter Arbeit" mit Drogenkonsumenten. Mit watson unterhält sich die 76-Jährige darüber, was eine akzeptanzorientierte Drogenpolitik bedeutet und erläutert Vor- und Nachteile einer Cannabis-Legalisierung.
"Es geht darum, Drogenkonsumenten, die Hilfebedarf haben, dort anzusprechen, wo sie gerade stehen."
Christine Kluge Haberkorn über eine akzeptanzorientiert Drogenpolitik.
watson: Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach sagte, er unterstütze die Legalisierung von Cannabis, weil er Sorge habe, dass immer mehr Gras mit Heroin gestreckt würde. Wie häufig ist Ihnen das untergekommen?
Kluge Haberkorn: Es kommen dauernd Meldungen, dass Gras mit irgendwas gestreckt wird. Die Einzelfälle habe ich nicht weiter verfolgt. Solange die Substanzen auf dem Schwarzmarkt verkauft werden, ist keine Qualitätskontrolle möglich, deswegen sind wir auch für Drug Checking, damit jeder, der Substanzen erwirbt, auch klären kann, ob diese sauber sind.
Drug Checking, also die Möglichkeit für Konsumenten, ihre Drogen auf Verunreinigen testen zu lassen, ist in Deutschland nicht zugelassen. Was hat dieses Konzept für einen Nutzen?
Konsumenten, die bisher ihre Substanzen auf dem Schwarzmarkt erwerben müssen, könnten die Substanzen anonym auf Zusammensetzung und Reinheit testen. Damit ließen sich viele Gefahren des Konsums verhindern.
Der Konsumraum der Drogenhilfeeinrichtung "eastside" in Frankfurt/Main.Bild: dpa / Frank May
Drug Checking ist auch ein wichtiger Ansatz in der akzeptanzorientierten Drogenpolitik. Können Sie beschreiben, worum es in dieser Art der Politik geht?
Es geht darum, Drogenkonsumenten, die Hilfebedarf haben, dort anzusprechen, wo sie gerade stehen. Der Gegensatz wären Hilfeangebote, die sagen: Wir helfen dir, aber nur unter der Bedingung, dass du clean bleibst.
Was passiert mit den Menschen bei einem solchen Ansatz?
Für die heißt das: Kalter Entzug und wenn sie rückfällig werden, dann fliegen sie raus und landen, wo sie vorher waren.
Und bei Ihnen passiert das nicht?
Wer Hilfe braucht, für den stehen wir zur Verfügung. Bei Heroinkonsum versuchen wir die Menschen in eine Substitutionsbehandlung, also den Austausch der Droge mit einem anderen Wirkstoff, zu bekommen. Damit kommen die Konsumierenden zur Beratung und man kann ihre gesundheitlichen Probleme behandeln.
"Wir versuchen den Leuten zu zeigen, wie sie risikoärmer konsumieren können – risikolos ist der Konsum nie."
Christine Kluge Haberkorn über die Drogenberatung.
Wie hilft das den Menschen?
Wir versuchen den Leuten zu zeigen, wie sie risikoärmer konsumieren können – risikolos ist der Konsum nie. Aber solche Angebote waren bei unserer Gründung vor 30 Jahren ein fernes Ziel. Mittlerweile gehören Drogenkonsumräume, Spritzentausch, Substitutionsbehandlungen und die Originalstoffvergabe bei Heroinkonsum zum State of the Art.
Zumindest bezüglich Cannabis sprechen die Sondierungsparteien über eine Entkriminalisierung. Was wäre Ihr Ziel?
Unser Ziel ist die Legalisierung, das heißt nicht, dass man Cannabis wie Zigaretten am nächsten Automaten kaufen kann. Wir sind für eine Entkriminalisierung und eine kontrollierte Freigabe.
Hätte das einen Einfluss auf die Sauberkeit der Drogen und dadurch die Sicherheit der Konsumenten?
Auf jeden Fall, weil die Abgabestellen eine Verantwortung tragen – so wie auch eine Apotheke keine gepanschten Medikamente abgeben kann. Das heißt auch, dass der Stoff unter Kontrolle produziert und angebaut wurde. Auch beim Jugendschutz wäre man viel sicherer, wobei man nie ausschließen kann, dass Jugendliche doch Schwarzmärkte aufsuchen.
"Im vergangenen Jahr gab es rund 74.000 Tote durch Alkohol. Bei Cannabis sind es null Tote."
Christine Kluge Haberkorn über das Risiko beim Cannabis-Konsum.
Was würde mit den Schwarzmärkten passieren?
Er würde in einigen Bereichen so schrumpfen, dass er kaum noch lohnenswert wäre. Die Gewinnerlöser werden ihre Kriminalität natürlich nicht an den Nagel hängen, sondern sich andere Felder suchen, das wäre dann aber Sache der Polizei.
Vor allem die Polizei und Justiz würden durch eine Entkriminalisierung entlastet.
Ein ganz hoher Prozentsatz der Drogenverfahren wird wegen Nichtigkeit eingestellt. Aber der Verfahrensvorlauf bindet Polizei und Justiz enorm. Allein die Einsparungen für den Polizeiaufwand würden sich auf rund eine Milliarde Euro belaufen, hat der Hanfverband ausgerechnet.
Ein wichtiger Punkt für die FDP: Könnte der Staat durch die Legalisierung von Cannabis mehr Steuergelder einnehmen?
So war es zumindest in den USA. Da es eine große Zahl von regelmäßigen Konsumenten in Deutschland gibt, die einen geregelten Lebenslauf haben und Cannabis konsumieren wie andere eben ähnliche Genussmittel, fallen da erhebliche Steuern an.
So wie die Tabak- oder die Alkoholsteuer. Ist denn Cannabis ähnlich gefährlich?
Im vergangenen Jahr gab es rund 74.000 Tote durch Alkohol. Bei Cannabis sind es null Tote. Eine Entkriminalisierung würde auch dem Gesundheitssystem helfen. Viele Konsumierende, die gesundheitliche Probleme haben, kommen erst dann, wenn es schon sehr spät und entsprechend teuer ist.
"Es gibt faktisch, medizinisch und gesellschaftlich keine Nachteile. Die Nachteile liegen ganz eindeutig auf der Seite der Kriminalisierung."
Christine Kluge Haberkorn über die Entkriminalisierung von Cannabis.
Dennoch sollte man Cannabis nicht verharmlosen – es ist besonders für junge Menschen gesundheitsschädlich.
Es ist ein Genussmittel, dass man genauso wenig verharmlosen sollte wie Alkohol. Aber wir sind dafür, das auf eine Stufe zu stellen. Alkohol ist ein Kavaliersdelikt. Wenn ich unter Alkoholeinfluss jemanden totfahre, bekomme ich mildernde Umstände. Wenn ich unter Cannabis-Einfluss einen Laternenpfahl umfahre, dann trifft mich die Härte des Gesetzes.
Sollte man dann nicht einfach auch Alkohol verbieten, anstatt Cannabis zu legalisieren?
Das wird in dieser Gesellschaft nicht möglich sein. Wir haben Rausch- und Genussmittel, seitdem es Menschen gibt. Wenn wir in einer freiheitlichen Gesellschaft leben, muss es möglich sein, dass Leute ihre Bedürfnisse befriedigen. Natürlich so, dass sie anderen und auch sich selbst möglichst nicht schaden. Weitere Verbote bringen weitere kriminelle Dunkelfelder.
Ein weiterer Kritikpunkt ist: Wenn man Cannabis legalisiert, dann steigt der Konsum.
Dem widersprechen die Erfahrungen aus den Ländern, in denen es bereits legal ist, wie den USA, Uruguay, Kanada und Portugal. Hier gibt es handfeste Studien, die nicht von der Cannabis-Industrie finanziert wurden.
Der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, wiederholte die bekannte Theorie: Cannabis sei eine "Einstiegsdroge". Ist das belegbar?
Das ist ein Märchen so alt, dass man nicht mal mehr drüber weinen kann. Cannabis-Beschaffung ist ein Einstieg in den Schwarzmarkt und der versucht, Konsumierende schon im Anfangsstadium auf Substanzen hochzupäppeln, die mehr Gewinn bringen. Wenn jemand legal Cannabis erwerben kann, dann kommt er mit dem Schwarzmarkt nicht mehr in Kontakt.
Wendt warnte auch davor, dass mehr Unfälle durch Cannabis im Straßenverkehr auftreten könnten. Wie schätzen Sie das ein?
Das ist eine Frage der Regulierung, genau wie bei Alkohol. Wobei Leute, die Cannabis konsumieren, das zu Genusszwecken und in einem entsprechenden Setting tun. Nicht, wenn sie gleich noch zur Arbeit oder für den Besuch bei der Tante über die Autobahn fahren. Sie konsumieren eher in einem entspannten Setting.
Für Sie ist es also Zeit für Veränderung bei der Cannabispolitik?
Es gibt faktisch, medizinisch und gesellschaftlich keine Nachteile. Die Nachteile liegen ganz eindeutig auf der Seite der Kriminalisierung. Und wenn das nicht so sicher und durch viele Untersuchungen gestützt wäre, dann würden wir das nicht vertreten. Es liegt uns am Wohl des Menschen und wir werden nicht von einem Ordnungsprinzip geleitet.
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