Deutschland
Bei Paragrafen kann einem schon mal schwindlig werden. Deshalb erklären wir den Streit um den Paragrafen 219a. Was sind die Positionen, wo gibt es die stärksten Texte zum Thema
12.04.2018, 19:0428.05.2018, 14:54
Sein Hobby: Anzeigen.
Markus Krause zeigt Ärzte an, die über Abtreibungen informieren. Für Krause reiner Selbstschutz, wie er in einem Interview mit der taz verrät. Er wolle sich damit vor "linken Abtreibungsbefürwörtern" schützen. Gerade als Mann sei er in solchen Fragen besonders objektiv.
"Ich mache das jetzt seit gut drei Jahren und habe, würde ich mal schätzen, 60 bis 70 Anzeigen erstattet. Das ist halt so mein Hobby."
Hobbystrafverfolger Martin K.taz Möglich macht diesen ungewöhnliche Zeitvertreib der Paragraf 219a. Er verbietet Ärzten, Abtreibungen öffentlich anzubieten und für Schwangerschaftsabbrüche zu werben.
Und darum geht es in der Diskussion
Die Gegner des Paragrafen 219a fordern ein Recht auf Information. Es gehe nicht um die Frage "Für" oder "Gegen" Abtreibungen, sondern darum, wie sich Frauen darüber bestmöglich informieren können. Gerade Ärzte fordern mehr Rechtssicherheit.
Was für die einen Aufklärung, ist für die anderen Werbung. Die Gegner der Gegner, also die Befürworter des Werbeverbots, lehnen die Änderung oder gar Streichung des Paragrafen 219a strikt ab. Sie fürchten um eine Aufweichung des Werbeverbotes.
Um diesen Paragrafen geht es
Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft
(1) Wer öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften (§ 11 Abs. 3) seines Vermögensvorteils wegen oder in grob anstößiger Weise
1. eigene oder fremde Dienste zur Vornahme oder Förderung eines Schwangerschaftsabbruchs oder
2. Mittel, Gegenstände oder Verfahren, die zum Abbruch der Schwangerschaft geeignet sind, unter Hinweis auf diese Eignung
anbietet, ankündigt, anpreist oder Erklärungen solchen Inhalts bekanntgibt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
stgb
Der Paragraf 219a stammt aus dem Jahre 1933. Er gehörte zu den ersten Gesetzen, die die Nationalsozialisten nach der Machtergreifung erließen.
Der Auslöser der Debatte
Auslöser der Debatte war ein Gerichtsurteil aus dem Jahr 2017. Die Gießener Ärztin Kristina Hänel hatte auf ihrer Homepage via Link über Schwangerschaftsabbrüche informiert und wurde zu einer Geldstrafe von 6000 Euro verurteilt.
Kristina HänelBild: dpa
Das sagte Kristina Hänel nach dem Urteil:
"Es ist natürlich für mich nicht schön, verurteilt zu sein. Aber für die Frauen ist es positiv. Das Urteil hat vielen Menschen, auch Politikern, zumindest das Problem bewusstgemacht: Ärzte dürfen einen Schwangerschaftsabbruch nicht öffentlich anbieten, und Frauen können sich deshalb nicht frei informieren."
Kristina Hänelspiegel online So diskutiert die Politik den Paragrafen
Alle Oppositionsparteien im Bundestag (außer der AfD) plädieren im Grunde für die Streichung bzw. Änderung des Paragrafen.
Aus Rücksicht auf die Koalitionsverhandlungen mit der Union hatte die SPD allerdings im Februar darauf verzichtet, einen eigenen Antrag einzubringen. Man wollte keinen vorkoalitionären Bruch riskieren. Die SPD stellte ihren Gesetzesentwurf vorerst nicht zur Abstimmung. Stattdessen soll Justizministerin Katarina Barley einen Gesetzentwurf zur Reform des Strafrechtsparagrafen 219a vorlegen, der auch in der Union Zustimmung findet.
Die SPD hofft auf einen Kompromiss mit der Union. Die hat allerdings prominente Gegner
Die Diskussion nahm erst so richtig Fahrt auf, als der Gesundheitsminister Jens Spahn der Bild am Sonntag ein Interview gab. Er unterstellte Gegnern des Werbeverbots für Abtreibungen, sie setzten sich mehr für das Leben von Tieren ein als für ungeborene Kinder.
"Mich wundern die Maßstäbe: Wenn es um das Leben von Tieren geht, da sind einige, die jetzt für Abtreibungen werben wollen, kompromisslos."
Bild am sonntag
Ähnlich sieht es der Vorsitzende der Jungen Union, Paul Ziemiak. Er sagte der "Rheinischen Post": "Es wird mit der Union keine Änderung des Paragrafen 219a geben." Es gehe nicht nur um die Selbstbestimmtheit der Frau, sondern auch um den Schutz ungeborenen Lebens.
Jens Spahn hat mittlerweile rhetorisch etwas abgerüstet und trifft sich an diesem Donnerstag mit Vertretern von Beratungsstellen und der Ärzteschaft, um über 219a zu diskutieren.
Für den Fall, dass ein gefundener Kompromiss hinter den ursprünglichen SPD-Entwurf zurückbleibt, fordert der Juso-Vorsitzende, Kevin Kühnert, von der SPD-Fraktionsführung im Bundestag, die Abstimmung über den Paragrafen 219a freizugeben. Auch immer mehr SPD-Abgeordnete bringen die Aufhebung des Fraktionszwangs ins Gespräch.
FDP, Grüne und Linke wollen eigene Gesetzesvorschläge einbringen
Die FDP kündigte einen eigenen Antrag zum Paragrafen 219a an. Sie plädiert für eine Änderung des Paragrafen. Die "grob anstößige Werbung“ soll unter Strafe gestellt wird.
Die Bundestagsabgeordnete der Grünen Ulle Schauws will den Paragrafen ganz streichen und fordert einen Paradigmenwechsel.
Das sieht auch die Linkspartei so. Die AfD macht sich für eine Beibehaltung des Werbeverbots für Abtreibungen stark.
Und das sind die wichtigsten Texte im Überblick
- Er hat sie alle angezeigt. Das komplette Interview mit Abtreibungsgegner Markus Krause in der taz.
- Kristina Hänel ist allerdings nicht die erste, die ins Visier sogenannter "Lebensschützer" gerät und angezeigt wird. Nora Szász, niedergelassene Frauenärztin aus Kassel, erzählt im DLF.
- Susanne Lettenbauer vom Deutschlandfunk hat sich in die bayerische Provinz aufgemacht, um von Niederbayerns einzigem Arzt für Schwangerschaftsabbrüche zu erzählen.
- Die Debatte um Werbung für Schwangerschaftsabbrüche sei in Wahrheit eine Debatte über das Selbstbestimmungsrecht der Frau. Paragraf 219a sei eine Zumutung, schreibt Marlen Hobrack in der "Welt".
- Luisa Jacobs will mit der Scham brechen und schreibt in Zeit Campus über das große Schweigen der Masse. Hast Du? Zeit Online hat ein Dossier zusammengestellt: Ist der Paragraf 218 noch zeitgemäß? Frauen erzählen ihre bewegenden Geschichten.
- Das FMag wagt einen Perspektivwechsel, lässt einen Mann zu Wort kommen und schreibt über die Ohnmacht des Kindesvaters: "Es war doch auch mein Kind": Was eine Abtreibung mit dem Kindsvater macht.
Der Streit um den Paragrafen 219a
Bundeskanzler Olaf Scholz' (SPD) Vertrauensfrage am 16. Dezember soll den Weg für die Neuwahlen im Februar ebnen. Es gilt als reine Formalität, damit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier dann den Bundestag auflösen kann.