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Leben
Aus Protest gegen die Wegwerfmentalität gehen viele in Deutschland regelmäßig "containern". Sie fischen noch genießbare Lebensmittel aus den Tonnen von Supermärkten – und machen sich dabei strafbar. Lenny und Freja ernähren sich seit einem halben Jahr so.
Lenny und Freja holen sich ihre Lebensmittel immer
abends. Sie wissen, welche Müllcontainer bei welchen Supermärkten sie
ansteuern müssen, um fündig zu werden. Sie klettern mal über ein Tor,
mal über einen Zaun – und holen sich Essen aus den Tonnen.
Lenny sagt:
"Es ist unglaublich, was da alles drin ist. Die Dinge sind alle verpackt und völlig in Ordnung."
Der 20-Jährige und seine 19 Jahre
alte Freundin geben seit Monaten keinen Cent mehr für Lebensmittel
aus, sondern "containern" nur noch. "Essen zu kaufen ist für mich
keine Option mehr", sagt er. Zu viele Nahrungsmittel landeten im
Müll: "Ich fühle mich dafür verantwortlich, das zu konsumieren, was
weggeschmissen wird."
Am Morgen nach einer "ganz normalen Tour", wie sie sagen, ist der
Kühlschrank der Veganer wieder voll: Acht Brokkoli, ein Kilo Tomaten,
zwei Kilo Spargel plus Heidelbeeren, Aprikosen. Und etliche Bananen
und sechs Flaschen Olivenöl haben sie auch "herausgefischt". Brot
gebe es auch. Und auch Milchprodukte und Fleisch. Anfangs seien sie
zweimal die Woche gegangen, erzählt Freja. "Aber jetzt containern wir
bei einem Mal so viel. Das reicht für eine Woche." Sie seien selten
alleine an den Tonnen, träfen meist auch andere Leute.
Containern ist illegal
Dass das sogenannte Containern, auch Mülltauchen genannt, illegal
ist, ist Lenny und Freja bewusst. Das Marktgelände zu betreten ist
Hausfriedensbruch, die Mitnahme von Lebensmitteln Diebstahl, auch
wenn sie im Müll liegen. Im Januar wurden in Bayern zwei Studentinnen
wegen Diebstahls verurteilt, weil sie aus dem Container eines
Supermarkts Gemüse und Obst genommen hatten. Sie sind in Revision
gegangen. Ein Vorstoß von Hamburgs Justizsenator Till Steffen
(Grüne), das Containern straffrei zu machen, scheiterte in der
vergangenen Woche auf der Justizministerkonferenz in Lübeck.
"Ich denke, dass Containern auf jeden Fall legal sein soll", hält
Lenny dagegen.
"Es ist keine Straftat, Lebensmittel zu retten, die weggeworfen werden."
Der richtige Ansatz sei aber, generell weniger
wegzuwerfen. "Im Endeffekt müsste man dann Containern gar nicht
legalisieren. Dann hätte man dieses Problem nicht." Lenny findet
nicht, dass er sich strafbar mache. "Ich handele nach meinem eigenen
Rechtsgefühl. Und ich halte das, was ich mache, für sehr
respektabel." Kriminell seien die, die so viel wegwerfen.
- Jährlich landen in Deutschland nach Berechnungen der Universität Stuttgart fast 13 Millionen Tonnen Lebensmittel im Müll.
- Mehr als die Hälfte davon (55 Prozent oder knapp 7 Millionen Tonnen) werfen die Verbraucher in den privaten Haushalten weg.
- Heruntergebrochen auf einen einzelnen Menschen sind das 85.2 Kilo Essen pro Jahr, die in Abfalltonnen wandern.
- Auch für Menschen in prekären Lebensverhältnissen gehört Containern zum Alltag.
Geht noch.Bild: www.imago-images.de
In Frankreich seien Supermarktketten bereits seit längerem per Gesetz
dazu verpflichtet, übrig gebliebene Lebensmittel zu spenden statt sie
wegzuwerfen, sagt Freja. "Das sollte es überall geben." In diese
Richtung geht auch der jüngste Beschluss der Justizminister der
Länder, die die Bekämpfung der Lebensmittelverschwendung in den
Mittelpunkt gestellt haben: Supermärkte sollten Nahrungsmittel
einfacher beispielsweise an Tafeln spenden können, ohne dadurch
Nachteile zu haben.
Ärger beim Containern haben Lenny und Freja in Deutschland bisher
noch nicht bekommen. "Wir passen auch an den Containern immer gut
auf, alles sorgsam wieder so zurückzulassen, dass wir niemanden
verärgern." Zuvor waren sie in Griechenland und in Italien unterwegs:
Da habe ein Ladenbesitzer sie mal zwingen wollen, die Produkte
zurückzulegen. "Da haben wir so lange mit ihm diskutiert, bis er uns
hat gehen lassen." Auch gesundheitliche Probleme hätten sie bislang
keine gehabt.
"Schimmelige Sachen essen wir nicht."
Auch wenn sie nun ein halbes Jahr kein Geld mehr für Lebensmittel
ausgegeben hätten: "Es geht uns nicht ums Geld", sagt Freja. Sie
machten es aus Überzeugung: "Die weggeworfenen Lebensmittel sind
Symptom einer Krankheit, die diese Gesellschaft befallen hat." Für
die Produktion von Lebensmitteln werde viel Energie aufgebracht,
teils würden die Produkte über lange Strecken eingeflogen. "Und dann
landen sie einfach im Müll. Das kann ich nicht unterstützen."
(dpa)
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