Wenn aus dem Gefühlten eine Hymne wird, dann hat das sicher mit Wanda zu tun. Mit jener österreichischen Band, die sich nach der "Wilden Wanda", der einzigen und berüchtigten Wiener Zuhälterin aus den 70ern, benannte. Zeitzeugen beschrieben sie als "herbe Schönheit", ihr Markenzeichen: eine ausziehbare Stahlrute. Die Stahlrute hat die Band Wanda durch schmutzige Gitarren und süffisante Zeilen ersetzt, die herbe Schönheit ist geblieben.
Und hält nun schon sieben Jahre. So lange gibt es Wanda. "Amore" oder "Bussi" heißen ihre Alben. In ihren Songs wird man aufgefordert, zu werden, wer man gar nicht ist, in Bologna oder Wien. Und ganz sicher kommt eine Hand, die dich hält und mit nach Hause nimmt – bevor gestorben wird. Aber nicht so richtig. Denn bei Wanda weigert sich selbst der Tod, einen Beitrag zu leisten. Er muss wohl Wiener sein. Stattdessen geht es weiter, immer weiter. Und erst, wenn man von der Liebe nichts mehr wissen will, weiß man alles über sie. Weil: Keine Liebe ist ja auch keine Lösung.
Da bleiben sich Wanda auch auf ihrem neuen Album "Ciao" treu. Aber etwas ist anders. Denn: Mit dem vierten Album kommt der Kater, das Erwachen. Und die Erkenntnis: Die ständige Suche, die Sehnsucht hat einen Preis. Auf "Ciao" ist der Schmerz plötzlich erwachsen geworden. "Ciao" ist der Morgen danach, ohne einen echten Abend davor: Man wacht auf und merkt, dass man das eigene Herz überlebt hat. Wir haben mit dem Sänger Marco von Wanda gesprochen. Was hilft gegen Sehnsucht? Und ist Wandas Blick auf Liebe und Leben am Ende sogar politisch? Kurz: Kaffee, Zigarette, Wanda. Ein Interview.
watson: Auf den ersten Blick geht es in euren Texten um Koks, Schnaps und Amore. Gibt es einen zweiten?
Marco von Wanda: Den ersten kann ich schon überhaupt nicht verstehen. Meines Wissens gibt es auf dem neuen Album überhaupt keine Schnapsreferenz. Ich erinnere mich zumindest an keine. Beim Debütalbum, ja, stimmt. Das ist nicht aufgenommen worden, das wurde gebraut. Aber die neue Platte hat nichts Süffiges oder Betrunkenes, sondern eher etwas geistig Klares und Nüchternes.
Hat sie womöglich auch eine politische Ebene?
Das frage ich mich auch öfter in letzter Zeit. Wir weigern uns ja seit Jahren, uns als politische Band zu begreifen. Aber wenn wir ständig Nächstenliebe thematisieren und vom Gemeinsamen statt vom Trennenden reden, dann ist die Frage, ob das nicht vielleicht politisch ist, nachvollziehbar. Für mich selber würde ich es aber verneinen wollen. Politisch zu handeln, ist etwas anderes, als über die Musik Menschen zusammenzubringen.
Im Osten Deutschlands wurde ja gerade gewählt und Rechtspopulisten haben enormen Zulauf…
Ich finde es erfrischend, dass sie einer mal nicht Nazis nennt, sondern Rechtspopulisten.
Ihr habt in Österreich da mehr Erfahrung. Was haltet ihr von der These "Dann soll man sie halt mal regieren lassen – und dann erledigt sich der Spuk von selbst"?
"Lasst sie regieren" hat etwas Zynisches. Deutschland muss selber wissen, wie es damit umgeht. Da haben wir keine wirklichen Tipps. Aber so als Veteran im Umgang mit Rechtspopulisten würde ich auf jeden Fall dazu raten, nicht in Panik zu verfallen. Und ich würde auf jeden Fall davon abraten, gewalttätig zu werden. Gegenüber Menschen, die aus Gründen, die man vielleicht nicht nachvollziehen kann, etwas wählen, was man auch nicht nachvollziehen kann. Letztlich ist es nicht mehr als das. Ein demokratischer Prozess. Der Faschismus kommt deswegen nicht zurück. Das dauert noch. Mindestens 50 oder 60 Jahre.
Du hast mal gesagt: "Sollte sich in Österreich eine faschistische Tendenz ergeben, würde ich dagegen in den Tod gehen oder in die Schweiz." Koffer schon gepackt?
Ich bin reisefertig. Ich habe die Gitarre, ich habe den Manu (Anm. d. Red.: Gitarrist Manuel Christoph Poppe), ich habe alles, was ich brauche.
Ihr bleibt also noch ein bisschen in Österreich?
Ja, Österreich ist voller Seen, mit acht Millionen pathologischen Wesen, die allerhand Neurosen durchs Land tragen, für die es gar keine Begriffe gibt. Ein großartiges Land, ich fühle mich sehr wohl.
Auch auf der neuen Platte "Ciao" geht es wieder vor allem um eines: die Liebe. Beziehungsweise um das, was sie zurücklässt, wenn sie nicht mehr ist. Warum ist für dich der Zustand danach so beschreibenswert?
Grundsätzlich sucht man sich als Liederschreiber nicht das Thema aus, sondern das Leben spült es an. Und man kann gar nicht genug über die Liebe singen. Mir ist das Thema wichtiger als Politik, es hat mit meinem Leben unmittelbarer zu tun. Die Liebe mit ihrer Schönheit und all ihren Problemstellungen. Ein Thema, das einen bis ans Ende seiner Tage verfolgen wird. Auf Wanda-Platten gibt es Liebeskummer nicht schwach, sondern immer übersteigert. Die Figuren in den Wanda-Texten machen sich in Wahrheit ja kaputt, weil sie ihrem eigenen Wunsch, zu lieben und geliebt zu werden, nicht nachkommen können.
Wenn man doch weiß, was nach der Liebe auf einen wartet, warum lässt man sich dann überhaupt auf sie ein?
Nach dem Ende einer Liebe steht im günstigsten Fall eine Erkenntnis: Es beim nächsten Mal besser zu machen. Na ja, in der Theorie. Ich mache immer dieselben Fehler. Ich bin mit 32 Jahren immer noch ein viel zu selbstsüchtiger Mensch. Leider.
Wie äußert sich das?
In schonungsloser Selbstsucht.
Sind es zu hohe Erwartungen, die wir an die Liebe stellen? Scheitert sie deswegen so oft, weil man dann eigentlich nur enttäuscht werden kann?
Wenn man jung ist, dann ist die Liebe etwas, dem man hinterherläuft. Aber erfüllen darf sie sich nicht. Ein junger Mensch kann mit erfüllter Liebe ja gar nicht umgehen. Und wenn man älter wird, dann beruhigt sich das. Dann ändert sich das Verhältnis zur Liebe. Dann muss man gar nicht mehr in Erwartungen ersaufen, weil die Liebe dann einfach ist und weil man erkennt, wie wertvoll das ist. Wie wertvoll sie ist.
Wie alt muss man werden, um das zu erkennen?
Das weiß ich nicht. Aber es gäbe uns ja alle nicht ohne sie. Die Liebe macht Babys. Alkohol aber auch.
Ich vereinfache mal: Wir kämpfen im Job, an der Bar oder Playstation, aber in der Liebe geben wir viel zu schnell auf, es könnte ja noch etwas Besseres kommen auf dem Beziehungsmarkt. Täuscht der Eindruck, oder ist die Liebe in der heutigen Zeit der Beliebigkeit ziemlich hilflos ausgeliefert?
Auf allen unseren Alben hat die Liebe immer auch so ein Shakespeare-Momentum: Dass man sich zusammenrauft in einer treibsamen, komplizierten, neurotischen und nervösen Welt. Ob das Mann und Frau ist oder Frau und Frau oder Mann und Mann, das ist völlig uninteressant. Aber auf allen Platten wird die Liebe wahnsinnig idealisiert, sie wird zu einer Art Gegenentwurf zu Belanglosigkeit und permanenter Relativierung. Das ist nicht konstruiert, das ist irgendwie passiert. Die Liebe wird die ganze Zeit angerufen – und das seit vier Alben.
Nur wann hebt sie ab, ist die Frage…
Wenn sie in Deutschland auf Platz eins geht, dann ist sie endgültig abgehoben. Dann hat sie gesiegt.
"Ich weiß genau, dass wir so oft in die Ferne schauen / dass wir zu oft in die Ferne schauen", heißt es in einem Song. Sehnsucht war ja immer Thema bei euch. Warum hat sie dieses Mal eine dunkle Seite?
Bis jetzt war auf allen Alben Sehnsucht immer positiv konnotiert. Aber auf "Ciao" kippt das alles. An dieser Stelle im Album beginnt die Sehnsucht, zum Verhängnis zu werden. "Ciao" bringt mir eigentlich bei, dass Sehnsucht sich nicht lohnt. Dass Sehnsucht ihre Zeit im Leben hat, aber es muss auch irgendwann mal aufhören. Man kann sich nicht die ganze Zeit nach einem anderen Leben sehnen oder nach einem anderen Ich-Entwurf.
Dann ist da diese Melancholie in deinen Texten, die aber nie zu Ende gedacht wird. Bevor sie wirklich gefährlich werden kann, wird gesoffen, verlassen, ironisiert – und schließlich ist es immer irgendwie egal, eben "wurscht".
Das ist halt leider Wien. Der Wiener steht halt immer auf und fällt um und steht auf und fällt um. Wir wurden immer gefragt: "Ihr seid ja Wiener, wie beeinflusst das eure Musik?" Ich habe immer geleugnet, dass das Einfluss hat. Aber so, wie du es jetzt aufdeckst, kann man es nicht mehr leugnen. Das ist so wienerisch: Erst leiden und dann wieder wurscht und wieder leiden und wieder wurscht und zwischendurch einen Herzinfarkt wegen eines Schweinsbratens – und dann geht’s wieder weiter.
Auf dem neuen Album zitierst du dich auch wieder selbst. Ist das Faulheit oder Selbstverliebtheit?
Das ist sicher beides. Aber vor allem Faulheit. Man schreibt halt nicht jeden Tag so gute Textzeilen. Wenn man eine gute Zeile gefunden hat, dann muss man einfach damit arbeiten. Ich würde das gerne noch viel mehr auf die Spitze treiben. Es ist sicher auch ein anmaßendes Statement: "Ich bin relevant, meine Texte sind so gut, dass sie sich die ganze Zeit wiederholen dürfen."
In dem Song "Domian" taucht eine Nummer auf. Die habe ich einfach angerufen. Am anderen Ende der Leitung sagt dann eine weibliche Stimme vom Band irgendwas von "Fuck Forward" und "Sommerpause". Ich fürchte, nach diesem Anruf wird mein Redaktionstelefon gesperrt…
Ach, echt? Als wir das Lied aufgenommen haben, war die Leitung noch tot.
Wo genau habe ich da angerufen?
Das ist Domians alte Nummer, der legendäre Telefonseelsorger. Er hat uns gezeigt, dass Menschen voller Ängste, Hoffnungen und Traumata sind. Ein großer Dienst. Der Typ ist fast ein moderner Schamane.
Du hast kein Smartphone, Instagram ist dann wohl auch nicht so dein Ding…
Als Band hassen wir das. Wir überwerfen uns die ganze Zeit über diese Postings und schieben sie uns gegenseitig zu: "Los, mach was, nein, mach du was." Furchtbar. Egal, was du ins Netz stellst, es gehört nicht mehr dir. Irgendwie eigenartig. Auf der anderen Seite muss man es machen, die Menschen haben ja auch ein Recht auf Information. Wann spielen wir wo und wann kommt ein Album raus. Dazwischen gibt es dann ein peinliches Foto von irgendjemandem im Rausch. Was man halt so macht. Aber unser Frühstück fotografieren wir nicht. Wir frühstücken auch gar nicht.
Du hast Sprachkunst in Wien studiert. Es heißt, du hättest deine Abschlussarbeit geschrieben, aber nie abgegeben.
Ja, einen Roman, einen unglaublich schlechten.
Worum ging es?
Um Typen in Wien, fast schon die Romanvorlage für das spätere Album "Amore". Der Roman liegt noch irgendwo an der Uni, unbeurteilt. Begeistert war mein Professor damals nicht. Er hat mich angerufen und gesagt: "Natürlich kannst du so abschließen. Aber du kannst es besser." Aber es war eine schöne Zeit. Ich habe viele Menschen kennen gelernt, die unter derselben Krankheit leiden wie ich, unter dem Drang, etwas schreiben zu müssen. Und das ist zweifelsohne pathologisch.