Interview
28.08.2018, 18:1509.12.2018, 10:45
Natascha Nicklaus ist Frauenärztin in Kassel – und am Mittwoch steht sie vor Gericht. Gemeinsam mit ihrer Kollegin Nora Szás ist sie
angeklagt, weil beide auf der Homepage ihrer Gemeinschaftspraxis
Schwangerschaftsabbrüche anbieten. Die Ärztinnen kämpfen für ein Recht auf Information. Abtreibungsgegner aber halten das für Werbung und haben Anzeige erstattet. Jetzt kommt es zum Prozess. Ein Interview.
Darum geht es beim Streit um das Werbeverbot:
watson: Frau
Nicklaus, was wirft man Ihnen vor?
Natascha
Nicklaus: Dass
wir uns nach Paragraf 219a Strafgesetzbuch strafbar machen, weil wir auf
unserer Internetseite auch erwähnen – neben vielen anderen Punkten, dass wir
Schwangerschaftsabbrüche durchführen.
So steht es auf der Homepage:
Bild: screenshot frauenaerztinnen-kassel.de
Es geht also um einen Spiegelstrich? Auf Ihrer Homepage steht nicht einmal ein vollständiger Satz zum Thema.
Im Paragrafen selber ist bereits das
Anbieten und die Ankündigung unter Strafe gestellt. Alles vor dem Hintergrund
des eigenen Vermögensvorteils. Und da sind wir in der Bredouille. Wir können
nicht öffentlich sagen, dass wir Schwangerschaftsabbrüche machen, weil wir
automatisch dafür ein Honorar nehmen müssen. Sonst machen wir uns wegen standesrechtlicher
Vorbehalte strafbar. Wir dürfen ja nicht umsonst arbeiten.
Um diesen Paragrafen geht es:
Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft
(1) Wer öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften (§ 11 Abs. 3) seines Vermögensvorteils wegen oder in grob anstößiger Weise
1. eigene oder fremde Dienste zur Vornahme oder Förderung eines Schwangerschaftsabbruchs oder
2. Mittel, Gegenstände oder Verfahren, die zum Abbruch der Schwangerschaft geeignet sind, unter Hinweis auf diese Eignunganbietet, ankündigt, anpreist oder Erklärungen solchen Inhalts bekanntgibt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
Was
ist Ihre die Motivation dahinter?
Um unseren Patenten zu signalisieren, dass sie sich in jeder Lebenslage, mit jedem Problem und
insbesondere im Rahmen einer Konfliktschwangerschaft vertrauensvoll an uns
wenden können. Wir wollen die Patienten da offen begleiten, egal, wofür die
sich letztlich entscheiden.
Wer
hat Sie eigentlich bei der Polizei angezeigt?
Das
waren zwei Männer. Alle Anzeigen der vergangenen Jahre gehen zurück auf zwei Männer.
Einer betreibt eine Seite namens "Babycaust“, auf der Abtreibungen mit dem
Holocaust verglichen werden. Der andere
ist ein junger Student aus Kleve, der macht das auch als Hobby.
Ich
nehme an, Sie bekommen aus dieser Richtung auch jede menge Fanpost.
Bei uns hält sich das Gott sei Dank
in Grenzen. Kristina Hänel bekommt da deutlich mehr ab. Im Gegenteil. Wir
kriegen wahnsinnig viel Unterstützung.
Ist das auch Thema in Ihrer Praxis?
Na, unbedingt. Viele Patientinnen haben Angst, dass wir unsere Praxis schließen
müssen, wenn wir verurteilt werden. Ganz viel Unterstützung kommt interessanter Weise auch von
Frauen, die explizit gegen Schwangerschaftsabbrüche sind, die uns aber signalisieren, dass sie die Information darüber völlig gut und richtig finden. Es
ist doch so: Wenn heute eine Frau ungewollt Schwanger wird, ist das erste, was
sie tut, ins Internet zu gehen und Informationen zu suchen.
So wie die Gesetzeslage jetzt ist und interpretiert wird, bedeutet das, dass sie dort keine neutralen Informationen finden wird, sondern immer nur die Informationen der Abtreibungsgegner. Und das kann traumatisieren.
Womit
rechnen Sie eigentlich beim Prozess?
Wir
plädieren auf Freispruch.
Was
kann im schlimmsten Fall passieren?
Im
schlimmsten Fall kriegen wir eine Geldstrafe, die aber auch noch unter der
Grenze der Vorstrafe bleibt. Wir rechnen nicht damit, dass das berufsrechtliche
Folgen hat, also dass wir unsere Approbation abgeben müssen.
Der Passus zur Abtreibung steht immer noch auf der Homepage.
Ja,
das nehmen wir nicht raus. Wir wollen das ja auch. Erstens sind wir uns keiner
Schuld bewusst und zweitens halten wir es für erforderlich, dass auch Ärzte über
Schwangerschaftsbrüche informieren. Es ist sogar aus medizinischer Sicht total
sinnvoll, schnell an Informationen zu kommen. Je später die Schwangerschaft, desto größer ist der medizinische
Eingriff.
Was
wünschen Sie sich von der Politik?
Wir
wünschen uns die Streichung des Paragrafen. Dass es hier nicht allein um Werbung geht, sehen Sie daran, dass Ärzten Werbung ja schon in der Berufsordnung untersagt wird. Deswegen ist es auch unklar, warum
Politik das im Strafgesetzbuch verankert, dass man bloß nicht drüber reden
darf. Das passt nicht mehr in heutige Zeiten. Junge Frauen leben in der
Gewissheit, wenn sie einen Schwangerschaftsabbruch haben wollen, dann bekommen
sie den auch in Deutschland. Stimmt ja auch. Aber der Weg dahin ist unnötig
steinig und unnötig lang.
Es gibt wohl kaum ein Thema, das den Generationenkonflikt zwischen der Gen Z und Boomern so sehr auf den Punkt bringt wie das Arbeitsleben. Gleitzeit, Motivation zur Überstunde und Dresscode im Büro sind nur einige der Aspekte, die so manches Gemüt erregen.