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"Act or Die": Wie junge Menschen die UN-Ozeankonferenz erlebt haben

Während die UN Ozeankonferenz tagt, protestieren junge Menschen vor dem Kongressgelände für mehr Beteiligung und konkretere politische Handlungen für den Erhalt von Ozeanen weltweit.
Während die UN Ozeankonferenz tagt, protestieren junge Menschen vor dem Kongressgelände für mehr Beteiligung und konkretere politische Handlungen für den Erhalt von Ozeanen weltweit.bild: miriam meyer
Vor Ort

"Act or Die": Wie junge Menschen die UN-Ozeankonferenz erlebt haben – und was hinter den Kulissen passiert ist

01.07.2022, 16:5302.07.2022, 10:27
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Direkt vor dem Kongressgelände der UN-Ozeankonferenz in Lissabon strömt eine blau gekleidete Menschenmenge zusammen: Rund 400 Menschen in blauen T-Shirts, blauen Jacken und Hosen sind zur Demonstration gekommen, wiegen sich im Takt von Technobeats hin und her. Tanzend schwingen einige glitzernde Tentakel oder Seegras.

"1.5 to stay alive!", dröhnt es aus Megafonen. Die Menge skandiert die Forderung wieder und wieder. Bunte Plakate werden in die Höhe gerissen, eine Gruppe junger Frauen läuft mit azurblauem Banner voraus, "Act or Die" prangt darauf gut lesbar in schwarzen Lettern. "No deep sea mining – stop ocean crime!" und "End Overfishing!", rufen andere. Sie alle haben ein gemeinsames Ziel: Endlich von den UN-Delegationen gehört zu werden, die nur wenige hundert Meter entfernt im abgesperrten Kongresszentrum tagen.

Eine Familie läuft die Demonstration als Haie verkleidet mit.
Eine Familie läuft die Demonstration als Haie verkleidet mit. bild: miriam meyer

Junge Demonstrantin hofft auf Änderung der Meeresschutz-Gesetze

Denn hier wird über den Umgang mit den Ozeanen und damit auch über die Zukunft junger Menschen im Hinblick auf die Klimakrise verhandelt. "Ehrlich gesagt versuche ich optimistisch zu bleiben und erhoffe mir, dass stärkere Taten auf die Diskussionen dort drinnen folgen, als bisher", sagt die 19-jährige Ines Ferreira während der Demonstration gegenüber watson. "Vor allem muss es eine größere Änderung der Meeresschutz-Gesetze geben und nicht nur ein weiteres Papier mit Regelungen, die einfach zu umgehen sind und nichts bringen." Mit dieser Meinung ist sie auf der Demonstration nicht allein: "Politicians talk, Oceans die" steht auf einem neongelben Banner, der von vier Demonstrierenden getragen wird.

Ines Ferreira hofft auf eine Änderung der Meeresschutz-Gesetze.
Ines Ferreira hofft auf eine Änderung der Meeresschutz-Gesetze.bild: miriam meyer

Während der Demonstrationszug Richtung Autokreuzung weiterzieht, laufen im Inneren des Kongresszentrums ungestört Präsentationen verschiedenster Ausschüsse zur Nutzung des Meeresgrunds für Öl- und Gasbohrungen, neue Regularien zum weltweiten Fischfang sowie Diskussionen zum Schutz von Hoheitsgewässern. Jeder der Anwesenden hat dabei eigene Ziele vor Augen, die sie durch aktive Diskussionen einbringen.

"Wir wollen, dass die nächste Generation in einer Welt lebt, die sie genießen kann", hatte Peter Thomson, UN-Sondergesandter für die Meere, noch am Vormittag in einem Gespräch mit watson betont.

Er ergänzt:

"Eine Welt mit einem globalen Temperaturanstieg von drei Grad ist keine solche Welt. Wir müssen uns stattdessen auf 1,5 Grad zubewegen. Es wird immer wichtiger, dass gut ausgebildete Jugendvertreter an den Entscheidungsprozessen, die uns dorthin führen, voll beteiligt sind. Sie müssen von nun an am Entscheidungstisch sitzen."

Auch UN-Generalsekretär António Guterres hatte zu Beginn der Konferenzwoche gefordert, "junge Führungskräfte als treibende Kraft für den Wandel ein[zu]binden". Noch in der vorherigen Woche hatte das UN Ocean Conference Youth and Innovation Forum stattgefunden, auf dem Vertreter für Jugendliche ihre wichtigsten Forderungen in einer Denkschrift zusammengetragen und dem UN-Kommitee übergeben hatten. Bei Paneldiskussionen und weiteren Verhandlungen in der gesamten Woche fehlen junge Delegierte bei den Entscheidungsprozessen aber weiterhin.

Zahlreiche Demonstrierende setzen sich für den Schutz der Meere ein.
Zahlreiche Demonstrierende setzen sich für den Schutz der Meere ein. bild: miriam meyer

Nicht die Jungen sollten die Entscheider antreiben – andersherum sollte es sein

Genau dieses Ungleichgewicht macht die Vereinten Nationen auch weiterhin für einige junge Menschen unnahbar. "Ich sehe diese Konferenz als einen kleinen, wichtigen Schritt in die richtige Richtung, aber wir müssen uns wirklich beeilen, um die Ziellinie zu erreichen", sagt Sergio, 22 Jahre alt, gegenüber watson. Der gebürtige Portugiese verfolgt die Ozeankonferenz, wohlwissend, welche Schubkraft Entscheidungen der UN für den Klimaschutz haben können.

Gegenüber watson sagt er:

"Die Tatsache, dass junge Menschen, meine Generation, gezwungen werden, die Entscheider anzutreiben, zeigt etwas: Wir sollten diejenigen sein, die angetrieben werden, wir sollten diejenigen sein, die in der Schule über die Rettung der Umwelt lernen müssen. Aber es sind die jungen Leute, die rausgehen und die Entscheider jedes Mal daran erinnern: 'Das funktioniert nicht! Ihr tut nicht genug!' Wissenschaftler habe es schon lange erkannt und ihr ignoriert es immer noch. In diesem Sinne ist unsere Generation verantwortungsvoller als die unserer Väter. Und das ist meiner Meinung nach ein Zeichen für ein systemisches Problem."
Sergio, 22 Jahre alt, während der UN Konferenz in Lissabon.
Sergio, 22 Jahre alt, während der UN Konferenz in Lissabon.Bild: miriam meyer

Junge Menschen sind in der internationalen Politik unterrepräsentiert

Die Auffassung, dass die internationale Politik junge Menschen und andere kaum repräsentierte Gruppen durch ihre inneren Barrieren benachteiligt, teilt auch Anke Oppermann, Referentin vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: "Obwohl wir uns Diversität auf die Fahnen schreiben, sind wir hier häufig in genau solchen Diskussionen noch viel zu selektiv im Sinne von Alter gleich Weisheit und Alter gleich Erfahrung oder auch indem wir in Statusfragen denken, unterwegs. Das ist eigentlich falsch", folgert sie. "Denn warum soll jemand, der gerade erst angefangen hat mit seinem Berufsleben, einer Beschäftigung oder Spezialisierung, weniger zu sagen haben?", sagt sie im Gespräch mit watson.

"Im Sinne von Alter gleich Weisheit und Alter gleich Erfahrung oder auch in Statusfragen zu denken, das ist eigentlich falsch."
Anke OppermannReferentin vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung

"Ich selber habe damit auch Erfahrungen gemacht, als ich in der Politik angefangen habe", sagt Anke Oppermann. Wenn Oppermann jetzt mitbekommt, wie junge Vertreter aufgeregt ihre "toughe Agenda" vorstellen und davon berichten, was für Probleme junge Menschen in beispielsweise Westafrika – von Women's Empowerment bis hinzu Drogensucht unter jungen Fischern – haben, gingen ihr "diese Aspekte viel klarer durch den Kopf". Sie sagt: "Ich finde, dass Seniorität und Alter nicht gleich heißt, dass man Dinge besser durchschaut oder dazu Stellung nehmen kann."

Staaten dürfen Verantwortung nicht abschieben

Francisco Mari, Experte für Welternährung, Agrarhandel und Meerespolitik vom Hilfswerk Brot für die Welt, betont gegenüber watson vor allem die Wichtigkeit der Verbindlichkeit: "Auf dieser Konferenz wurde immer wieder betont, dass alle Verantwortung tragen – das ist aber gleichzeitig ein Abschieben von Verantwortung von der Politik. Denn wir außerhalb der Abstimmungen können keinen zu irgendwas gesetzlich verpflichten und exekutiv nachverfolgen."

Die Durchsetzung von Menschenrechten, das Recht auf Nahrung, das Recht auf eine gesunde Umwelt, das was man im Seerechtsübereinkommen am Erhalt des Ozeans als ökologisches Erbe der gesamten Menschheit festgelegt hat – "das ist nicht die Verpflichtung der NGOs oder der Konzerne, sondern das ist eine Verpflichtung von Staaten", stellt er für watson klar.

Francisco Mari, Experte für Welternährung, Agrarhandel und Meerespolitik vom Hilfswerk Brot für die Welt.
Francisco Mari, Experte für Welternährung, Agrarhandel und Meerespolitik vom Hilfswerk Brot für die Welt. bild: miriam meyer

Er ergänzt:

"Staaten müssen Maßnahmen ergreifen, in denen sie auch wirklich handeln – und das passiert hier nicht. Es gibt einen unverbindlichen Beschluss heute, in dem sich viel vorgenommen wird, aber auch nichts zu passieren braucht. Und das ist eine Vorgehensweise, die die Vereinten Nationen jetzt übernommen haben, die wirklich eine Gefahr für die Ozeane ist. Denn wer kontrolliert, dass sich alle wirklich daran halten, die Abkommen hier einzuhalten?"
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