Der Club of Rome hat am Dienstag eine neue Studie veröffentlicht, die drastische Schritte für eine lebenswerte Zukunft fordert. Das wurde von vielen Rechten besonders auf Social Media als "Klimadiktatur" beschimpft – sie fordern stattdessen verstärkt ihre Freiheit zurück. Wie machen sich Rechte die Klimakrise zunutze? Das beantwortet Matthias Quent, Experte für Rechtsextremismus und Radikalisierung, in seinem neuen Buch "Klimarassismus".
Im Interview mit watson warnt er vor der aktuellen Gefahr eines rechten Rückschlags gegen den grünen Umbau in Deutschland und der westlichen Welt.
watson: Herr Quent, in Ihrem Buch schreiben Sie, dass Rechte den Begriff der "Freiheit" im Klimakontext für eine klimarassistische Mobilisierung einsetzen. Warum?
Matthias Quent: Wenn Rechte den Begriff Freiheit benutzen, dann ist damit ein exklusiver Freiheitsbegriff gemeint: Freiheit für manche, aber nicht für alle. Die Freiheit, die nicht nur von rechts außen, sondern inzwischen bis weit in die Gesellschaft hinein propagiert wird, ist eine Freiheit à la "Neben uns die Sintflut". So nennt es etwa der Soziologe Stephan Lessenich.
Was genau meint eine "Neben uns die Sintflut"-Freiheit?
In meiner Vorstellung heißt Freiheit, dass zumindest die Möglichkeit für Freiheit allen offensteht. Aber dass wir übermäßig konsumieren, auf der Autobahn rasen, in den Urlaub fahren und Reichtum anhäufen, geht direkt auf Kosten der Freiheit von anderen: von Menschen im globalen Süden, von Frauen und besonders von nachfolgenden Generationen.
Sie schreiben, besonders bei teuren Klimaschutzmaßnahmen schüren rechte Gruppen oft gezielt Verlust-Ängste bei ärmeren Menschen und im Mittelstand. Wie müssen wir als Gesellschaft dagegen vorgehen?
Wir müssen die finanzielle Ungleichheit, die dem zugrunde liegt, ernst nehmen. Die Leute, die den Klimawandel abstreiten, tun das selten aus der Perspektive der fehlenden Bildung, sondern vor allem aus der politischen Motivlage heraus. Rechte wollen dadurch ihre Privilegien verteidigen.
Wenn das CO2-Budget sehr begrenzt wird, was die ganze Welt verbrauchen darf – und wir sehen, dass pro Kopf in Deutschland neunmal so viel CO2 emittiert wird, wie auf dem ganzen afrikanischen Kontinent – dann stellt sich die Gerechtigkeitsfrage sofort. Immer, wenn der Kuchen knapp wird, droht der Streit um die verbleibenden Krümel besonders aggressiv zu werden.
Was bedeutet das konkret?
Wenn wir uns bewusst sind, dass es eine ökologische Veränderung geben muss, um die Klima- und Energie-Krise zu managen, dann braucht es systemische Ansätze. Vor allem die großen Verbraucher – die Industrie und besonders Wohlhabende in unserer Gesellschaft – müssen zur Verantwortung gezogen werden.
Nur wenn das Finanzierungsproblem auf eine sozial ausgeglichene Art und Weise gelöst wird, kann sich ein Teil der Aufständischen beruhigen. Aber nicht, indem man Ausgleichszahlungen und verschleppte Energiepreise vor allem denjenigen aufdrückt, die es sich überhaupt nicht leisten können. Diese neoliberale Politik in Verbindung mit schleichender Radikalisierung begünstigt gefährliche Zustände. In diesen können Volksaufstände, vor denen Ministerin Baerbock warnte, denkbar werden.
Wenn Volksaufstände aus der Mitte unserer Gesellschaft kommen, sind dann alle, die aufbegehren, Rassist:innen?
Mit Klima-Rassismus ist nicht gemeint, dass heute alle Menschen in Industrienationen rassistisch gegenüber Menschen im globalen Süden sind. Sondern Klima-Rassismus muss als strukturelles Problem verstanden werden. Es ist das Ergebnis von zwei Jahrhunderten Industrialisierung in Verbindung mit Kolonialismus.
Der Reichtum der Industrieländer, und in Folge dann auch der Klimawandel, konnte damals überhaupt erst durch ungerechte, rassistische Entscheidungen entstehen. Zu unserem Vorteil erhalten wir in den Industrienationen diese extremen Ungleichheiten bis jetzt aufrecht. Mit dieser Geschichte als Hintergrund sind wir in Deutschland deshalb für eine Stabilisierung des Klimawandels verantwortlich. Wir müssen jetzt für die Zukunft Verantwortung übernehmen und vor allem die besonders Verletzlichen dabei schützen.
Im Hinblick auf die Zukunft warnen Sie besonders vor grünem, technologischem Nationalismus. Was genau macht diesen so gefährlich?
Die Perspektive dahinter ist, auf nationalistische Abschottung zu setzen. Das verfolgt beispielsweise Marine Le Pen in Frankreich. Grüner Nationalismus heißt schlussendlich, man möchte eine saubere Umwelt und von den Folgen von Klima- und Umwelt-Zerstörung innerhalb der nationalen Grenzen möglichst wenig betroffen werden. Dafür grenzt man sein Land aggressiv nach außen ab.
Den Klimawandel interessieren nationale Grenzen aber wenig.
Genau, mit einer solchen "Aus den Augen, aus dem Sinn"-Politik weist Le Pen die Verantwortung und Kosten der globalen Klimakrise ab, solange sich die Klimafolgen im eigenen Land managen lassen. Beispielsweise werden keine Klimaflüchtlinge ins Land gelassen und der Technologietransfer in den globalen Süden nicht unterstützt. Es wird also keine Anstrengung unternommen, die globale Klimakrise in den Griff zu bekommen.
Mit diesem nationalistischen Egoismus und Abschottung ähneln Le Pens Bestrebungen stark der Politik des ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump.
Auch hier in Deutschland erkennen wir bereits eine schleichende Normalisierung von diesem Trumpismus. Was man im Zusammenhang mit dem russischen Krieg sieht, ist ein immer stärkeres "Deutschland zuerst". Das bedeutet eine Entsolidarisierung mit der Ukraine oder auch mit anderen bedrohten Staaten und der dortigen Bevölkerung.
In Deutschland wird es schon jetzt sozial und wirtschaftlich härter. Menschen gehen bereits auf die Straße, protestieren und klagen: "Warum sollen wir eigentlich für die Ukrainer leiden?" Es ist individuell nachvollziehbar, dass Menschen diese Fragen stellen. Aber gesellschaftspolitisch führt das zu einem Kurs von Egoismus, von Nationalismus. Und wenn wir das auf die Klimakrise beziehen, fragen viele bereits: "Warum sollte hier jemand Rücksicht auf das Weltklima nehmen? Wir können doch einfach so weitermachen." Das wird sich aber über kurz oder lang rächen.
Ihre Prognose fällt bisher wirklich pessimistisch aus.
Ich glaube, trotz allem gibt es viele Anlässe, auf eine konstruktive Art und Weise optimistisch zu sein. Wir sehen mit den Klimagerechtigkeits-Bewegungen weltweit ein riesiges Potenzial und dafür auch eine riesige Unterstützung innerhalb der Bevölkerung, etwas am Status Quo zu verändern. Die Klimaforschung sagt uns auch, es ist noch möglich, etwas zu verändern.
Wenn wir reflektieren, wie reich der globale Norden und Deutschland sind und wie es immer wieder gelungen ist, technologische Grenzen und soziale Veränderungen zu überschreiten, dann wäre es doch geradezu absurd, wenn man die Klimakrise nicht auch gerecht in den Griff bekommt. Allerdings geht das nur, wenn der Druck von Klimagerechtigkeits-Bewegungen, der Druck aus der Zivilgesellschaft, aus der Öffentlichkeit weiter zunimmt. Und Fridays for Future wieder öfter Druck machen.