Freitagnachmittag am Berliner Flughafen BER. Am Terminal 1 warten Menschen auf ihre Bekannten, auf Freunde, auf ihre Liebsten. Einige Personen haben Blumen in der Hand und sind sichtbar aufgeregt. So wie Stefan. Der 22-Jährige hat seine Freundin Yuni schon seit fast einem Jahr nicht mehr gesehen. Um sie abzuholen, ist er aus Prenzlau zum BER mit dem Auto angereist. Hier wartet er seit 10 Uhr vormittags, jetzt ist es schon fast 16 Uhr.
Eigentlich sollte seine "große Liebe", wie er sie nennt, früher ankommen. Aus Washington DC sollte sie über Brüssel nach Berlin fliegen. Doch dann kam alles anders.
Das Chaos, das sich an Flughäfen in ganz Europa abspielt, ist selbst vor der Hochphase am Wochenende und kurz vor Ferienbeginn in mehreren Bundesländern deutlich zu spüren. Zahlreiche Personen berichten von Flugausfällen oder Flugverspätungen, sind sichtlich sauer und erschöpft. Ein Airline-Mitarbeiter sagt: "Das ist erst der Anfang, im Juli beginnt dann die Hölle."
Auch Yunis Flug von Brüssel nach Berlin ist kurzfristig abgesagt worden. Ein Grund für den Ausfall wurde der 24-Jährigen nicht genannt, stattdessen bekam die Frau einen Flug von Brüssel über München und dann nach Berlin angeboten. Nervig, aber besser als in Brüssel auf den nächsten Tag warten zu müssen. Jetzt hat sie es, über sechs Stunden später als geplant, endlich geschafft.
Yuni soll gleich durch die Tür kommen. Stefan freut sich wie ein kleines Kind: "Ich bin so aufgeregt", erzählt er, während er eine rosa Lilie von einer in die andere Hand und wieder zurück rollt. Während er das sagt, starrt er zur Schiebetür, die sich gerade öffnet.
Erst nach mehreren Minuten und mehreren "Lilien-Rollern" später kommt Yuni endlich durch die Tür. "Ich bin froh, endlich da zu sein", sagt sie nach der emotionalen Begrüßung. Danach geht das Paar Hand in Hand zum Flughafenausgang. Der Stress ist offensichtlich vergessen.
Weniger entspannt war es für Thorsten Gerer, der kurz vorher mit seinen zwei Koffern durch das Terminal rannte. Seine Reise ist mit der Ankunft am BER noch nicht zu Ende. Während er gestresst durch die Halle hetzt, erzählt er, dass er aus Graz kommt, zwei seiner Flüge kurzfristig abgesagt wurden und er seit 6 Uhr morgens unterwegs ist. Nun ist unklar, ob er seine Bahn nach Dresden noch erwischt. Obwohl die Zeit ihm im Nacken sitzt, lässt er ein schnelles Foto von sich knipsen. "Katastrophe", schimpft er nur. Dann fragt er nach dem richtigen Weg und verschwindet über die Rolltreppe eine Etage tiefer.
Thorsten und Yuni sind keine Einzelfälle. "Der Personalmangel ist überall deutlich zu spüren. Die Leute warten teilweise zwei bis drei Stunden am Sicherheitscheck und verpassen deshalb ihre Flüge", erzählt etwa ein Flughafenmitarbeiter, der am Sicherheitscheck arbeitet. "Manchmal sind nur zwei Schalter geöffnet, dann werden die Warteschlangen richtig lang. Das merkt man dann schon an der Stimmung der Leute, die ihre Emotionen gerne an uns auslassen". Obwohl die Situation belastend sei, habe er dafür vollstes Verständnis, denn: "Wer verpasst schon gerne seinen Flug?"
Zwar sei es in den Ferienzeiten schon immer stressiger als sonst gewesen, allerdings habe sich die Situation durch die Pandemie deutlich verschärft. Dass der Flugverkehr beinahe völlig zum Erliegen kam, mündete in drastischem Personalabbau. Jobs am Flughafen, die früher als sicher galten, wurden damit unattraktiver. Zahlreiche Mitarbeiter wechselten in eine andere Branche.
Nun rächt sich die Situation. Der Personalmangel wird durch die aktuelle Corona-Welle noch weiter verschärft. Weil sich nun auch wieder vermehrt Besatzungen wegen Corona krankmelden, streicht die Lufthansa mitten in der Sommerferienzeit mehr als 2000 weitere Flüge an ihren Drehkreuzen Frankfurt und München. Zusammen mit bereits angekündigten Kürzungen fallen damit im Juli und August insgesamt über 3000 Verbindungen weg.
Auch die Billigtochter Eurowings rechnet mit weiteren Streichungen. Zwar geben Condor und Tuifly Entwarnung. Für zusätzliche Turbulenzen sorgen aber Streiks bei anderen europäischen Airlines.
Nach dem Ferienstart in Nordrhein-Westfalen am Wochenende wurde es an deutschen Flughäfen nochmal enger. Nun werde es "auf jedes einzelne Rädchen der Prozesskette ankommen", sagte ein Eurowings-Sprecher. Gerade an den Sicherheitskontrollen und bei den Bodenverkehrsdiensten, die etwa das Gepäck ein- und ausladen, fehlt es an Mitarbeitern. Flugreisende berichteten teils von extrem langen Wartezeiten an den Sicherheitskontrollen. Rädchen, die die Prozesskette ins Stocken bringen.
Wie weit die Auswirkungen gehen können, zeigt sich teils an skurrilen Situationen. Eine Twitter-Userin berichtet etwa von einem eigenartigen Erlebnis: "Wenn am Frankfurter Flughafen der Pilot nach stundenlanger Verspätung selbst übers Rollfeld läuft, um Arbeiter zu finden, die die Koffer in die Maschine einladen, dann bist du in Deutschland", schreibt sie.
Szenen wie diese sollen so schnell wie möglich der Vergangenheit angehören. Ein Plan muss her. Lufthansa und Eurowings wollen die klassischen Urlaubsstrecken von den Kürzungen weitgehend ausnehmen. Wegfallen sollen vor allem Flüge innerhalb Deutschlands und Europas, zu denen es alternative Reisemöglichkeiten – etwa mit der Bahn – gibt.
Während Fluggesellschaften und Flughäfen händeringend nach Personal suchen, soll nun auch ein Branchenplan Abhilfe schaffen. Zur Bewältigung des Abfertigungschaos im Luftverkehr wollen die deutschen Flughäfen und ihre Bodendienstleister nun Tausende ausländische Aushilfen direkt anstellen.
Die Arbeitskräfte sollen befristet für bis zu drei Monate unter anderem aus der Türkei und einigen Balkanstaaten kommen, sagte der Hauptgeschäftsführer des Flughafenverbandes ADV, Ralph Beisel, am Montag der Deutschen Presse-Agentur. Sie würden voraussichtlich direkt bei Bodenverkehrsdienstleistern angestellt. Modelle zur Arbeitnehmerüberlassung wären damit vom Tisch.
Die Bundesregierung hatte am Wochenende ihre Zustimmung zu dem Branchenplan signalisiert. Eine endgültige Entscheidung fiel am Mittwoch. Insbesondere geht es um den Verzicht auf die sogenannte Vorrangprüfung, ob für die Jobs nicht auch inländische Arbeitnehmer zu Verfügung stünden.
Die Hoffnung, dass sich die Situation bald zumindest bessert, ist besonders bei den Mitarbeitern an den Sicherheitschecks groß.
Ein Mann, der kurz vor dem Ende seiner Pause am BER vor dem Gebäude raucht, erzählt, wie belastend der Trubel aktuell sei: "Was hier abgeht, ist Stress pur. Leider werden wir nicht für Stress bezahlt", sagt er. Am liebsten würde er jetzt selbst in den Urlaub verschwinden. Möglich sei das natürlich nicht, da es an "allen Ecken und Kanten" an Personal fehle. Emotionale, wütende und gestresste Reisende gehören für ihn deshalb zum Alltag.
Dabei seien auch regelmäßig Tränen bei Flugreisenden geflossen. Kürzlich habe eine Mutter mit drei Kindern am Sicherheitscheck so lange warten müssen, dass sie ihren Flug verpasste. "Sie hat geweint und war einfach am Ende. Das tut einem dann schon leid", sagt er. Ändern könne er aber selbst nichts an solchen Situationen. Er könne nur hoffen, dass die "Hölle" in der Ferienzeit schnell vorbei gehe. "Dann will ich zwei Wochen in den Urlaub. Ich werde aber sicher nicht fliegen, sondern die Bahn nehmen und an die Ostsee fahren", sagt er.
(mit Material von dpa)