Es ist Sonntag, der 11. Juli 2021, als sich die Vorhersagen für eine gefährliche Unwetterlage im Ahrtal häufen. Im Radio warnen sie vor Niederschlagsmengen von über 200 Millimetern. Viele Einwohnerinnen und Einwohner nehmen die Warnung auf die leichte Schulter. Starkregen und Hochwasser an der Ahr? Das kennt man hier schon. Mit einer Jahrhundertflut rechnet da noch keiner.
Am Telefon erzählt Gastronom Michael Lang, wie er durch die Flut alles verliert und trotz allem die Hoffnung nicht aufgibt. Ein Protokoll:
"Ich habe das Haus an der Ahr gut ein halbes Jahr vor der Flut gekauft, war gerade erst frisch eingezogen und habe alles in Eigenregie renoviert. Ein paar Tage später wollte ich dann auch die Vinothek, mein Ladenlokal, das sich direkt unter meiner Wohnung befindet, eröffnen. Ich habe mich schon richtig gefreut, hatte den Kühlschrank voll mit Lebensmittel für die Neueröffnung.
Und dann gab es da diese schlechten Wetterberichte: Ja, mein Gott, es wurde Starkregen vorhergesagt, aber das hat man halt so hingenommen – ich habe die Wetterberichte auch nicht großartig weiter verfolgt. Da macht man sich ja auch nicht so viele Gedanken. Als es dann am Morgen des 14. Juli doller wurde, habe ich den Tag über Säcke mit Sand gefüllt, um den Keller abzudecken. Aber zu dem Zeitpunkt konnte ich ja nicht ahnen, wie schlimm es werden würde.
Ich habe dann von der Vinothek aus beobachtet, wie das Wasser stieg und stieg und habe irgendwann gemerkt, dass die Säcke allein nicht reichen würden, um das Wasser draußen zu halten. Ich habe versucht, alles zu sichern – aber es wurde immer schlimmer, irgendwann stand ich bis zum Geschlechtsteil im Wasser.
Um 22 Uhr habe ich dann die Entscheidung getroffen, das Objekt zu verlassen, weil die Umgehungsstraße da schon drohte, zu überfluten. Ich habe nichts mitgenommen, bin einfach weg und habe das Objekt quasi seinem Schicksal überlassen. Es bestand überhaupt nicht die Möglichkeit, irgendwas zu retten. Man war ja nicht darauf vorbereitet. Das Wasser kam so schnell und man wusste ja nicht, was da noch passieren würde. Ich war da nur noch in Panik.
Ich bin dann noch schnell zur Tiefgarage, um mein Cabrio umzuparken. Gott sei Dank zu dem Zeitpunkt – eine Stunde später sind mehrere Menschen bei dem Versuch, ihr Auto zu retten, in der Garage ertrunken.
Ich war völlig neben der Spur. Ich weiß noch, dass ich völlig verzweifelt meine Ex-Lebenspartnerin angerufen und ihr gesagt habe, dass ich zum Cabrio zurückmüsse, weil ich mein Handy dort vergessen hätte. Mein Handy, mit dem ich sie gerade anrief. Das muss man sich mal vorstellen. Ich war so verzweifelt und gedanklich so durch den Wind, dass ich vor lauter Hektik und Dramatik nicht realisiert habe, dass ich das Handy in der Hand halte.
Ich bin dann weiter nach Ahrweiler, um zu meiner Ex-Lebenspartnerin zu fahren. Auf dem Weg ist mir ein Feuerwehrauto entgegengekommen, die haben durchgesagt, dass sie den Strom abschalten. Und ich habe mir nur gedacht: 'Scheiße, ich habe doch schon alle Lebensmittel für die Neueröffnung gekauft. Ich muss zurück!' Ich drehe also um, fahre zwischen meinen beiden Ladenlokalen hin und her, um die Lebensmittel zu retten.
Und dann bin nach Ahrweiler zu meiner Ex-Lebenspartnerin gefahren. Die Nacht über habe ich dort verbracht. Da war dann schon alles dunkel, sodass man nicht erahnen konnte, welche Schäden die Flut angerichtet hatte. Dieses Drama hat man erst am nächsten Morgen festgestellt.
Als es am nächsten Morgen endlich hell wurde, sind wir gleich los um zu schauen, was letzten Endes passiert ist. Es gab ja keine Straßenbeleuchtung. Ich bin dann zuerst zum Marktplatz gelaufen und habe gesehen, dass mein dortiges Ladenlokal um sechs Uhr morgens noch nicht zugänglich war. Aber es war komplett überflutet, das Wasser stand 1,70 Meter hoch. Mir war schon klar, dass alles zerstört sein wurde.
Und zu dem Zeitpunkt wusste ich ja noch gar nicht, was mit meiner Wohnung und meinem anderen Lokal war. Meine Autos waren abgesoffen, ich hatte überhaupt nicht die Möglichkeit, dorthin zu kommen. Ich habe dann eine vorbeifahrende Person angesprochen, ob sie mich über die Weinberge mitnehmen könnte, was sie auch gemacht hat.
Ja. Und dann habe ich dieses Drama von oben aus sehen können. Die Zerstörung war extrem. Ich bin jemand, der relativ angstfrei durchs Leben geht. Ich sage mir immer, dass es schon irgendwie weitergehen wird. Aber das war schon eine extreme Situation.
Die Tage danach sind ein bisschen verschwommen. Jeder hat zuerst nach sich selbst geguckt, alles ausgeräumt. Die Leute haben so unfassbar viel weggeschmissen – da sträuben sich mir die Haare. Ich habe mir da einige Sachen rausgefischt und einfach sauber gemacht – eine Stehlampe, einen Spiegel aus der Gründerzeit. Das kann man doch nicht einfach wegschmeißen.
Aber ganz ehrlich, ich blicke ungern zurück. Für mich zählt immer nur der Blick nach vorn. Ich habe, im Gegensatz zu vielen anderen, Glück gehabt, habe keine finanziellen Probleme und auch keine Angst, wenn ich an die Zukunft denke. Das einzige, das mir schlechte Laune bereitet, ist die gesamte politische Lage und auch der unmenschliche Umgang mit uns Menschen während der Flutkatastrophe.
Es ist nicht fair, was da passiert ist und für mich hat der Staat vollumfänglich versagt und geradezustehen für alles, das passiert ist: Für die Todesopfer, für den Sachschaden. Und dass man jetzt noch versucht, an den Betroffenen zu sparen, finde ich schon mehr als pervers. Das ist so ein zusätzlicher Arschtritt den Betroffenen gegenüber.
Ich wohne jetzt seit einem Jahr in der ersten Etage von meinem Haus, einer Ruine eigentlich. Es ist alles sehr provisorisch, eine Ruine halt. Mein Architekt und Gutachter hat mir von vornherein gesagt, dass wir sehr viel Geduld brauchen werden. Lange Zeit wusste man ja gar nicht, was bezüglich der Wiederherstellung und Neubaus erlaubt sein würde.
Das einzige, das ich bislang bekommen habe, ist eine pauschale Erstattung für den Verlust meines privaten Haushalts: 13.000 Euro. Davon habe ich mir aber keine Wohnungseinrichtung gekauft, sondern ein neues Cabrio – um mir persönlich in diesem Sommer etwas Lebensqualität zu schenken. Was soll ich jetzt auch mit einer neuen Wohnungseinrichtung? Und das Geld bei der Inflation auf dem Konto liegenzulassen, ist ja auch nicht richtig.
Und auch, wenn das mit dem Bauantrag noch lange dauern wird, kann ich ganz beruhigt schlafen. Ich habe ja zum Glück meine Einnahmequelle durch meine Gastronomie. Um ehrlich zu sein, läuft alles super für mich. Ich habe schon am Tag nach der Flut zu meiner Ex-Lebenspartnerin gesagt, dass die Flut für uns unterm Strich wahrscheinlich ein Glücksfall war, wir gehören zu den Gewinnern dieser Katastrophe.
Auch wenn das skurril und ein bisschen makaber klingt: Aber zum einen sind wir jetzt der einzige Gastronomiebetrieb direkt an der Ahr, und zum anderen wurde das Haus meines Nachbarn durch die Flut mitgerissen, weswegen wir in unserem Weingarten jetzt auch noch Abendsonne haben.
Natürlich ist mir bewusst, dass das noch einmal passieren kann, 1804 und 1910 hat es das ja auch schon gegeben. Ich meine, wir leben hier einfach mit Hochwasser. Aber selbst wenn das noch einmal in dieser Schwere passieren sollte, sind wir das nächste Mal ja ganz anders vorbereitet. Zumal die ganzen Brücken und die großen Bäume nicht mehr stehen.
Ja, also meine Güte, ich verfalle jetzt nicht in Panik, wenn es mal einen kleinen Sommerregen gibt. Diese Hysterie finde ich auch übertrieben. Wir müssen das Leben nehmen, wie es kommt."