28 Jahre lang soll eine Frau ihren heute 41-jährigen Sohn in der gemeinsamen Wohnung in Stockholm von der Außenwelt abgesondert haben. Wenige Tage, nachdem eine Verwandte den Mann verwahrlost und krank in der Wohnung entdeckte, wird immer mehr über die tragische Dimension des Falls bekannt.
Die Vorwürfe der Freiheitsberaubung und Körperverletzung gegen die 70-jährige Mutter wurden inzwischen fallengelassen. Die Frau war am Mittwoch zunächst verhaftet worden, nun ist sie wieder frei. Erledigt hat sich der Fall damit für die Behörden noch lange nicht.
"Ich will betonen, dass dieser Mann und diese Frau alle Hilfe benötigen, die sie von der Gesellschaft bekommen können", sagte die zuständige Staatsanwältin Emma Olsson laut der Zeitung "Aftonbladet". Sie sei fest davon überzeugt, dass sie diese Hilfe bekommen würden.
Entdeckt wurden der Mann und die Umstände seines Lebens von einer Verwandten, nachdem die Mutter in ein Krankenhaus eingeliefert worden war. Der 41-Jährige sei unterernährt gewesen und habe fast keine Zähne mehr gehabt. Er habe entzündete Wunden an den Beinen gehabt und habe kaum laufen können, auch seine Sprachfähigkeit sei eingeschränkt. Die Wohnung war den Berichten zufolge in einem erbärmlichen Zustand, verdreckt und vermüllt.
Die strafrechtlich relevanten Vorwürfe gegen die Mutter wurden Olsson zufolge fallen gelassen, nachdem der Sohn verhört worden war. Er hat bestätigt, dass die Wohnung nicht abgeschlossen war, er habe sie verlassen können, wenn er wollte. Die Verletzungen des Mannes seien zudem krankheitsbedingt und nicht durch Gewaltanwendung entstanden.
"Aftonbladet" zitiert eine Bekannte der Familie, die bestätigt, dass sie den Mann gelegentlich draußen gesehen habe. Sowohl ihre als auch die Aussagen der Staatsanwältin machen deutlich, dass es in diesem Fall keine einfachen Antworten gibt.
Natürlich wolle man gerne "jemanden haben, dem man die Schuld geben kann", so Olsson, "aber in dieser Angelegenheit ist es wichtig, sich darauf zu konzentrieren, so etwas künftig zu verhindern." Es gehe darum, Menschen zu helfen, die es schwer haben. Die Staatsanwältin erklärte, es werde weiter ermittelt, um aufzuklären, was genau passiert sei. Diese Untersuchungen würden auf andere Personen ausgeweitet, die möglicherweise nicht mehr am Leben seien – dies sei dies nun kein Fall mehr für die Justiz-, sondern für die Sozialbehörden.
Laut "Aftonbladet" betrifft die Vorgeschichte den längst verstorbenen Vater des heute 41-Jährigen. Er habe Frau und Sohn vor der Außenwelt abschotten wollen, nachdem die Familie zuvor einen älteren Sohn verloren hätte. Aus dieser Situation sei die Mutter nicht mehr herausgekommen, nachdem der Vater gestorben sei, berichtete eine Bekannte der Familie.
Die lokalen Behörden wollen nun untersuchen, wieso bislang kein Amt Mutter und Sohn geholfen habe, die offenbar nicht in der Lage waren, sich selbst angemessen zu versorgen und am Sozialleben teilzunehmen. Mit 12 Jahren sei der Junge aus der Schule genommen worden, seitdem sei er kaum noch gesehen worden, hieß es.
Der Fall bewegt Schweden, seit der Zustand des Mannes von der Verwandten den Behörden gemeldet wurde. Zunächst hatte es von der Polizei geheißen, er sei "eine sehr lange Zeit eingesperrt" gewesen. Staatsanwältin Olsson zeigte sich erleichtert, dass der Fall nun bekannt sei – und betroffen, dass Mutter und Sohn so lange ohne Hilfe waren. "Man wird traurig, wenn man daran denkt, dass nicht nur sein Leben, sondern auch das der Mutter verschwunden ist. Fast 30 Jahre fehlen ihnen."
(andi)