Ein neuer Skandal um US-Präsident Donald Trump sorgt für Schlagzeilen, in den USA und weltweit: Grundlage dafür ist ein Buch des Journalisten Bob Woodward, der seit seinem Enthüllungsartikel über den Watergate-Skandal Anfang der 1970er Jahre als Reporterlegende gilt.
Woodwards Buch heißt "Rage" (Wut) und soll in den kommenden Tagen in den USA erscheinen. Auszüge davon sind aber inzwischen schon in mehreren US-Medien erschienen, unter anderem in der "Washington Post". Schon diese Passagen enthalten schockierende Aussagen Trumps: über seine Haltung zu Rassismus, sein Verhältnis zu Russland – vor allem aber über seinen Umgang mit dem Coronavirus.
Wir beantworten die wichtigsten Fragen zu dem Buch.
Über Trumps Präsidentschaft wurden schon bemerkenswert viele Enthüllungsbücher geschrieben. Was das Werk Woodwards besonders macht: Der Autor hat mit dem Präsidenten selbst gesprochen, laut Medienberichten 18 Mal und insgesamt neun Stunden lang. Und Woodward hat die Gespräche mit Trump aufgezeichnet. Einen Teil der Aufzeichnungen hat der Reporter dem TV-Sender CNN zur Verfügung gestellt. Vor allem an zwei Stellen beweisen sie, dass Trump die Gefahr durch das Coronavirus bewusst heruntergespielt hat.
Die erste Aufzeichnung stammt vom 7. Februar 2020. Das Coronavirus hat zu diesem Zeitpunkt die chinesische Provinz Hubei längst hart getroffen, Ende Januar haben die Behörden eine strikte Ausgangssperre für die Millionenstadt Wuhan verhängt. In Deutschland ist damals nur der Corona-Ausbruch beim Autozulieferer Webasto bekannt, die USA zählen 12 Infektionen.
Doch Trump weiß da längst, wie gefährlich das Virus ist. Im Gespräch mit Woodward sagt er, er habe über das Coronavirus mit dem chinesischen Präsidenten Xi Jinping gesprochen. Dann meint Trump wörtlich:
Und dann, nachdem er über die Gefährlichkeit von Grippewellen gesprochen hat, betont Trump das nochmals:
Trump weiß also schon am 7. Februar, dass das Coronavirus viel gefährlicher als die Grippe ist und sagt das im Gespräch mit Reporter Woodward.
Öffentlich spielt er das Coronavirus zu dieser Zeit herunter. Mehrfach verharmlost er in den Tagen nach dem Gespräch das Virus mit Vergleichen zur Grippe, behauptet, durch Corona würden deutlich weniger Menschen sterben.
Drei Tage später, am 10. Februar, sagt der Präsident auf einer Wahlkampfveranstaltung im Bundesstaat New Hampshire über das Coronavirus: "Sie sagen, dass es im April, wenn es viel wärmer wird, wie durch ein Wunder verschwinden wird. Ich hoffe, das stimmt. Die Lage hier in den USA ist großartig."
Gut zwei Wochen später, am 26. Februar, sagt Trump über das Virus wörtlich: "Das ist eine Grippe. Das ist wie eine Grippe."
Warum Trump das tut? In einer zweiten Interviewpassage mit Woodward sagt er das ganz offen. Das Gespräch fand am 19. März statt. Trump meint zunächst, es gebe "erschreckende Fakten" dazu, dass das Virus auch junge Menschen betreffe. Dann sagt er wörtlich:
Woodward antwortet: "Ja, klar, das will ich ja von Ihnen". Trump fährt fort:
Nur fünf Tage später, am 24. März, sagt Trump in einem Interview mit dem Sender Fox News, es werde "proppenvolle Kirchen" am Ostersonntag geben, also am 12. April. Und am 30. März verkündet Trump in einer Pressekonferenz: "Sie wissen, dass das Virus vorbeigehen wird, wie durch ein Wunder."
Den bisher veröffentlichten Passagen aus "Rage" und den entsprechenden Audio-Aufnahmen lassen sich weitere Informationen entnehmen, die Trump nicht gut dastehen lassen – zumindest nach den Standards, die für US-Präsidenten vor Trump gegolten haben.
Trump hat Woodward gegenüber regelrecht angegeben mit Informationen über ein (laut Trump) bisher geheimes Waffensystem. Trump wörtlich:
Und:
Laut Woodward hätten ihm andere Quellen bestätigt, dass es ein solches neues System gebe, ohne weitere Informationen zu liefern.
Was Trump damit gemeint hat? Andrew Facini, Experte für Nuklearwaffen am Belfer Center der Harvard-Universität, geht in einem Twitter-Thread mehrere Optionen durch.
... und kommt am Ende zu dem Schluss: "Es sieht so aus, als wäre es a) etwas Banales, von dem man Trump erzählt hat, es sei großartig, um es zu verkaufen oder b) etwas wirklich Neues, über das wir noch nichts wissen und das er lieber nicht hätte ausplappern sollen."
Laut Woodward haben mehrere Personen in Trumps Regierung den Präsidenten als Gefahr dargestellt. Die Wörter "gefährlich" und "unfähig" habe Trumps damaliger Verteidigungsminister Jim Mattis im Gespräch mit dem Geheimdienstdirektor Dan Coats verwendet. Coats wiederum soll entsetzt von Trumps Twitter-Aktivität gewesen sein. Coats soll außerdem vermutet haben, dass die Regierung in Moskau etwas gegen Trump in der Hand habe – und dass er deshalb so freundlich gegenüber dem russischen Präsidenten Putin auftrete.
Trump soll sich außerdem unsensibel und abschätzig gegenüber Schwarzen Menschen geäußert haben: Auf Woodwards Frage an Trump, ob er als "privilegierter Weißer" versuche, die Wut und den Schmerz Schwarzer Menschen zu verstehen, sagt Trump: "Nein." Er verspottet Woodward mit dem schwer übersetzbaren Satz: "You really drank the Kool-Aid, didn't you?". Der Ausdruck "Drink the Kool-Aid" bedeutet im amerikanischen Englisch in etwa, dass jemand blind einer Ideologie folge, weil es andere auch tun. Trump ergänzt dann zum Thema Rassismus:
Enorm abschätzig hat sich Trump laut Woodward über seinen Vorgänger Barack Obama geäußert. In einem Gespräch im Juli habe Trump gesagt, Obama werde "stark überschätzt" und ergänzte:
Trump habe außerdem gemeint, der nordkoreanische Diktator Kim Jong-un habe ihm erzählt, seiner Meinung nach sei Obama "ein Arschloch".
Trump selbst reagierte, wie schon auf frühere Enthüllungen, schnell auf Woodwards Aussagen. Da es diesmal Tonaufzeichnungen von Trumps Aussagen gibt, kann der Präsident allerdings nicht wie üblich behaupten, er habe bestimmte Dinge nie gesagt.
Auf seinem Lieblingsmedium Twitter wütete er stattdessen mit vielen beleidigenden Adjektiven gegen die Opposition, Medien und Woodward persönlich. Und schloss mit: "Es hört nie auf!"
In einer Pressekonferenz erklärte er, warum er das Coronavirus heruntergespielt hat. Er sei ein "Cheerleader für dieses Land". Und er wolle nicht, dass Menschen in "Panik" geraten, sondern "Vertrauen und Stärke" ausstrahlen.
In Trumps Wahlkampfteam für die Präsidentschaftswahl am 3. November sind offenbar nicht alle so entspannt. CNN zitiert einen hochrangigen Mitarbeiter, der gesagt haben soll, Trump habe die Informationen über die Todesgefahr durch das Coronavirus auch seinen Wahlkämpfern gegenüber geheimgehalten.
Und er ergänzte: "Es ist schwer, von Fake News zu sprechen, wenn es Audio-Aufzeichnungen seiner Aussagen gibt."
Trumps demokratischer Herausforderer, Präsidentschaftskandidat Joe Biden, wählte harte Worte: Trumps Verhalten sei einfach "widerlich" und "ein Verrat an den amerikanischen Bürgern". Das Verhalten des Präsidenten sei "beinahe kriminell". Ein bemerkenswerter Kommentar kommt von Joe Manchin, demokratischer Senator von West Virginia, der regelmäßig Trump unterstützt, da sein Wahlkreis eine Trump-Hochburg ist, sagte dem Sender NBC:
Ob die Enthüllungen Trump die Wiederwahl kosten können, wird sich erst mit den nächsten Umfragen zeigen.
Prominente US-Demokraten sind offenbar zuversichtlich. Nancy Pelosi, Sprecherin des Repräsentantenhauses, sagte dem Magazin "Newsweek", dass Trump mit seinen Äußerungen ihrer Partei sowohl den Sieg bei der Präsidentschaftswahl als auch die Mehrheit in Senat und Repräsentantenhaus gesichert habe. Pelosi wörtlich:
Deutlich skeptischer ist Politikwissenschaftler Brian Smith. Der Professor an der St.-Edwards-Universität in der texanischen Hauptstadt Austin sagte dem TV-Sender Fox29, die Enthüllungen kämen zu spät, um die Wahl wirklich zu beeinflussen. Zu viele Wähler hätten ihre Entscheidung bereits getroffen, sagte Smith. Selbst, wenn Trump verliere, geschehe das wohl nicht wegen des Interviews.
Edwards erinnerte an die Wochen vor der Präsidentschaftswahl 2016. Im Oktober 2016 wurde eine Tonaufzeichnung Trumps öffentlich. Trump hatte 2005 am Rand einer Aufzeichnung für die TV-Sendung "Access Hollywood" in extrem sexistischen Worten gesagt, dass berühmte Menschen wie er mit Frauen alles anstellen könnten. Trump wurde wenige Wochen später trotzdem gewählt.
Bisher gibt es auch keine Anzeichen dafür, dass Trump wegen der Enthüllungen Rückhalt in der eigenen Partei verliert. Der republikanische Senator Lindsey Graham verteidigte Trumps Vorgehen im Umgang mit dem Coronavirus gegenüber CNN, viele andere Abgeordnete wollten sich nicht äußern.
Bob Woodward ist einer der berühmtesten Journalisten der Welt. Zusammen mit seinem Kollegen Carl Bernstein hat er Anfang der 1970er-Jahre eine Reihe von Artikeln über den Watergate-Skandal veröffentlicht. Nachdem der öffentlich wurde, musste Präsident Richard Nixon letztlich zurücktreten. Um Woodwards und Bernsteins Arbeit dreht sich der Oscar-prämierte Film "Die Unbestechlichen" mit Dustin Hoffman und Robert Redford.
Woodward hat auch schon ein Buch über Präsident Trump geschrieben. "Furcht: Trump im Weißen Haus" erschien im September 2018 und zeichnete ein katastrophales Bild von Trumps Arbeit als Staatschef.
Nach den neuen Enthüllungen wird Woodward allerdings auch kritisiert – und zwar nicht nur von Trump-Anhängern. Mehrere Journalisten werfen ihm vor, die Öffentlichkeit nicht schon früher über Trumps Corona-Verharmlosungstaktik informiert zu haben.
Griffin Conolly, US-Korrespondent der britischen Zeitung "The Independent", schreibt in einem Kommentar an Woodward gerichtet:
Woodward selbst sagte der Nachrichtenagentur AP zu den Vorwürfen, er habe damals nicht überprüfen können, ob Trump ihm tatsächlich die Wahrheit sage. Und er hätte mit einer früheren Veröffentlichung keine Informationen verbreitet, die man vorher nicht ohnehin schon gekannt hätte.
Er wolle den Menschen "die bestmögliche Version der Wahrheit" bringen, und zwar in Buchform. Und wichtig sei für ihn, dass diese noch vor den Präsidentschaftswahlen verfügbar sei.