Sahra Wagenknecht hat es mal wieder geschafft. Mit relativ geringem Aufwand hat die Linken-Politikerin größtmöglichen Streit innerhalb ihrer Partei provoziert. Impfen sei kein Akt der Solidarität, sondern eine individuelle Entscheidung, hatte sie kürzlich bei Anne Will gesagt.
Ihre Partei reagiert, wie sie immer reagiert, wenn ihr prominentestes Mitglied querschießt: Die einen schweigen, die anderen schäumen. Und Wagenknecht macht weiter, ohne Konsequenzen fürchten zu müssen.
"Sahra Wagenknecht polarisiert und es ist ihr egal, was das für die Partei bedeutet", sagt ein Mitglied des Parteivorstandes auf Anfrage von watson. "Es ist egoistisch und unsolidarisch und sie nutzt es aus, dass die Partei in den letzten Jahren nur mittelmäßig bis irrelevante Köpfe in die erste Reihe gestellt hat", ergänzt der Politiker, der nicht namentlich genannt werden will.
Tatsächlich ist die Liste der amtierenden und ehemaligen Parteivorsitzenden gemessen an Popularitätswerten wenig glamourös. Aktuell bilden Susanne Hennig-Wellsow und Janine Wissler die Parteispitze. In den acht Jahren davor führten Bernd Riexinger und Katja Kipping die Partei. Letztere genoss zumindest auch in linken Kreisen außerhalb der eigenen Partei größere Sympathien. Darüber hinaus ist aber auch sie eher blass.
Sahra Wagenknecht ist sozusagen die letzte "Überlebende" einer Riege populärer Linken-Politiker vom Schlage eines Gregor Gysi oder eines Oskar Lafontaine. Dass sie "die Marktplätze füllt", wirkt mittlerweile zwar wie eine abgedroschene Phrase. Aber es ist nach wie vor die Realität. Tritt sie auf, stehen die Menschen, vor allem Männer Anfang Sechzig, für Autogramme Schlange. Ohne Probleme füllt sie riesige Kinosäle mit treu ergebenen Anhängern, aber dazu später mehr.
Schon vor ihrem Auftritt bei Anne Will am vergangenen Sonntag hatte Wagenknecht deutlich gemacht, was sie von der offiziellen Linie zur Bekämpfung der Pandemie hält. Auf ihrem Youtube-Kanal veröffentlicht sie regelmäßig ein Format namens "Wagenknechts Wochenschau".
In der Ausgabe Ende Oktober geht es um "Corona und kein Ende - brauchen wir einen Freedom Day?". Dort spricht sie von einer "totalitären Phantasie" der "keine Grenzen gesetzt" seien. Es gebe ein "aggressives Werben" für die Impfung. Menschen hätten das Recht, unvernünftig zu handeln, ergänzt sie. Und zieht einen Vergleich zum Alkoholkonsum, der, trotz Risiken, ebenfalls erlaubt sei.
Ihr Resümee: "Wenn der Druck nicht da ist, der irgendwo Einschränkungen erzwingt ... dann heißt das eben auch, Dinge aufzuheben, die zur Zeit massiv in Freiheitsrechte eingreifen."
Das Video wurde fast 155.000 Mal gesehen. Wagenknecht hat 287.000 Abonnenten, während der offizielle Youtube-Kanal ihrer Partei gerade einmal 26.600 Abonnenten verzeichnet. Welche Macht sie innerhalb der Linken trotz aller Querschüsse hat, wird auch an Zahlen wie diesen deutlich.
Dass sie auch Wählerschichten jenseits des linken Lagers anspricht, hat sie immer wieder deutlich gemacht. Zuletzt 2018 in einem Kino im Berliner Bezirk Lichtenberg. An einem späten Dienstagabend wollte die Linke eigentlich über "Wege in die gerechte Gesellschaft" diskutieren.
Es wurde die ultimative Sahra-Show. Der riesige Saal war bis auf den letzten Platz gefüllt - und zwar überwiegend mit treuen Fans der Politikerin und ihrer kurz zuvor gegründeten "Sammlungsbewegung Aufstehen".
Vor hunderten Menschen torpedierte sie offen Beschlüsse ihrer eigenen Partei: „Wenn wir über offene Grenzen reden, dann ist das eine Forderung, die die Menschen für völlig irreal halten und damit auch noch recht haben!“, sagte sie.
Weil aber die Forderung nach offenen Grenzen Teil des Parteiprogramms ist, drohten einige Mitglieder der Linken Bundestagsfraktion mit Austritt. Es gab, mal wieder, maximalen Streit auf offener Bühne. Wagenknecht wartete ab und es passierte, mal wieder, nichts.
Auch diesmal äußert sich der Groll vieler Parteigenossen vor allem in passiv-aggressiven Andeutungen und verklausulierten Rants. "Ich kann und werde Sahra Wagenknecht nicht mehr erklären", sagte Parteichefin Hennig-Wellsow in einer Reaktion.
Bodo Ramelow machte sich auf besonders kreative Art Luft: Auf seinem Twitter-Kanal postete der Ministerpräsident von Thüringen 29 Spritzen-Emojis und dazu das Mantra: "Impfen, Impfen, Impfen...".
Wie geht es nun weiter mit Wagenknecht? Dass die Politikerin, die für eine kurzfristige watson-Anfrage am Mittwoch nicht zu erreichen war, eine eigene Partei gründen und sich von der Linken abspalten will, ist ein sich hartnäckig haltendes Gerücht. Ihre 2018 gegründete und später gescheiterte "Sammlungsbewegung Aufstehen" war nur ein Anhaltspunkt.
Laut "Spiegel" fordert eine "Alternativgewerkschaft Social Peace" die Politikerin zum Austritt auf - und zur Gründung einer eigenen Partei: "Wir wollen eine neue Wagenknecht-Partei statt 'Gauche-caviar-Wokeness'", zitiert das Magazin einen Vorsitzenden der Organisation.
Und dann wären da noch die etwas subtileren Indizien. Während die meisten Websites ihrer Kolleginnen sachliche Namen tragen wie Katjakipping.de oder jankorte.de, hat Sahra Wagenknecht neben ihrer offiziellen Partei-Website noch eine weitere: Team-Sahra.de