Dass die Menschenrechtslage in Turkmenistan zu wünschen übrig lässt, ist schon seit längerem bekannt. Gemäß Human Rights Watch gehört das zentralasiatische Land zu einem der repressivsten Länder der Welt. Wer es wagt, sich kritisch gegenüber der Regierung zu äußern, muss damit rechnen, hinter Gittern zu landen oder gar ganz zu verschwinden. Die Menschen sehen sich deswegen gezwungen, sich den strikten Regeln und der Kontrolle des Staates zu unterwerfen.
So auch im Rahmen einer neu lancierten Kampagne gegen bärtige Männer. Landesweit führe die turkmenische Polizei derzeit Razzien durch, bei denen sie junge bärtige Männer festnimmt, berichtet die Newsplattform Radio Free Europe / Radio Liberty (RFERL). Dabei werden die Männer von der Polizei unter anderem "zwangsrasiert" und daran gehindert, Flugzeuge und Züge zu besteigen.
Ein 30-jähriger Mann erzählte gegenüber RFERL, wie er am Turkmenbashi International Airport von der Polizei gestoppt worden sei. Ihm sei befohlen worden, seinen Bart zu rasieren, weil er "so wie auf seinem Passfoto" aussehen müsse. Eine Identifizierung sei sonst nicht möglich, behauptete die Polizei.
Auch auf der Straße und öffentlichen Plätzen geht sie gegen junge bärtige Männer vor. Begonnen hätten die Razzien laut RFERL Mitte Mai – ohne Ankündigung oder jegliche Erklärung seitens der Regierung.
In der nördlichen Stadt Dashoguz seien Männer in Massen zu Polizeistationen gebracht worden, wo sie gegen ihren Willen kahlgeschoren worden seien, schreibt RFERL weiter. Einige Zeugen berichteten sogar, dass sie eine schriftliche Erklärung hätten unterzeichnen müssen, in der sie versprachen, sich in Zukunft keinen Bart mehr wachsen zu lassen.
Das Bart-Verbot ist an sich nichts Neues. Bereits 2004 beauftragte der damalige turkmenische Präsident Saparmurat Niyazov den Bildungsminister, die Behaarung junger Männer genaustens zu beobachten. Bärte sowie lange Haare seien nicht erwünscht.
Wie konkret dieser Erlass umgesetzt werden solle, erklärte der Präsident allerdings nicht. Viele Beamte gingen deshalb davon aus, dass sich diese Anordnung nicht langfristig durchsetzen würde. So sagte ein Beamter gegenüber dem Institut for War & Peace Reporting damals:
Einst seien Studierende auch gezwungen worden, die turkmenische Nationalmütze zu tragen. Doch auch in diesem Fall habe es keine Richtlinien zur Umsetzung gegeben, weshalb der Erlass nach einigen Monaten wieder in Vergessenheit geraten sei, berichtet das Institut weiter.
Die Anti-Bart-Regelung erwies sich allerdings als hartnäckiger. Auch wenn sie nach 2005 nicht konstant durchgesetzt wurde und auch heute noch nicht im Gesetz verankert ist, so gibt es immer wieder Phasen, in der die Polizei plötzlich wieder durchgreift. So auch 2019. Ein Busfahrer erzählte gegenüber The Chronicles of Turkmenistan, dass er während seiner Arbeit von der Polizei gestoppt worden sei.
Nachdem die Polizei auf seinem Führerschein gesehen habe, dass er noch nicht 40 Jahre alt sei, hätten sie ihn darauf hingewiesen, dass er keinen Bart tragen dürfe. Sie entzogen ihm seinen Führerschein, den er erst nach der Rasur seines Bartes wieder zurückerhalten hatte. Häufig werden die Männer zudem aufgefordert, eine Buße zu zahlen.
Für die Anti-Bart-Einstellung der turkmenischen Regierung gibt es diverse Erklärungen. So soll der erste Erlass des ehemaligen Präsidenten Saparmurat Niyazov hauptsächlich darauf abgezielt haben, die Jugend "konform zu halten". Jegliche Form von Individualismus sollte mit der strengen Haar- und Bart-Regelung im Keim erstickt werden.
Später wurde das Bart-Verbot vor allem aus nationalistischen Gründen durchgesetzt und offenbarte dabei die gespaltene Beziehung des Landes zum Islam. Im Zuge von muslimischen Eroberungen kam der Islam bereits zu Beginn des 8. Jahrhunderts nach Zentralasien, worauf sich die Region zu einem Teil der islamischen Zivilisation entwickelte. Die Turkmenen integrierten den Islam in ihren nomadischen Lebensstil, behielten gleichzeitig aber viele prä-islamische Bräuche bei.
Mit der sowjetischen Herrschaft wurde dem Islam dann aber insbesondere ab 1926 Einhalt geboten. Er wurde zum Feind des Kommunismus erklärt und während fast 70 Jahren unterdrückt, wodurch er fast gänzlich aus dem öffentlichen Leben verschwand. Nach dem Zerfall der Sowjetunion wurde der Islam vom ersten turkmenischen Präsidenten Saparmurat Niyazov wieder erlaubt.
Seine Priorität galt allerdings hauptsächlich dem Aufbau und dem Aufrechterhalten einer nationalistischen turkmenischen Identität, derer sich der Islam unterzuordnen hatte. So gilt Turkmenistan zwar offiziell als säkulares Land, die Ausübung von Religion wird allerdings von staatlicher Seite strengstens reguliert und kontrolliert. Gefördert wird vor allem der "turkmenische Islam", welcher die nationale Identität stärken soll. Gemäß einer Schätzung der USA sollen 89 Prozent der 5.6-Millionen-Bevölkerung Muslime sein.
Was hat das also mit Bärten zu tun? Von vielen Einheimischen wird ein langer Bart schlicht als eine unkonventionelle islamische Tradition erachtet, die sich nicht mit dem Bild des turkmenischen Islam deckt. Der Staat spinnt dieses Narrativ noch weiter, indem er lange Bärte als einen Hinweis darauf erachtet, dass deren Träger einer extremistischen Religion folgen könnte. Dieses Argument gewann an mehr Schlagkraft, als der Islamische Staat – nicht unweit von Turkmenistan – ab 2014 in Syrien und Irak zu einer immer größeren Macht wurde.
Hinter dem Beard-Ban stecken also sowohl religiöse als auch nationalistische Gründe. Mit dem Abrasieren des Bartes sollen die jungen Männer wieder dem Abbild traditioneller Turkmenen entsprechen.
Was bei den Männern der Beard-Ban ist, ist bei den Frauen der Beauty-Ban: Seit dem letzten Jahr dürfen Frauen keine enge Kleidung, keine falschen Fingernägel oder Wimpern mehr tragen, berichtete Radio Free Europe / Radio Liberty im Mai 2022. Auch Brustvergrößerungen und Lip Filler sind verboten. Die informellen Beschränkungen traten in Kraft, kurz nachdem der neue Präsident Serdar Berdymuchammedow nach einer Scheinwahl am 12. März das Amt seines Vaters übernommen hatte.
Ähnlich wie das jetzt bei den Männern getan wird, wurden im großen Stil Razzien durchgeführt: Frauen wurden von öffentlichen Plätzen oder aus ihren Büros geholt, wenn sie mit falschen Wimpern oder Nägeln "erwischt" wurden. In den Polizeistationen wurden sie gezwungen, die Schönheitsaccessoires abzulegen und eine Buße zu bezahlen.
Während Corona wurden sie sogar auf der Straße gestoppt und mussten die Gesichtsmaske ausziehen, damit die Polizei überprüfen konnte, ob sich dahinter aufgespritzte Lippen verbargen. Wie die Männer mussten auch die Frauen eine schriftliche Erklärung unterschreiben, in der sie sich verpflichteten, in Zukunft keine enge Kleidung, falsche Nägel oder Wimpern zu tragen.
Wie Frauen gegenüber RFERL berichteten, beinhaltete das Dokument unter anderem folgende Zeilen:
Für alle diese Einschränkungen sei nie eine Ankündigung gemacht worden, so das News-Magazin The Diplomat. Weder die (staatlich kontrollierte) Presse noch der Staat äußert sich zum Thema. Ihr Ziel ist dennoch klar: Die Abschottung der Bevölkerung von jeglichen äußeren Einflüssen, seien sie religiöser oder alltäglicher Natur. Dies erreichen sie sowohl durch Zensur als auch durch das Verbot von allem, was nicht dem Bild eines traditionellen Turkmenen oder einer traditionellen Turkmenin entspricht.