Das Volk stürmt den Regierungssitz. Ein bisher einmaliges Ereignis in der politischen Geschichte Amerikas. So beschreibt es die Historikerin Jill Lepore in einer Dokumentation des Senders Arte. Die Rede ist natürlich vom Sturm auf das Kapitol – für den der ehemalige Präsident jetzt, nach Bekanntwerden des Ergebnisses eines Untersuchungsausschusses, sogar zur Rechenschaft gezogen werden könnte.
Watson hat die Ereignisse vom 6. Januar für euch mit etwas Abstand analysiert.
Für Donald Trump kommt Verlieren nicht infrage. Der ehemalige US-Präsident hat dafür schon 2016 vorgesorgt – obwohl er damals bekanntlich die Wahl gegen die Demokratin Hillary Clinton gewann.
Doch Trump hatte schon während des Wahlkampfes 2016 von Wahlfälschungen gesprochen. Er behauptete, Clinton habe Millionen illegal abgegebene Wahlstimmen erhalten. Er, der damals neue Präsident der Vereinigten Staaten, hatte eine eigens einberufene Kommission mit der Prüfung des Wahlergebnisses beauftragt. Das Ergebnis: kein Betrug.
Doch allein mit dieser Erzählung implantierte Trump bei seinen Anhänger:innen das Misstrauen.
2020 legte der Präsident nach: Schon vor der Wahl gegen seinen Konkurrenten Joe Biden erhob er ähnliche Vorwürfe. Die Demokraten hätten schon zu Beginn des Wahlkampfes einen massiven Wahlbetrug geplant – durch die Manipulation von Briefwahlstimmen. Schon bevor er überhaupt verlor, pflanzte er diesen Glauben in die Köpfe seiner Fans: Nur mithilfe von Betrug könne man dem großen Trump den Wahlsieg nehmen.
So war es am Ende für Trump ein Kinderspiel, seine Anhänger:innen nach der verlorenen Wahl davon zu überzeugen, dass Joe Biden betrogen hätte. Schließlich gab es ja angeblich schon vorab die Hinweise.
Auch viele seiner Parteikolleg:innen, Blogger:innen und Nachrichtensender wie Fox News verbreiteten diesen Mythos.
Am 6. Januar trafen sich der Senat und das Repräsentantenhaus, um die Stimmen endgültig auszuzählen. Dies war die Sitzung, bei der Trump offiziell als Verlierer der Präsidentenwahl hervorgehen sollte.
An diesem Tag rief der Noch-Präsident zu einer Demonstration auf. Hunderttausend seiner Anhänger:innen kamen dieser Bitte nach. Sie versammelten sich im Regierungsviertel, zwei Kilometer vom Kapitol entfernt.
"Kämpft für Trump", riefen sie. Und: "Stoppt den Diebstahl". Auf der Bühne sprachen prominente Trump-Fans, darunter auch ein Anwalt Trumps und New Yorks ehemaliger Bürgermeister Rudy Giuliani. Dieser wollte "eine Untersuchung erkämpfen".
Dann betrat auch Trump die Bühne. Auszüge aus seiner Rede könnten tatsächlich als Aufruf zum Sturm auf das Kapitol interpretiert werden:
Die Masse setzte sich in Bewegung. Und Trump? Der stieg in sein Auto und ließ sich mitsamt seiner Familie wieder ins Weiße Haus fahren.
Bleibt die Frage: Wollte Trump mit diesen Aussagen die Menschen dazu bewegen, die Regierung zu stürzen oder hat er sich nur unglücklich ausgedrückt?
Expert:innen gehen nicht davon aus, dass Trump sich in seiner Wortwahl aus Versehen vergriffen haben kann. Tatsächlich meinen viele, ein Umsturz könnte sogar von langer Hand geplant gewesen sein.
Die Masse an Trump-Fans und Rechtsextremen war nun also auf dem Weg zum Kapitol. Nur wenige Journalist:innen begleiteten sie und fragten, was sie dort vorhätten. Die einhellige Antwort: "Wir stürmen das Haus. Das ist unser Haus!"
Dass sie im Begriff waren, schwere Straftaten zu begehen, war den Demonstrierenden offenbar nicht bewusst. Sie filmten sich währenddessen. Waren live auf ihren Social Media Kanälen und berichteten davon, dass sie auf dem Weg sind, ein Haus der Demokratie zu stürmen. Die Türen einzutreten.
Zur gleichen Zeit berieten die Senator:innen und Repräsentant:innen im Kapitol über die Wahlergebnisse. Auffällig war: Republikanische Teilnehmer:innen erhoben immer wieder Einspruch nach der Auszählung der jeweiligen Bundesstaaten. Das hatte zur Folge, dass sich die Kammern zu Beratungen zurückziehen mussten.
Damit verschaffte man dem Mob Zeit. Wertvolle Zeit.
Gegen 13 Uhr fielen die ersten Absperrungen.
Der Mob war nicht mehr zu bändigen. Zehntausende Menschen schoben sich nach vorn. Stürzten die Absperrungen oder kletterten darüber. Gleichzeitig wurden sie aggressiver.
Die Situation heizte sich auf. Die Demonstrierenden durchbrachen die letzten Barrieren, um an das Hauptgebäude des Kapitols zu gelangen – und zwar von allen Seiten. Die nächste Eskalationsstufe war erreicht. Von beiden Seiten. Denn die Polizei wusste sich nicht mehr zu helfen. Tränengas, Rauchbomben und Blendgranaten fanden ihren Weg in den wütenden Mob. Woher sie kamen, ist bis heute unklar.
Um kurz nach 14 Uhr schafften es die ersten ins Gebäude. Und die Aufständischen hatten genaue Ziele: Eines war das Büro der damaligen Sprecherin des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi. "Hey Nancy, hey Nancy we're coming for you", riefen sie dabei höhnisch.
Andere wollten Mike Pence finden – den ehemaligen Vizepräsidenten (Republikaner), der den Kongress leitete. Trump hatte ihn zuvor aufgerufen, die Wahl als gefälscht anzuerkennen. Pence kam dem nicht nach. "Hang Mike Pence", schrien die Menschen.
Der Mob stand auch bereits vor dem Plenarsaal. Kurz nach 14 Uhr evakuierte das Sicherheitspersonal den Saal. Doch nicht alle konnten raus. Wegen der Corona-Pandemie mussten einige Politiker:innen während der Anhörung auf die Tribüne. Für sie fand man zunächst lange Zeit keinen sicheren Ausgang. Erst viel später konnten auch sie dem Mob entkommen.
Später fanden einige Aufständische noch ihren Weg in den Plenarsaal.
Erst als die Nationalgarde anrückte, schaffte man es, die aufgebrachte Menge aus dem Kapitol zu drängen. Die Senator:innen und Mitglieder des Repräsentantenhauses beschlossen, die Auszählung zu Ende zu bringen. Gegen 3 Uhr in der Nacht verkündeten sie das Endergebnis – mit dem Gewinner Joe Biden.
Die Gesamtbilanz: Ein Polizist und vier Trump-Anhänger:innen starben bei dem Aufstand. Zwei Polizisten begingen unmittelbar nach den Ereignissen des 6. Januars Suizid. Hunderte Menschen wurden teilweise schwer verletzt. Viele Polizist:innen haben bleibende physische Schäden davongetragen – einige befinden sich seither in psychiatrischer Behandlung.
Anderthalb Jahre hat ein Untersuchungsausschuss Beweise gesammelt, eigenen Angaben nach mehr als 1000 Zeug:innen verhört.
Man kam zu dem Schluss: Trump wusste, dass er die Präsidentenwahl verloren hat. Er setzte das Justizministerium und Angestellte der Regierung unter Druck. Er hetzte einen Mob auf das Kapitol.
Doch der Untersuchungsausschuss kann Trump nicht vor Gericht bringen. Er kann dem Justizministerium nur empfehlen, den Ex-Präsidenten anzuklagen. Sollte Trump jemals wegen des Vergehens der Aufruhr verurteilt werden, dürfte er kein politisches Amt in den USA mehr ausüben.
Trump weist alle Vorwürfe von sich, tut sie als politische Verfolgung ab. Er möchte noch einmal Präsident der USA werden und hat bereits seine Kandidatur für die Wahl 2024 erklärt.
Wann das Justizministerium eine Entscheidung über sein weiteres Vorgehen trifft, ist noch nicht absehbar.