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Warum Querdenker trotz Lockerungen noch gegen Corona-Maßnahmen protestieren

Ein Demonstrationszug gegen die Corona-Politik wird angeführt mit einem Transparent mit der Aufschrift "Freie Impfentscheidung für alle & für immer".
"Freie Impfentscheidung für alle & für immer" steht auf einem Plakat eines Demonstrationszugs im April in Thüringen.Bild: dpa / Michael Reichel
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Demonstrationen gegen Corona – Warum Menschen jetzt noch auf die Straße gehen

Nach wie vor treffen sich Menschen zu "Montagsspaziergängen" gegen Corona-Schutzmaßnahmen. Und das, obwohl es aktuell so gut wie keine Beschränkungen mehr gibt und auch die allgemeine Impfpflicht vorerst gescheitert ist. Wer sind diese Menschen und was wollen sie bewirken? Eine Analyse.
08.05.2022, 16:0412.05.2022, 09:56
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"Nein zur Giftspritze. Nein zu den gesundheitsschädlich­en Masken (Sondermüll). Beenden wir als Deutsche den Wahnsinn, den wir derzeit erleben, durch unser Handeln."

"Die gesamte Berliner Regierung und manche Landesregierung ist mit Nazis durchsetzt."

"Es ist eine Schande, wie in Chemnitz Woche für Woche Bürger schikaniert werden. Das zeigt aber auch: Der Bürgerprotest ist denen da oben ganz schön unangenehm."

Solche Kommentare sind unter Livestreams auf YouTube von sogenannten "Montagsspaziergängen" oder in Telegramgruppen, wie beispielsweise aus Sachsen, zu lesen.

Nach wie vor treffen sich Menschen in verschiedenen Städten immer Anfang der Woche zu Demonstrationen. Sie protestieren gegen die Corona-Schutzmaßnahmen, gegen "die da oben", die Politik.

Dabei sollte man meinen, dass diese Demonstrationen mittlerweile hinfällig geworden sind. Denn Schutzmaßnahmen gegen das Corona-Virus gibt in Deutschland kaum noch. Lediglich die einrichtungsbezogene Impfpflicht hat weiterhin Bestand und teilweise besteht noch eine Pflicht zum Tragen einer Atemschutzmaske, zum Beispiel in Zügen oder im Krankenhaus.

Die allgemeine Impfpflicht hingegen ist bis auf Weiteres gescheitert. Was soll also mit den Demonstrationen noch erreicht werden? Watson hat darüber mit Antisemitismus- und Sektenexperten gesprochen.

"Verschwörungsgläubige haben Zeit, Geld und Ruf investiert"

"Wir dürfen NIEMALS nachlassen" und "Wir müssen dran bleiben. Der Kampf ist nicht zu Ende. Wir haben eine Schlacht gewonnen, aber nicht den Krieg gegen die Altparteien", schreiben User unter Videos über Demonstrationen auf YouTube.

Es geht ihnen mittlerweile also um mehr als nur die Corona-Schutzmaßnahmen.

"Umso länger jemand in digitalen Verschwörungssekten mitgemacht hat, umso schwerer wird die Rückkehr in die Realität."
Michael Blume, Antisemitismusbeauftrager Baden-Württemberg

Michael Blume, Beauftragter gegen Antisemitismus der baden-württembergischen Landesregierung, sagt zu watson:

"Viele Verschwörungsgläubige haben in die Covid19-Verschwörungsbewegungen wie Querdenken und QAnon enorm viel Zeit, Geld und auch ihren Ruf investiert."

Es falle ihnen deshalb jetzt schwer, zuzugeben, dass die Pandemie samt Impfungen nie eine Verschwörung war.

"Einige radikalisieren sich deshalb einfach weiter und flüchten sich in neue Verschwörungsvorwürfe etwa gegen das World Economic Forum, gegen Israel oder gegen die NATO", sagt Blume.

Proteste geprägt von Unsicherheit und Gefühlen der Ungerechtigkeit

In den ersten Monaten der Corona-Pandemie, nach dem ersten Lockdown, einte die Demonstrierenden noch ein Thema: die Corona-Maßnahmen. Darunter Menschen, die durch den Lockdown ihre Existenz verloren oder durch die Einschränkungen zum Beispiel psychisches Leid erfahren hatten.

Viele von ihnen fühlten sich ungerecht behandelt. Und unsicher. Eine mutmaßlich heile Welt ließ sich plötzlich nicht mehr so einfach erklären, sie wurde auf den Kopf gestellt.

Also fingen manche Menschen an, sich selbst Erklärungen zu suchen. Über die Herkunft des Virus, über die Verflechtung von Firmen in die Politik. Über die Herstellung von Schutzmasken.

GER, Rund 100 Menschen demonstrierten mit den "Freien Oldenburgern" gegen Corona Maßnahmen, besonders gegen Impf- und Maskenpflicht, mit dabei waren auch lokale AfD Politiker*innen. Oldenbur ...
Rund 100 Menschen demonstrieren im April in Oldenburg gegen Corona Maßnahmen, wie Impf- und Maskenpflicht.Bild: Eibner Pressefoto / Eibner/Fabian Steffens

Durch Social Media und eine bestens vernetzte Welt ist es heutzutage einfach, sich seine Realität selbst zu erklären. Menschen, die zuvor keinen erkennbaren Hang zu Esoterik oder Verschwörungsmythen hatten, schlossen sich Vereinigungen, wie der rechtsextremen QAnon-Gruppierung an.

Die Anhängerinnen und Anhänger von QAnon, glauben, dass es eine Verschwörung, einer global agierenden, satanistischen Elite gibt, die Kinder missbraucht, um aus dem Blut eine Verjüngungsdroge zu gewinnen.

Maske symbolisiert Einschränkung der eigenen Meinung

Verschwörungstheorien verschiedener Art gibt es schon lange, sowohl aus politisch linken wie auch rechten Milieus und aus der Mitte der Gesellschaft.

Vor allem zu Beginn der Pandemie wurden Verschwörungstheorien getrieben von Ungerechtigkeit und Angst. Angst vor der Zukunft, vor fehlende Perspektiven. Menschen auf den Demonstrationen gegen die Corona-Schutzmaßnahmen hatten den Wunsch nach Anerkennung ihrer Individualität und der eigenen Meinung. Das ist ihr kleinster gemeinsamer Nenner. Damals wie heute.

Dass es an dieser Anerkennung mangelt, dürfte ihr größter Antrieb sein. Und die Erklärung dafür, warum sich aus den unterschiedlichsten politischen Ecken, Menschen in dieser Bewegung zusammentun. Die Atemschutzmaske dient dabei als Projektion ihres Gegners: Sie ist das Symbol für empfundene Einschränkung ihrer eigenen Meinung, ihrer Individualität.

Demonstrationen erzeugen Gefühl von Einigkeit

Jetzt aber sind die meisten Maßnahmen gegen Corona de facto nicht mehr existent. Zwar wird vor einer neuen Infektionswelle im Herbst gewarnt, aber man gewinnt den Eindruck, dass es darum auf den Demonstrationen nicht mehr geht.

Neben der Organisation von Protestmärschen werden auch mehrfach täglich die Telegramchannel verschiedener organisierter rechtsextremer Anti-Corona-Maßnahmen-Gruppen bespielt.

Zu finden sind zahlreiche Zeitungsartikel über die neuesten Entwicklungen in der Corona-Pandemie, die dort kommentiert werden.

Social Media stellt hier ein mächtiges Instrument dar: Wer früher gegen den Fernseher im Wohnzimmer geschrien hat, twittert heute seine eigene Meinung in die digitale Welt hinaus. Aber das ist immer noch so einsam wie früher. Weil die Meinung nicht in der analogen Welt geteilt werden kann. Auf den Demonstrationen hingegen könnte ein Gefühl entstehen, mit der eigenen Meinung nicht alleine zu sein.

Dort fallen Sätze wie zuletzt am 8. April in Berlin: "Ich bin ungetestet, unmaskiert und ungeimpft und das bleibt auch so", hört man eine Frau durch ein Mikrofon. "Ich habe den Patienten die Masken heruntergezogen, ich habe mich geweigert, Abstriche zu machen." Möglicherweise eine Mitarbeiterin in der Pflege – sie sprach auf einer Demonstration gegen die einrichtungsbezogene Impfpflicht.

Themen der Demonstrationen werden sich ändern

Matthias Pöhlmann, Beauftragter für Sekten- und Weltanschauungsfragen der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern bestätigt im Gespräch mit watson, dass sich diese Gruppe von Menschen wegen der Lockerungen der Maßnahmen andere Themen suchen wird. Man versuche "anschlussfähige Themen zu finden."

Pöhlmann sagt:

"Nach wie vor ist das Thema Impfgegnerschaft sehr dominant. Aber es werden auch weitere Themen aufgegriffen, wie kein digitaler Überwachungsstaat, der Ukraine-Krieg, Kritik an deutschen Waffenlieferungen sowie massive Vorbehalte gegenüber öffentlich-rechtlichen Medien."

Verschwörungstheorien werde es auch in Zukunft geben, selbst wenn die Corona-Pandemie irgendwann kein Thema mehr sein sollte. "Was die Menschen auf den Montagsspaziergängen nach wie vor verbindet, ist eine starke Distanz zum Staat und zur Demokratie und das Misstrauen gegen die Medien und die Politik", sagt er.

Oldenburg Demonstration gegen Corona Ma�nahmen, Oldenburg, 25.04.2022 GER, Rund 140 Menschen demonstrierten mit den Freien Oldenburgern gegen Corona Ma�nahmen, besonders gegen Impf- und Maskenpflicht, ...
Die Montagsspaziergänge gehen weiter, wie hier am 25. April. Auf einem Schild steht: "Gemeinsam gegen Faschismus".Bild: www.imago-images.de / imago images

Dort herauszukommen, sei gar nicht so einfach. Antisemitismus-Beauftragter Michael Blume fasst es so zusammen:

"Wir sehen es doch auch bei Xavier Naidoo: Umso länger jemand in digitalen Verschwörungssekten mitgemacht hat, umso schwerer wird die Rückkehr in die Realität. Dieser Weg wird kein leichter sein."

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