Gleich mehrere Demonstrationen von Gegnern der Pandemie-Maßnahmen musste die Polizei in Sachsen am Montag auflösen. In Bautzen, Freiberg, Chemnitz und andernorts kamen teils hunderte Menschen zusammen, allein in Freiberg soll die Zahl der Protestierenden laut Medienberichten vierstellig gewesen sein.
Dabei sind derzeit nur Versammlungen von bis zu zehn Personen erlaubt.
Zuvor hatte der sächsische Landtag am Montag offiziell die epidemische Lage festgestellt und damit die Rechtsgrundlage für weitere Schutzmaßnahmen zur Eindämmung des Corona-Virus geschaffen.
Es ist eine neue Stufe der Eskalation nach den Vorfällen vergangene Woche in Grimma.
Am Freitag sind rund 30 Demonstranten mit Fackeln vor dem Privathaus der sächsischen Gesundheitsministerin Petra Köpping (SPD) aufmarschiert.
Seitdem mehrt sich die Besorgnis über eine weitere Radikalisierung des rechtsextremen und "Querdenker"-Milieus.
Im Fokus steht hier vor allem die Bewegung "Freie Sachsen", die auf ihrem Telegram-Kanal massiv gegen Politiker hetzt und zu Demonstrationen aufruft.
Michael Blume, Politikwissenschaftler und Antisemitismus-Beauftragter in Baden-Württemberg, sagt watson auf Anfrage, "die verbleibenden Covid-19-Verschwörungsgläubigen" radikalsierten sich nun.
Blume führt aus:
"Denn viele von diesen Fackelträgern haben schon soviel Ruf, Zeit und Geld in ihre Verschwörungsmythen investiert, dass sie statt dem stillen Rückzug die weitere Eskalation suchen."
Ihre Anführer aus den Reihen der "Querdenken"-Bewegung machten sich gleichzeitig bereits "mit dem erbeuteten Geld vom Acker" und stritten jede Verantwortung für die Vorkommnisse ab, so Blume gegenüber watson.
Dies müsse sich endlich ändern, fordert der Experte: man müsse man die Kanäle der Leute, die mit Verschwörungsmythen Geld verdienen, trockenlegen. Außerdem brauche man mehr Beratungsstellen, die hilfesuchende Menschen mit Aussteigerprogrammen auffangen.
Die Regionale Arbeitsstelle für Bildung, Integration und Demokratie in Sachsen (RAA Sachsen) sieht die zunehmende Radikalisierung mit Sorge. Andrea Hübler, Fachreferentin der Opferberatung "Support", die Unterstützung für Betroffene rechtsmotivierter und rassistischer Gewalt anbietet, sagt gegenüber watson:
Hübler befürchtet, dass es nicht bei Demonstrationen bleiben wird: "Die wachsende Gefahr dabei ist, dass solche Drohungen in gezielte Gewalt münden, wenn dem nicht ernsthaft und mit allem Nachdruck begegnet wird."
Bereits im August dieses Jahres hatte auch Michael Blume im Interview mit watson gesagt, er glaube leider, dass in den nächsten Jahren die Radikalisierung weitergeht. "Dass wir Gewalt und möglicherweise auch Terror erleben werden."
Angesichts der aktuellen teils aggressiven Proteste vor allem in Teilen Ostdeutschlands warnt Blume, gerade in den kommenden Monaten sei die Gefahr von Gewalt gegen Impfbefürworter akut. Erst nach Durchsetzung der Impfpflicht rechne er mit einer Befriedung.
Überraschend meldete sich am Samstag auch der aus Sachsen stammende AfD-Bundessprecher Tino Chrupalla zu Wort. Auf Twitter schrieb er:
Noch am vergangenen Samstag hatte Chrupalla Medienberichten zufolge in Potsdam selbst an einer Kundgebung gegen die Corona-Maßnahmen teilgenommen.
Die Opfer-Beraterin von "Support", Andrea Hübler, kritisiert die zu lasche Handhabung der Politik gegenüber Corona-Gegnern. Regelmäßig finden trotz Verordnung Demonstrationen gegen die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie in vielen Städten in Sachsen statt: ohne Abstand und zumeist ohne Masken. Viel zu selten sei versucht worden, diese zu unterbinden, so Hübler. Stattdessen äußerte der sächsische Innenminister Roland Wöller in der Vergangenheit des Öfteren Verständnis für diese sich zunehmend radikalisierenden und aus extrem rechten Kreisen organisierten Proteste.
Die Corona-Leugner einfach gewähren zu lassen, könne die Bewegung noch befeuern: "Das bestärkt diese radikale Minderheit und lässt jene allein, die den Bedrohungen und Anfeindungen ausgesetzt sind. Politik und Rechtsstaat dürfen keinesfalls den Eindruck erwecken, vor einer solchen demokratiegefährdenden Bewegung zu kapitulieren. Andernfalls besteht das Risiko, dass sich deren Radikalisierung noch beschleunigt", sagt Hübler gegenüber watson.
In Grimma konnte die Polizei am vergangenen Freitag rund 25 mutmaßliche Teilnehmer der Aktion festsetzen und die Personalien überprüfen. Nach dem Eintreffen der Polizisten versuchten die Demonstranten nach Polizeiangaben zunächst zu flüchten. 15 Autos hätten die Beamten allerdings stoppen können.
Bereits im Januar machte eine ähnliche Aktion Schlagzeilen. Damals versammelte sich eine Menge von Gegnern von Corona-Maßnahmen vor dem Privathaus von Sachsen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer (CDU).
Angesichts weiterer angekündigter Aktionen in mehreren Städten machen die Behörden einen eher ratlosen Eindruck.
Ein Journalist des MDR wollte am Samstag vom sächsischen Polizei-Präsidenten Horst Kretzschmar wissen, warum die Polizei bei hunderten Menschen, die sich versammeln, nicht einschreite – während aufgrund der aktuellen sächsischen Corona-Verordnung eine Obergrenze von zehn Personen gelte.
Dieser bedankte sich für die Frage und sagte, man werde "die Gangart und die Angemessenheit auch in Zukunft beachten". Mit Rechten und Radikalen an der Spitze der Proteste werde man "etwas robuster" umgehen.
Von einer aktiven Unterbindung der Veranstaltungen sagte er indes nichts.
Immerhin scheint der sächsische Innenminister Roland Wöller unter dem öffentlichen Druck seine Meinung zu den Corona-Gegnern langsam zu überdenken. "Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass der Protest sich zunehmend mit Hass und Gewalt auflädt." Wöller kündigte nun in einem RTL-Direkt-Interview "Schnellverfahren" für solche Corona-Proteste an. Er sagte: "Der Rechtstaat muss ein klares, zügiges Signal senden. Die Verfahren müssen schneller laufen und zu Verurteilungen führen."