Politik
Analyse

Mieten-Explosion: Kevin Kühnert fordert Marco Buschmann zum Handeln auf

Viele Bauvorhaben werden aktuell aufgrund der gestiegenen Preise wieder storniert.
Viele Bauvorhaben werden aktuell aufgrund der gestiegenen Preise wieder storniert.Bild: getty images / Lichtwolke
Analyse

Schaffe, schaffe, Häuslebau storniere: Warum es beim Wohnungsbauziel der Ampel hakt

16.08.2022, 18:0417.08.2022, 10:29
Mehr «Politik»

Auch wenn es in diesem Jahr wohl nichts mehr wird: SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert verteidigt die ambitionierten Wohnungsbauziele der Ampel-Regierung. "Wir haben dieses Ziel in dem Wissen gesetzt, dass das sportlich wird", stellt Kühnert, der Mitglied des Bauausschusses im Bundestag ist, auf watson-Anfrage klar.

Zuvor hatte das ifo-Institut bekannt gegeben, dass viele Bauaufträge wieder storniert würden und das Ziel der Regierung daher in diesem Jahr nicht zu erreichen sei. Die Bundesregierung hat es sich in ihrem Koalitionsvertrag zur Aufgabe gemacht, das Problem Wohnungsmarkt anzugehen. 400.000 neue Wohnungen pro Jahr, ein Viertel davon Sozialbauten.

Der ifo-Forscher Felix Leiss stellte in einer Presseerklärung klar:

"Wir beobachten seit April eine Stornierungswelle. Die ehrgeizigen Neubauziele der Bundesregierung rücken damit in weite Ferne."

Auch im Regierungslager selbst gibt es schon länger Zweifel, dass die Ziele erreicht werden könnten, wie die "Taz" berichtet.

Kühnert erklärt hingegen:

"Was sind politische Ziele wert, wenn wir sie nur bei Schönwetter aufrechterhalten? Wir wollen uns selber antreiben, so viel wie möglich zu erreichen. Wir glauben, 400.000 Wohnungen pro Jahr sind möglich, wenn alle ihren Beitrag dazu leisten."
SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert bei einem Besuch des Deutsche-Bahn-Werks in Cottbus.
SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert bei einem Besuch des Deutsche-Bahn-Werks in Cottbus.Bild: IMAGO / photothek

Die Wohnungsmärkte der deutschen Städte und Gemeinden sind angespannt. Auch und gerade im Bereich der Sozialwohnungen, denn es gibt immer weniger von ihnen. Der Grund: Wohnungen sind nur für eine gewisse Laufzeit Teil des sozialen Wohnungsmarktes. Nach dieser Zeit fallen sie aus der Bindung und dürfen vom Eigentümer:innen auch teurer vermietet werden.

Ambitionierte Ziele für die Zukunft

Für Kevin Kühnert ist es ein Erfolg, dass der Bund nun seine Mittel für den Wohnungsbau erhöht. Im Bereich der sozialen Wohnraumförderung bräuchte es aber auch die Länder und Kommunen. Insgesamt, stellt Kühnert klar, gebe es nicht die eine Lösung, um Wohnraummangel zu begegnen. Neben der Schaffung von mehr bezahlbaren Wohnraum gibt es laut Kühnert nämlich einen weiteren entscheidenden Hebel: Eine soziale Bodenpolitik, die Spekulationen stoppt.

Er sagt:

"Bauland ist knapp und sollte daher bevorzugt an gemeinwohlorientierte Bauherren gegeben werden. Für sie werden wir mit der Einführung einer neuen Wohngemeinnützigkeit das leistbare Bauen deutlich attraktiver machen."

Wohngemeinnützigkeit bedeutet, dass Wohnungsunternehmen, die sich dem bezahlbaren und preisgünstigem Wohnraum verpflichten, Investitionshilfen und Förderungen vom Staat bekommen. Außerdem können verschiedene Steuern entfallen.

Da in der Koalition ein Mietenstopp – auch wenn Kühnert und seine Partei ihn gern hätten – nicht vorgesehen ist, sei auch die sogenannte Kappungsgrenze ein wichtiges Instrument. Durch sie würden die Preisentwicklungen der Bestandsmieten abgebremst. Im Koalitionsvertrag ist festgeschrieben, dass sich diese Grenze auf einen Mietanstieg von maximal elf Prozent innerhalb von drei Jahren verringert. "Das muss Justizminister Buschmann jetzt zügig umsetzen", fordert Kühnert. Auch die Mietpreisbremse bei Neuvermietungen sei ein wichtiges Instrument.

400.000 Wohnungen sollten in diesem Jahr gebaut werden – dieses Ziel der Bundesregierung wird nicht erreicht.
400.000 Wohnungen sollten in diesem Jahr gebaut werden – dieses Ziel der Bundesregierung wird nicht erreicht.Bild: IMAGO / APress

Kühnert räumt ein, dass es weitere Preistreiber gibt, die die Politik eindämmen müsse. Er sagt:

"Vielerorts werden immer mehr Wohnungen möbliert oder teilmöbliert vermietet. Das ist leider ein indirektes Umgehungsinstrument für Mietpreisbremse, Kappungsgrenze und andere Mietregularien geworden. Hier gibt es akuten Handlungsbedarf, den wir angehen wollen."

Im Bereich der Indexmietverträge tue die Inflation nun ihr Übriges – denn in diesem Fall ist die Miethöhe an die Veränderung der Lebenshaltungskosten gekoppelt. Sie steigt also, wenn das Leben teuer wird. "Die Lage ändert sich hier so dramatisch, dass wir jetzt intervenieren müssen", sagt Kühnert und fordert: "Die Kappungsgrenze muss auch für diese Vertragsform gelten, damit die Mieten nicht ins Unermessliche schießen."

Für die Vorsitzende des Wohn- und Bauausschusses im Bundestag, Sandra Weeser (FDP), ist klar: Die Wohnungsnot ist nur zu lösen, wenn gebaut wird. Auf watson-Anfrage erklärt Weeser:

"Wir müssen uns schlicht aufs Bauen konzentrieren, da nur so neuer Wohnraum für die Menschen entsteht. Am Ende des Tages baut nicht der Staat, sondern die Unternehmen und Handwerker. Es kommt also auf die Rahmenbedingungen an."

Handlungsbedarf sehe die FDP-Politikerin bei den Genehmigungsverfahren und der "Kleinstaaterei der Bundesländer". Hier brauche es mehr Personal und die Digitalisierung. So könnten Prozesse verschlankt und entbürokratisiert werden.

Sandra Weeser (FDP)
FDP-Politikerin Sandra Weeser ist die Vorsitzende des Wohn- und Bauausschusses im Bundestag.Bild: IMAGO / photothek

"Wir müssen serielles Bauen vereinfachen – etwa über vereinfachte Typengenehmigungen", sagt Weeser. Es ergebe keinen Sinn, baugleiche Gebäude doppelt durchzuprüfen, wenn es bereits 200 Kilometer entfernt fertig gebaut stehe und funktioniere.

Aus dem Bauministerium heißt es auf watson-Anfrage, dass auch Ministerin Geywitz das serielle Bauen als Möglichkeit sieht.

Geywitz erklärt:

"Ich habe mir erst vor Kurzem in Möckern bei Magdeburg eine Gigafactory so groß wie 17 Fußballfelder angesehen. Hier werden ab Ende 2022 jährlich klimaneutral bis zu 20.000 Wohnungen seriell mit Holz gefertigt. Serieller Wohnungsbau in Deutschland kommt raus aus der Nische und geht in Massenproduktion. So können wir die Produktivität im Bausektor deutlich steigern. Das ist eine wichtige Voraussetzung, um jährlich 400.000 Wohnungen errichten zu können."

Wichtig sei außerdem, meint FDP-Politikerin Weeser:

"Wir müssen auch an das Thema Wohnungsbauförderung neu ran. Da bereiten wir gerade Vorschläge für neue Modelle vor, die ab nächstem Jahr greifen könnten."

Mit Blick auf steigende Energiekosten und Inflation sei sie offen für den Vorschlag des Bundeskanzlers, das Wohngeld auszuweiten und so Haushalten zu helfen. Die FDP-Politikerin denke dabei vor allem an Rentner:innen, Familien und Studierende. Das helfe auch jenen Menschen, die gerade noch auf Wohnungssuche seien.

Baubranche ist bereit – was fehlt sind Investor:innen

Ähnlich blickt auch der Hauptgeschäftsführer des Verbandes der Bauindustrie, Tim-Oliver Müller, auf die Vorhaben der Regierung. Er findet es gut, dass Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) an ihren ambitionierten Zielen festhält. Denn zu oft seien politische Ziele zu vage.

Klara Geywitz Potsdam, 21.07.2022 - Portrait Klara Geywitz, Bundesmisnisterin fuer Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen steht an einem Solarthermie Kraftwerk der Energie und Wasser Potsdam, EWP GmbH. ...
Bauministerin Klara Geywitz (SPD) hat das Ziel, dass jährlich 400.000 neue Wohnungen gebaut werden.Bild: www.imago-images.de / imago images

Müller sagt im Gespräch mit watson:

"Es gibt Menschen mit Wohnungsnot. Wir müssen diese Wohnungen bauen, um daran etwas zu ändern. Das ist das Ziel."

Er stellt aber auch klar: In den kommenden Jahren könnte es schwierig werden, das Ziel zu erreichen. Denn die Materialkosten, die aktuell die Preise in die Höhe trieben, dürften teuer bleiben. Zu den Stornierungen käme es, weil Wohnungsbaugesellschaften, Investor:innen und Privatmenschen die höheren Preise und die höheren Zinsen schlicht nicht einkalkuliert hätten – weil Bauvorhaben langfristige Projekte seien.

Die Baubranche selbst sei in der Lage, mehr zu bauen – auch 400.000 Wohnungen im Jahr. Genug Personal und Maschinen gebe es, aber eben auch die externen Widrigkeiten. Und abspringende Investor:innen. Gerade für den Bereich des sozialen Wohnungsbaus sei es wichtig, meint Müller, konkrete Förderungen zu bieten.

Denn:

"Es ist wichtig, dass die Politik Planungssicherheit bietet, wenn sich Wohnungsbaugesellschaften und Investoren nicht auf Förderungen verlassen können, werden sie nicht bauen."

Der Paritätische Gesamtverband schlägt Alarm

Die Wohnungsnot ist nicht länger ein Problem der urbanen Zentren, stellt Ulrich Schneider klar. Der Hauptgeschäftsführer des paritätischen Gesamtverbandes erklärt auf watson-Anfrage: "Die Krise am Wohnungsmarkt ist eine der großen sozialen Krisen der Zeit." Nun kämen auch die Inflation und hohe Energiekosten on top.

2021 belief sich, laut Statistischem Bundesamt, der Anteil der Wohnkosten am verfügbaren Haushaltseinkommen bei Menschen, die armutsgefährdet sind, auf 43,3 Prozent. Also nur knapp weniger als die Hälfte des verfügbaren Geldes.

In vielen Städten und Gemeinden gibt es sozialen Wohnungsbau, allerdings gibt es immer weniger verfügbare Sozialwohnungen.
In vielen Städten und Gemeinden gibt es sozialen Wohnungsbau, allerdings gibt es immer weniger verfügbare Sozialwohnungen.Bild: IMAGO / Schöning

Ulrich stellt klar:

"Neubau ist notwendig, aber es kommt auch darauf an, was gebaut wird. Von den 400.000 Wohnungen, die die Bundesregierung jährlich versprochen hat, sollen gerade einmal 100.000 Sozialwohnungen sein. Dieses Ziel verfehlt sie allerdings deutlich."

Der Verband fordere daher Entlastungen. Dazu zählte beispielsweise eine Erhöhung des Wohngeldes, das dauerhaft an die Mietentwicklung angepasst werden müsse. Gleiches gelte für die Energiekosten. Zudem müssten der soziale Wohnungsbau vorangetrieben und die Mietpreise begrenzt werden.

FDP startet Wahlkampagne – und setzt voll auf Christian Lindner

Die letzten Wochen waren hart für die FDP. Nach dem Ampel-Aus sind die Zustimmungswerte für die Liberalen schwach geblieben. Die Partei kämpft um die Fünf-Prozent-Hürde und damit auch um den Wiedereinzug in den Bundestag bei den vorgezogenen Wahlen im Februar.

Zur Story