Am 29. März beginnt nun das Hauptverfahren im Prozess um den Tod von George Floyd. Angeklagt ist Derek Chauvin, der Polizist, der mehr als acht Minuten lang auf Floyds Nacken kniete, bis dieser an den Folgen verstarb – zu diesem Schluss kommt zumindest das Gutachten der Autopsie von Floyds Körper. Nun könnte Chauvin die nächsten 40 Jahre hinter Gittern verbringen, sollte ihn die Jury des Totschlags für schuldig befinden.
Lange hatte es gedauert, bis der Prozess starten konnte. Eigentlich war der Prozessbeginn auf Anfang März angesetzt worden, aber das Gericht verschob den Termin, da es Uneinigkeiten zwischen Anklage und Verteidigung zu den genauen Anklagepunkten gab. Auch die Besetzung der Jury war nicht einfach. Die Verantwortlichen wollten sichergehen, dass die Auswahl der Geschworenen keine Grundlage für Kritik bieten würde und ließ die Kandidaten vorher Fragebögen ausfüllen, die Vorurteile und Ressentiments gegenüber dem Fall abfragen sollten.
Diese Gründlichkeit ist durchaus berechtigt: Auf dem Prozess lastet eine enorme mediale Aufmerksamkeit. In den USA haben Kritik an der als rassistisch empfundenen Polizei und Justiz im Zuge der "Black-Lives-Matter"-Bewegung sogar zu Forderungen geführt, die Polizei komplett abzuschaffen. Entsprechend soll der Prozess gegen den mutmaßlichen Mörder von George Floyd nun das Vertrauen der Schwarzen Bevölkerung in die Justiz wiederherstellen. Zumindest wird es so dargestellt. Der "Spiegel" erklärte jüngst, mit Derek Chauvin stehe ein ganzes System vor Gericht. Selten wäre ein Strafprozess politisch so aufgeladen gewesen wie dieser, ist dort zu lesen.
Dem Prozess wird damit eine Bedeutung zugeschrieben, die über einen Schuldspruch hinausgeht. Er soll Menschen ein Gefühl von Gerechtigkeit geben, die in der amerikanischen Gesellschaft allzu oft noch mit Gewalt und Benachteiligung zu kämpfen haben. Aber kann ein einziger Prozess diese symbolträchtige Aufgabe wirklich erfüllen? Rechtsexperte Kirk W. Junker mahnt da zur Vorsicht.
Kirk W. Junker ist Professor für US-Recht an der Uni Köln. Er sieht die mediale Aufmerksamkeit und die Erwartungshaltung, die auf dem Fall lastet, kritisch. Gegenüber watson erklärt er: "Der Prozess hat durchaus einen symbolischen Charakter – zu sehr. Dies ist der Prozess eines Mannes, der angeklagt ist, einen anderen Mann getötet zu haben" und das solle man nicht vergessen, so Junker.
Ihm zufolge würde die Überbetonung des Prozesses dazu führen, dass ein Freispruch des Angeklagten direkt als rassistisch bewertet werden würde und eine Verurteilung würde suggerieren, dass die "Rassengerechtigkeit" wieder hergestellt sei. Beides sei Junker zufolge falsch. "Polizeiliches Verhalten und Rassismus können nicht in einem einzigen Gerichtsverfahren vollständig behandelt werden."
Dass die Auswahl der Geschworenen im Vorfeld so intensiv betrieben wurde wie selten zuvor, sei richtig gewesen, so Junker: "Es gibt einige Prozessanwälte, die behaupten, dass der Fall bereits gewonnen oder verloren ist, je nachdem, wer in der Jury sitzt." Allerdings sei es aus seiner Sicht unmöglich, eine komplett unvoreingenommene Jury zu generieren: "Menschliche Voreingenommenheit und Vorurteile kommen in den Urteilen von Richtern und Geschworenen zum Tragen, egal wie viele Verfahren vorhanden sind, um zu versuchen, den Prozess zu einem reproduzierbaren maschinellen Verfahren zu machen."
Besonders wichtig sei die Auswahl der Jury daher, wenn es um Mord geht. Zwar entscheidet in den USA der vorsitzende Richter über die Rechtsauslegung, aber welche Fakten dem Fall zugrunde liegen, wird durch die Jury entschieden. Und die Fakten seien essenziell: "In einem Mordprozess sind die Fakten ein außerordentlich wichtiger Teil des Falles", so Rechtsexperte Junker.
Im Fall des Todes von George Floyd bedeutet das beispielsweise, dass die Geschworenen darüber befinden, ob George Floyd wirklich an den Folgen der Gewalteinwirkung durch den Angeklagten Derek Chauvin gestorben ist. Chauvins Anwälte dementieren das. Sie verweisen auf angeblichen Drogenmissbrauch durch Floyd und eine ältere Covid-Erkrankung, die dafür gesorgt hätte, das Floyd keine Luft mehr bekommen hat. Chauvins Verteidiger werden sehr wahrscheinlich auf Freispruch plädieren.
Mehr als das Rechtssystem sei allerdings die Politik gefragt, wenn es darum geht, rassistische Strukturen und die Spaltung im Land zu überwinden, so Junker. Dass der gewaltsame Tod von George Floyd im Jahr 2020 derart starke Reaktionen hervorgerufen hatte, sei kein Zufall gewesen. Über drei Jahre lang hatte Donald Trump immer wieder dazu beigetragen, die Stimmung im Land anzuheizen und rassistische Vorurteile zu schüren.
Trotzdem ist Junker optimistisch: "Die Geschichte der USA wird zeigen, dass die Kultur in der Lage ist, Rassismus einzudämmen." Die Bürgerrechtsbewegung der 1960er Jahre sei in dieser Hinsicht erfolgreich gewesen, so Junker. Allerdings wäre es aus seiner Sicht ein Fehler zu glauben, dass Rassismus jemals vollständig ausgerottet werden kann. "Selbst extremes Verhalten kehrt in Zyklen zurück, und wenn das Klima warm genug dafür ist, wird es wachsen."
Dass die USA mit Joe Biden nun einen neuen Präsidenten an der Spitze haben, sei ein Lichtblick. Dieser müsse nun die Politik von Donald Trump rückgängig machen. "Das ist möglich, aber es erfordert, die Probleme anzuerkennen und an ihnen zu arbeiten", so Junker. Der Prozess um den Tod von George Floyd kann hier nur ein Anfang sein.