Gerade steht Russland wegen seines Einsatzes in der kasachischen Stadt Almaty im Fokus der Welt. Dort haben sich Proteste gegen die steigenden Ölpreise zu handfesten Unruhen mit vielen Toten und Verletzten entwickelt. Russland entsendet nun Truppen in die Stadt, die den Konflikt beilegen sollen. Parallel dazu spitzt sich die militärische Auseinandersetzung zwischen der Ukraine und Russland auch im neuen Jahr immer weiter zu. Zwischenzeitlich hatte der US-Präsident Joe Biden mehrere Telefonate mit Kreml-Chef Wladimir Putin und dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj geführt. Jetzt wollen Deutschland und Frankreich eingreifen.
Am Donnerstag soll es in Moskau ein Krisentreffen geben, bei dem Deutschland und Frankreich als Berater teilnehmen wollen. Mitte Dezember hatten sich Bundeskanzler Olaf Scholz und der französische Präsident Emanuel Macron getroffen und zugesagt, das sogenannte Normandie-Format wiederaufleben zu lassen. Dieses beschreibt eine diplomatische Gesprächsrunde zwischen den Ländern Russland, Ukraine, Deutschland und Frankreich.
Zu eben solchen Gesprächen lud nun der zuständige russische Regierungsbeamte Dmitri Kosak ein. Das meldete die Agentur Interfax am Montag unter Berufung auf eine Quelle in der Präsidialverwaltung. Für Deutschland ist der außenpolitische Berater von Kanzler Olaf Scholz (SPD), Jens Plötner, dabei. Aus Frankreich kommt der Diplomat Emmanuel Bonne, Berater von Präsident Emmanuel Macron.
Ein letztes Treffen dieser Art gab es 2019 in Paris.
Wie kam es überhaupt zu diesem Konflikt? Warum wirken Deutschland und die EU dabei so machtlos? Und wie könnte ein Ausweg aussehen? Ein Überblick:
Seinen Ursprung findet der Konflikt zwischen Russland und der Ukraine in einer Frage der politischen Ausrichtung – und der Reaktion der russischen Regierung darauf: Will sich die Ukraine eher Richtung Westen oder Richtung Osten orientieren?
Als die Ukraine sich Ende 2013 unter dem damaligen Präsidenten Wiktor Janukowitsch für einen prorussischen Kurs entscheidet, folgen darauf heftigste Massenproteste in Kiew mit vielen Toten. Russland schaltet sich ein und unterstützt Separatisten in der Ostukraine, annektiert die Schwarzmeer-Halbinsel Krim.
Seither wechseln sich blutige Gefechte, Krisengipfel und kurzzeitige Waffenruhen ab.
Mehr als 13.000 Menschen sind UN-Angaben zufolge seit Beginn des bewaffneten Konflikts getötet worden.
Im Jahr 2021 hat sich die Lage zwischen Russland und der Ukraine wieder verschärft: Russland hat zehntausende Soldaten an der Grenze zur Ukraine stationiert, die Ukraine auf ihrer Seite Truppen verlegt. Die NATO hat mit Militärübungen in Osteuropa auf die Lage reagiert.
Immer wieder liest und hört man im Zusammenhang mit diesem Konflikt, dass der US-amerikanische Präsident Joe Biden diplomatisch eingreift und versucht, telefonisch die Wogen zu glätten. Deutschland und Frankreich wirken in der Kommunikation und in ihrem Eingreifen dabei eher passiv – und machtlos.
Stefan Meister ist Politologe und Leiter des Programms für Internationale Ordnung und Demokratie bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Auf watson-Anfrage ordnet er diese Passivität so ein:
Doch in dem Konflikt geht es nicht nur um die europäische Sicherheit. Auch Russland stellt Forderungen und will die Sicherheit seines Landes gewährleistet sehen.
Tatsächlich beruft sich der russische Präsident in seinen Aktionen immer wieder auf ein mündliches Versprechen, das der ehemalige US-Außenminister Jim Baker und der damalige CDU-Bundeskanzler Helmut Kohl dem damaligen sowjetischen Staatschef Michail Gorbatschow gegeben haben sollen.
Dabei sollen Kohl und Baker Anfang 1990, im Zuge der Gespräche zur Deutschen Einheit, versprochen haben, es werde seitens der NATO, dem westlichen Militär- und Verteidigungsbündnis, keine Bemühungen einer Erweiterung in den Osten geben.
In einem Gastbeitrag in der Wochenzeitung "Die Zeit" berichtet Horst Teltschik, ehemaliger außenpolitischer Koordinator im Bundeskanzleramt, allerdings, dass es solche Versprechungen nie gegeben habe. Er schreibt in seinem Beitrag:
Auch Gorbatschow habe ein solches Versprechen dementiert. "Präsident Gorbatschow hat selbst, wenn auch etwas spät, öffentlich erklärt, dass in keinem seiner Gespräche 1990/91 mit westlichen Partnern über eine Erweiterung der Nato über das Gebiet der DDR hinaus gesprochen worden sei", schreibt Teltschik.
Letztlich gehe es um einen Brief von Ex-US-Außenminister Baker an Kohl, der von einigen Politikern und Wissenschaftlerinnen überinterpretiert werde. "Die Überinterpretation des Briefes und der Aktennotiz von Außenminister Baker durch die Historikerin Sarotte und ihre Apologeten ist natürlich ein willkommener 'Beweis' für viele russische Politiker, den Vorwurf gegenüber dem Westen zu erheben, sein Wort gebrochen zu haben, die Nato nicht nach Osten zu erweitern", meint Teltschik in seinem Beitrag.
Dass bisher so wenig von der EU zu hören war, erinnert ein wenig an die Zeit des Kalten Krieges, als praktisch nur die USA und Russland in Kontakt standen. Meister zieht auch Parallelen zu dem Aufrüstungswettbewerb und den Stellvertreterkriegen, die sich Russland und die USA in den Jahren von 1947 bis 1989 geliefert haben. Allerdings sieht er Russland hier als treibende Kraft.
Meister schreibt:
Weiterhin gebe es inzwischen eine Reihe von souveränen Staaten, die vorher zur Sowjetunion gehörten, die nicht akzeptieren würden, dass Moskau und Washington über ihre Köpfe hinweg entschieden. "Es gibt diese bipolare Welt nicht mehr, Sicherheit in Europa ist viel komplexer und diese russische Eindimensionalität, alles mit den USA zu klären, wird nicht funktionieren und zu mehr Frust in Moskau führen", schreibt der Russland-Experte Meister.
Innerhalb der deutschen Bundesregierung kann diese Frage nicht eindeutig beantwortet werden. Das Kabinett ist in der Frage des Umgangs mit Russland gespalten. Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) möchte einen harten Kurs einschlagen und neue Sanktionen gegen Russland durchsetzen. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) setzt auf vorsichtigere Kommunikation. Meister erklärt diese Zweischneidigkeit mit den unterschiedlichen außenpolitischen Hintergründen der beiden.
"Scholz muss auf die Ostpolitik Legacy seiner Partei Rücksicht nehmen, er hat als Finanzminister Nord Stream 2 unterstützt", erklärt Meister. "Baerbock kommt mit den Grünen stärker aus der Richtung Menschenrechte und Stärkung internationalen Rechts", erklärt Meister.
Anfragen von watson ließen sowohl das Kanzleramt als auch das Außenministerium unbeantwortet.
Die Umstände zum Bau der Gaspipeline Nord Stream 2 hat Baerbock in der Vergangenheit immer wieder kritisiert.
Und Meister sieht eine große Gefahr in dieser Spaltung:
Der Russland-Experte Meister glaubt, dass sich der Konflikt zwischen der Ukraine und Russland noch eine Weile hinziehen wird. "Moskau pokert hoch und kann nicht einfach nur zurücktreten und akzeptieren, dass es die Garantien nicht gibt", sagt Meister.
Russland werde den Druck aufrechterhalten, Biden werde die Zugeständnisse nicht geben können. "Und es kann somit auch zu militärischen Aktivitäten Russlands in der Ukraine kommen", sagt Meister.
Laut Meister besteht durchgehend die Gefahr für neue Eskalationen. "Es bleibt eine hohe Spannung und das Spaltungspotential in den transatlantischen Beziehungen da", schreibt er. "Gleichzeitig hat Moskau die Eskalationsdominanz und treibt die USA und die Europäer vor sicher her."
Nur "durch Verhandlungen und Druck" könne dieser Konflikt irgendwann ein Ende finden, sagt Meister. Es bräuchte ein Format, in dem dauerhaft mit Moskau über europäische Sicherheit gesprochen werde. Meister erinnert dabei etwa an die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) oder den NATO-Russland-Rat.
Gleichzeitig müsse der Druck auf Moskau erhöht werden, nicht in der Ukraine einzumarschieren. Meister: "Das heißt, es braucht glaubhafte wirtschaftliche Sanktionen, die für Moskau den Preis sehr teuer machen. Die Ukraine sollte in ihrer Verteidigungsfähigkeit weiter unterstützt werden."
Kurzfristig könne dieser Konflikt nicht gelöst werden, damit müssten wir leben. "Wir müssen bis zu einem gewissen Grade den Konflikt aushalten", sagt Meister. Um aber langfristig Erfolge zu erzielen, rät er Folgendes: "Durch glaubhafte Sanktionen und Abschreckung sollte dem Kreml die Eskalationsdominanz genommen werden und der Preis für militärische Abenteuer zu hoch werden."
(mit Material von dpa)