"Wir sind die ambitionierteste SPD aller Zeiten", sagt die Stimme in dem für den SPD-Bundesparteitag produzierten Video. Und damit geht es los: Aufgrund der Pandemie findet der ordentliche Parteitag der Sozialdemokraten als hybride Veranstaltung statt. Gewählt wird dort ein neuer Vorstand, ein neuer Generalsekretär, ein neues Spitzenduo. Der bisherige Vorsitzende Norbert Walter-Borjans hält zu Beginn seine letzte Rede als SPD-Chef.
Seine Rede: Ein Rückblick. Eine Erfolgsgeschichte, die mit der Vereidigung eines SPD-Bundeskanzlers nicht enden, sondern weitergehen soll – das ist der Sound Walter-Borjans Rede. Dabei ist er nicht überheblich, vielmehr bescheiden. Als er und seine Co-Vorsitzende Saskia Esken 2019 an die Spitze der Partei gewählt wurden, stand es schlecht um die Sozialdemokraten. "Wir wussten damals, es muss anders werden. Heute wissen wir, dadurch ist es besser geworden", fasst Walter-Borjans zusammen.
Er spricht von einem neuen Rollenverständnis, einer neuen Kultur des Miteinanders. Weder die Lautstärke noch das Durchstechen von Interna an die Presse entschieden, ob jemand Recht oder Unrecht habe, vielmehr ginge es um eine ordentliche Debattenkultur. "Ich kann euch nur mitgeben, alles dafür zu tun, auf dieser Spur zu bleiben", sagt er.
Wie die neue Spur der SPD aussehen soll, auch das wird auf diesem Parteitag deutlich. Fünf Richtungsentscheidungen haben wir für euch zusammengefasst.
Die neuen Vorsitzenden der SPD heißen Lars Klingbeil (86,3 Prozent der Stimmen der Delegierten) und Saskia Esken (76,7 Prozent der Stimmen der Delegierten) – besonders überraschend ist ihre Wahl nicht, da sie die einzigen Kandidierenden waren. Beide versprechen in ihren Bewerbungsreden, die zwanziger Jahre zum Jahrzehnt der Sozialdemokratie zu machen. Und zwar als Team, gemeinsam mit der gesamten Partei.
"Es geht in der Politik darum, Brücken zu bauen", sagt Klingbeil. Als Generalsekretär hat er die Bundestagswahlkampagne betreut, die Partei nach außen vertreten. Jetzt will er, so stellt er in seiner Rede klar, nicht nur aus Fehlern, sondern vor allem aus dem Sieg lernen. Um seine Partei gemeinsam mit Esken weiterhin zu verbessern.
Sie beide wollen sich dafür einsetzen, dass die Partei auch in Zukunft geeint ist, wie sie es im vergangenen Bundestagswahlkampf war. "Wir haben die Wahl gewonnen, weil wir wussten, warum wir sie gewinnen wollen", sagt Esken. Und das seien die Menschen gewesen. Unter Esken und Klingbeil soll die SPD zu einem sozialdemokratischen Thinktank werden, in dem die Zukunftsfragen diskutiert werden sollen. Und wenn es nach Esken geht, nicht nur unter den Mitgliedern, sondern durch Bürgergespräche auch gemeinsam mit den Menschen im Land.
Dass Esken und Klingbeil es schaffen, den Laden zusammenzuhalten, haben sie in ihren bisherigen Positionen und in den vergangenen Jahren bewiesen, nun wird es in den kommenden Jahren darum gehen, weiterzugehen.
Als klimaneutralen Motor bezeichnet Walter-Borjans Kevin Kühnert in seiner Abschiedsrede. Und dieser klimaneutrale Motor ist mit 77,78 Prozent der Stimmen der Delegierten zum Nachfolger Lars Klingbeils zum Generalsekretär gewählt worden. Wie die Vorsitzenden hatte auch Kühnert keinen Gegenkandidaten.
In seiner Rede spricht er von Einigkeit, von Diskussionen und von Konflikten, die geklärt werden müssen. Als Generalsekretär wolle er dafür arbeiten, dass die SPD politische Antworten formuliert. Dass sich die Partei ein Programm erarbeitet, das auch beim Thema Zuwanderung und Fachkräftemangel Antworten findet. Auch will er dafür sorgen, dass Punkte, die vage im Grundsatzprogramm stehen, ausdifferenziert werden. "Ich glaube, diese Ehrlichkeit können wir uns zumuten", sagt er.
Er leistet ein Versprechen an die Gesellschaft: Kühnert möchte in Zukunft nicht nur der Anwalt der Partei sein, er will auch der Kommunikator sein. Er will die Politik und die Entscheidungen, die getroffen werden, nach außen tragen. Er will sie erklären. Ein Versprechen, an dem er sich in den kommenden Jahren, die schon jetzt mit Krisen starten, wird messen lassen müssen.
Neben den Co-Vorsitzenden sind außerdem fünf Stellvertretende gewählt worden. Wirkt die Achse Esken-Klingbeil-Kühnert wenig paritätisch, wird die Parteispitze ihrem Anspruch allerdings mit Berücksichtigung der Stellvertretenden gerecht. Mit Klara Geywitz, Hubertus Heil, Thomas Kutschaty, Serpil Midyatli und Anke Rehlinger sind insgesamt vier Frauen und vier Männer an der Spitze der Partei.
Dem neu gewählten Parteivorstand gehören darüber hinaus 13 Frauen und 11 Männer an.
"2019 habe ich gesagt, wir brauchen ein Jahrzehnt der Gleichberechtigung", sagt Geywitz bei ihrer Rede. Das paritätische Kabinett sei ein erster Schritt, ebenso die Pläne der neuen Regierung, die Gleichberechtigung von Frauen in den Mittelpunkt stellt. Ein weiterer Fortschritt: Dass mehr Ostdeutsche im Kabinett vertreten seien.
Das Jahrzehnt der Gleichstellung, die Forderung Geywitz, die heute Bauministerin ist, ist mittlerweile außerdem Teil des Koalitionsvertrags. Im watson-Interview erklärte der neue Generalsekretär Kevin Kühnert zudem, dass es sein Anspruch sein wird, die komplette Partei paritätisch aufzubauen. Das bedeute auch, dass insgesamt mehr Frauen Teil der Partei werden müssten.
Nach 16 Jahren Merkel ist Olaf Scholz der erste Kanzler von den Sozialdemokraten – dass die Zeit des Wartens hart war, die Erlösung bei der Kanzlerwahl groß war, das wird auf diesem Parteitag mit nahezu jedem Redebeitrag klar.
In seiner Rede bedankt sich Scholz, bei der Parteispitze, bei der Fraktion, bei der gesamten SPD. Die Zeit der Sozialdemokraten sei nicht vorbei: "Es gibt wieder starke sozialdemokratische Parteien in Europa", sagt Scholz. Und das werde Europa verändern. Und obwohl die Regierung in einer schwierigen Zeit startet, sei spürbar, dass es einen Aufbruch gibt.
"Ich hoffe, dass dieser Aufbruch jetzt unmittelbar gelingt und dass wir es schaffen, dass diese zwanziger Jahre gut werden", fasst Scholz zusammen. Nicht das vergangene Jahrhundert sei das Jahrhundert der Sozialdemokratie, sondern auch das 21. Jahrhundert.
Und die Regierungsverantwortung im Bund und in sieben der sechzehn Bundesländern reicht den Sozialdemokraten noch nicht: Sowohl Esken als auch die Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, Manuela Schwesig, stellen in ihren Reden klar, dass sie sich in der Zukunft mehr Regierungsverantwortung wünschen.
Schwesig sagt:
Im kommenden Jahr stehen einige Landtagswahlen an und die Sozialdemokraten machen an diesem Samstag klar: Sowohl im Saarland als auch in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen wird ein Regierungswechsel angestrebt.
Esken stellt in ihrer Rede außerdem heraus, dass die Ministerien, die die SPD besetzt, genau die Kernthemen der Partei widerspiegelten. So beispielsweise das von Hubertus Heil bekleidete Arbeitsministerium oder das Gesundheitsministerium mit Karl Lauterbach an der Spitze. Esken sagt:
Aber der Anspruch der SPD sei nicht nur, die Menschen in Deutschland zu vertreten. Vielmehr seien die Sozialdemokraten, darin sind sich Walter-Borjans, Esken, Klingbeil und auch Fraktionsvorsitzender Rolf Mützenich einig, eine Friedenspartei. Und das bedeute, gerade in der aktuellen Zeit mit der Lage an der polnisch-belarussischen Grenze und der russisch-ukrainischen Grenze, viel Arbeit.
"All die Erfolge, die wir noch erzielen werden, da werden wir genauso kämpfen. Diese Erfolge erzielen wir nicht, weil wir die Umfragewerte am Ende haben wollen, sondern weil es Menschen gibt, die auf uns vertrauen", sagt die Juso-Vorsitzende Jessica Rosenthal. Sie spricht in ihrer Rede von den Menschen an der polnisch-belarussischen Grenze.
"Es ist unsere Aufgabe, eine Lösung zu finden für diese Menschen", sagt Rosenthal. Nicht nur für die eigenen Wähler, für die Menschen im eigenen Land müsse sozialdemokratische Politik gemacht werden, sondern auch für jene, die im Wald frieren. "Wir müssen einfordern, dass Hilfsorganisationen ihre Arbeit machen dürfen in diesen Gebieten", sagt sie. Es sei auch die Verantwortung der SPD, für Menschenrechte überall einzustehen, für Europa einzustehen.
Die Zeit, in der Interna an die Presse durchgestochen werden, ist vorbei. Das zumindest ist der Plan. Sowohl Walter-Borjans, als auch Esken und Klingbeil sprechen davon, dass Streit intern geklärt werden soll, dass die SPD auch in Zukunft nach Außen als Einheit auftreten soll.
Vielmehr will sich das Spitzenduo weiterhin dafür einsetzen, dass gemeinsam diskutiert wird, dass Lösungen gefunden werden. "Die schweren Jahre liegen hinter uns", sagt Esken. Und bei diesem Parteitag wird klar, dass es dabei auch bleiben soll und die Sozialdemokraten aus ihrer Vergangenheit gelernt haben.
Was bleibt ist das Gefühl des Aufbruchs. Die Sozialdemokraten scheinen sich gefunden zu haben. Sie sind stolz auf sich und ihre Partei und dieser Stolz, diese Freude und die Erleichterung wirken an diesem Tag, beim hybriden Bundesparteitag, greifbar.
Trotzdem fasst die wiedergewählte Vize-Vorsitzende Rehlinger zusammen: "Die richtige Arbeit liegt darin, den Menschen zu sagen, wo ihre persönliche Chance in diesem Koalitionsvertrag liegen." Und zeigt damit noch einmal auf, was die SPD sich nun an der Spitze der Regierung und auf Länderebene vornimmt.