Bei seiner "State of the Union"-Rede triggert der US-Präsident Joe Biden die Republikaner zu seinem Vorteil. Bild: IMAGO / Pool via CNP/MediaPunch
Analyse
Seine "State of the Union"-Rede war seine bisher beste – und für seine Gegner tödlich.
Philipp Löpfe / watson.ch
Die Eiskunstläuferin Tonya Harding wurde einst weltberühmt, weil sie ihre Konkurrentin an den Olympischen Spielen 1994 in Lillehammer auszuschalten versuchte, indem sie ihr das Knie zertrümmern ließ. Harding stammt aus einfachsten Verhältnissen und wurde wegen dieser Tat zum Symbol für die amerikanische Bevölkerungsgruppe, die "white trash" genannt wird.
Die Mitglieder dieses "weißen Abfalls" gehören der untersten Schicht der Gesellschaft an. Sie leben in Wohnwagenparks, haben die Schule abgebrochen und meist eine astronomische Scheidungsrate. In vielen Fällen sind sie alkohol- und drogenabhängig und schlagen sich mit Gelegenheitsjobs mehr schlecht als recht durch das Leben.
Die neue White-Trash-Queen: Marjorie Taylor Greene.Bild: AP / Carolyn Kaster
Marjorie Taylor Greene: die neue White-Trash-Queen Amerikas
Seit dem vergangenen Dienstag gibt es eine neue White-Trash-Queen: Marjorie Taylor Greene. Die umstrittene Abgeordnete aus dem Bundesstaat Georgia hat sich diesen Titel mit ihrem Benehmen an der "State of the Union"-Rede redlich verdient. Sie erschien nicht nur in einem Aufzug, der förmlich nach "white trash" schreit. Sie benahm sich auch so rüpelhaft, wie man es höchstens auf der Gasse tun darf.
Und sie lief vor allem kopflos in eine Falle, die ihr Joe Biden geschickt gestellt hatte.
Kürzung der Sozialleistung führt so gut wie zum politischen Selbstmord
In seiner Rede beschuldigte der Präsident die Republikaner, einige von ihnen hätten die Absicht, die Gelder für die Altersvorsorge ("social security") und die Krankenversicherung ("medicare, medicaid") kürzen zu wollen. Dazu muss man wissen: Wer in den USA die Sozialwerke ummodeln will, berührt das "third rail", das mittlere Gleis in den U-Bahnen, durch das der Strom fließt. Eine solche Berührung ist tödlich.
Auch politisch kommt es einem Selbstmord gleich, wenn man an den eh schon bescheidenen Sozialleistungen der USA herumbasteln will. Für die älteren Menschen sind diese Leistungen überlebenswichtig, und wer dieses Wählersegment gegen sich aufbringt, kann keinen Blumentopf gewinnen.
Trotzdem gibt es immer wieder Republikaner, die es versuchen. Auch im Vorfeld der Diskussionen über die Anhebung der Schuldenobergrenze sind solche Stimmen laut geworden. Zwar hat Kevin McCarthy, der Anführer der Grand Old Party (GOP), verzweifelt versucht, diese Stimmen zu unterdrücken. Es ist ihm nicht ganz gelungen.
Biden konnte in seiner Rede darauf hinweisen, dass einzelne Republikaner erneut mit dem Gedanken spielen, die Sozialleistungen zu kürzen.
Warnte vergebens: Speaker Kevin McCarthy.Bild: AP / Patrick Semansky
Republikaner benehmen sich daneben zugunsten Bidens
Damit triggerte der Präsident ganz bewusst die Prolo-Fraktion der GOP. Obwohl sie von McCarthy eindringlich gewarnt worden waren, genau dies nicht zu tun, sprangen Greene und ihre Gesinnungsgenossen von ihren Sitzen auf und schrien "Lügner, Lügner", ein absolutes No-go während einer präsidialen Rede.
Biden hatte diese Reaktion nicht nur erwartet, er hatte sich geradezu erhofft. Deshalb blieb er gelassen, lächelte süffisant und zwang so die Republikaner, ihm zu applaudieren, als er auf die Proteste von Greene und Co. entgegnete, damit sei man sich über die Parteien hinweg einig, dass die Sozialwerke sicher seien.
Der Präsident hatte so zwei Fliegen auf einen Schlag erledigt. Er rang den Republikanern nicht nur öffentlich das Versprechen ab, die Alters- und die Krankenvorsorge nicht anzutasten. Er machte auch der amerikanischen Öffentlichkeit bewusst, dass die GOP von ungehobelten Rowdys beherrscht wird, die außer Verschwörungstheorien nichts zu bieten haben.
Schon tags darauf legte Biden noch eine Schippe darauf. Er befindet sich derzeit auf einer Tour durch mehrere Bundesstaaten und will dabei seine erfolgreiche Wirtschaftspolitik verkaufen. Genüsslich erwähnte er in einer Rede im Bundesstaat Wisconsin das unschickliche Verhalten der Republikaner im Kongress und legte Beweise für seine Anschuldigungen vor.
Joe Biden glänzt bei seiner "State of the Union"-Rede und lässt die Republikaner auflaufen. Bild: AP / Alex Brandon
Biden beweist: Republikaner haben es auf die Altersvorsorge abgesehen
Tatsächlich hat der für den Senatswahlkampf der Republikaner zuständige Senator Rick Scott in einem Grundlagenpapier vor den Zwischenwahlen gefordert, die Gesetze für die Altersvorsorge müssten alle fünf Jahre neu bewilligt werden. Andere Senatoren der GOP wie Mike Lee aus Utah und Ron Johnson aus Wisconsin hatten ebenfalls solche Absichten geäußert und sind dabei sogar gefilmt worden.
Präsident Biden hat nicht nur die Republikaner in eine Falle gelockt. Er hat in seiner Rede auch einen Plan vorgelegt, wie die Demokraten 2024 das Weiße Haus verteidigen können. Im Zentrum dieses Plans stehen dabei die Bemühungen, die Arbeiterklasse in den ehemaligen Industriestaaten wie Ohio und Wisconsin wieder zurückzugewinnen.
Das ist auch dringend nötig. Vor allem die weißen Männer ohne Hochschulabschluss haben sich in Scharen von den Demokraten ab- und den Republikanern zugewandt. Dank den nun vom Kongress abgesegneten Gesetzen – Infrastruktur, Chips, Green New Deal – und einer zunehmend protektionistischen Wirtschaftspolitik will Biden dafür sorgen, dass die Güter, welche die Amerikaner konsumieren, auch in den USA hergestellt werden, und dass so auch im sogenannten "rust belt" wieder anständig bezahlte Jobs in rauen Mengen geschaffen werden.
Joe Bidens "State of the Union"-Rede wird als seine bisher beste beurteilt und als Auftakt für seinen Anspruch auf eine zweite Amtszeit gehandelt. Dieser Anspruch ist allerdings selbst in der eigenen Partei umstritten. Die Demokraten sind zwar des Lobes voll über die Errungenschaften ihres Präsidenten. Mehr als die Hälfte von ihnen wünscht sich trotzdem, dass er nicht mehr kandidiert. Der Grund liegt auf der Hand. Biden hat kürzlich seinen 80. Geburtstag gefeiert – und bisher gibt es kein Gegenmittel gegen das Alter.
Wer die deutsche Podcast-Landschaft einigermaßen kennt, hat schon mal von "Hotel Matze" gehört. Seit 2016 gibt es das Interview-Format von Matze Hielscher – und man muss schon konzentriert nachdenken, damit einem ein paar angesagte deutsche Promis einfallen, die noch nicht bei ihm zu Gast waren.