Kaum kehrt die Ampel aus ihrer parlamentarischen Sommerpause zurück, eskaliert es schon wieder. Wann kommen die Parteien zur Ruhe und kümmern sich um die wirklich wichtigen Probleme, fragen sich viele seit geraumer Zeit.
Und mittendrin: die Union. Auch die beiden Schwesternparteien bekriegen sich intern. Die alles entscheidende Frage lautet offenbar schon jetzt: Wer wird der nächste Kanzlerkandidat? Die Anwärter verstehen es, sich bereits in Position zu bringen. Doch so richtig gelingt das offensichtlich nicht, denn ein Shitstorm jagt den nächsten.
"Und natürlich muss in den Kommunalparlamenten dann auch nach Wegen gesucht werden, wie man gemeinsam die Stadt, das Land, den Landkreis gestaltet", sagte CDU-Chef Friedrich Merz beim "ZDF"-Sommerinterview mit Blick auf die Rechtsaußen-Partei AfD Ende Juli. Ein Shitstorm folgte.
Schließlich implizierte das: Die CDU könne sich zumindest auf kommunaler Ebene eine Zusammenarbeit mit der AfD vorstellen. Die CDU – eine "Alternative für Deutschland mit Substanz", wie Merz seine Partei wenige Tage zuvor nannte.
Zwar ruderte der Christdemokrat am Tag nach dem Sommerinterview wieder zurück, doch der fade Beigeschmack seiner Aussagen bleibt. Und es sind nicht die ersten Ausrutscher, die sich der potenzielle Kanzlerkandidat der Union leistete. Immer wieder fiel Merz mit verbalen Fehltritten auf – wie etwa im vergangenen Jahr mit seiner Aussage, ukrainische Geflüchtete seien "Sozialtouristen".
Im Spätsommer 2024 wolle die Union einen Kanzler-Kandidaten verkünden, erklärte der Berliner CDU-Chef und Regierender Bürgermeister Kai Wegner kürzlich. NRWs und Bayerns Ministerpräsidenten Hendrik Wüst (CDU) und Markus Söder (CSU) bringen sich offenbar bereits in Position.
Traditionell ist es so, dass der CDU-Vorsitzende, also Merz, den Erstzugriff in der K-Frage hat. Die vergangenen 16 Jahre war Angela Merkel (CDU) gesetzt, davor war es 16 Jahre lang Helmut Kohl (CDU). Heißt: Die Union hat keinerlei Erfahrung mit der Findung eines Kanzler-Kandidaten. Das wurde bereits zur vergangenen Bundestagswahl 2021 deutlich. Damals war ein großer Unionsstreit ausgebrochen, an dem die Schwester-Parteien immer noch nagen.
Droht nun ein erneuter Streit?
"In einer Demokratie, die von Kommunikation lebt, ist es unvermeidbar, dass sich die möglichen Kanzler-Kandidaten schon jetzt zu Wort melden. Die Sommerpause der Bundesregierung ist sogar der ideale Zeitpunkt für sie, um etwa offene Rechnungen zu begleichen, oder eben ihr Interesse an einer Kandidatur zu bekunden", meint Politikwissenschaftler Klaus Stüwe, Professor an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt.
So wie es besonders Friedrich Merz, aber auch Markus Söder oder Hendrik Wüst aktuell tun. Doch letzterer hat sich vor allem in jüngster Zeit vornehm zurückgehalten. Während seine Parteikolleg:innen ihre Chance nutzten und sich nach Merz' Aussage im Sommerinterview gegen ihn stellten. Dabei darf allerdings nicht vergessen werden, dass Wüst zu diesem Zeitpunkt im Urlaub war. Doch sein staatsmännisches Verhalten könnte auch taktisch gedacht sein, vermutet Stüwe.
In der jüngeren Vergangenheit hat sich Hendrik Wüst vor allem mit kinderpolitischen Themen beschäftigt, verhielt sich fast Merkel-like zurückhaltend. Ihr wurde gerade zum Ende ihrer Amtszeit immer häufiger vorgeworfen, keine Profilschärfe zu haben, keine klaren Positionen zu vertreten.
Auch Olaf Scholz (SPD) gewann eine Kanzler-Wahl in Merkel-Manier. Sein Vorsatz damals: Ich werde die Ära Merkel fortführen, vertraut mir.
Allerdings änderte sich der Vorwurf des fehlenden Profils der Union auch unter Friedrich Merz nicht. Für kommendes Jahr wurde die Verabschiedung eines neuen Grundsatzprogramms der CDU angekündigt. Daher sei zu erwarten, dass die CDU sich Anfang 2024 wieder mehr auf Sachpolitik konzentrieren wird und wieder klarere Positionen benennt, prognostiziert Stüwe.
Die Union tut also grade alles dafür, um wieder an Profil zu gewinnen, doch für den Politikwissenschaftler kommt es vor allem auf eines an: "Wenn die Union nur den Hauch einer Chance haben will, darf sie sich auf keinen Fall noch mal so zerstreiten wie 2021."
Aktuelle Umfragen sprechen nicht gerade für Friedrich Merz: Laut "ARD"-Deutschlandtrend beispielsweise glauben nur 16 Prozent der Wahlberechtigten, dass Merz ein geeigneter Kanzler wäre. Solche Ergebnisse dürften der CDU-Chef und seine Partei nicht ignorieren, betont Stüwe.
Für ihn ist zudem klar:
Ein überzeugender Kanzlerkandidat und klare inhaltliche Positionen. Beides könnte zum Problem für die Union werden. Aktuell machen vor allem ein Fauxpas-Merz, ein kinderlieber Wüst und ein sprunghafter Markus Söder von sich reden.
"In einem Punkt unterscheidet sich Wüst ganz deutlich von Merz: Er sucht Mehrheiten in der Mitte", meint Stüwe. Am Rand könne man nicht gewinnen. Das könnte Wüst einen entscheidenden Vorteil gegenüber Merz verschaffen. Allerdings wisse das auch Markus Söder.
Der hätte nur ein Problem mit einer klaren Position. Denn sowohl seine inhaltlichen, als auch persönlichen Meinungen ändert der bayerische Ministerpräsident täglich gefühlt mehrfach. Das teilt er seinen Follower:innen auch deutlich auf Social Media mit.
Wie bereits 2021 betont Söder auch aktuell, dass er gerne sein Ministerpräsidenten-Amt behalten würde. Taktik? Zum Verständnis: Ein:e Bundeskanzler:in kann nicht zeitgleich Ministerpräsident:in sein. Laut Politikwissenschaftler Stüwe ist es nicht auszuschließen, dass Söder seine Meinung auch hier noch einmal ändern wird.
Zumal er zur Zeit von den drei potenziellen Unions-Kandidaten der Publikumsliebling sei, "der lachende Dritte", sagt Stüwe. Allerdings hätten es bayerische potenzielle Kandidaten in der Vergangenheit in der Kanzler-Frage schwer gehabt, führt der Experte aus.
Zusammenfassend urteilt Stüwe:
Der Experte betont aber auch: Das sind nur Momentaufnahmen. Bis der Kandidat im Spätsommer 2024 verkündet werden soll, kann noch vieles passieren – auch Fehltritte von Wüst.
Doch nicht nur Söder oder Wüst könnten Merz noch gefährlich werden: auch seine nicht eingehaltenen Versprechen, sagt Stüwe. So hatte Merz unter anderem angekündigt, die CDU wieder auf 40 Prozent zu bringen, ihr ein klares konservatives Profil zu verpassen oder etwa die AfD zu halbieren. Nichts davon ist Merz bisher gelungen.
Zudem seien die anderen Merz-Gegner nicht zu vergessen. Denn es gebe viele, die noch eine Rechnung mit ihm offen hätten, meint Stüwe. Die Frage sei jedoch, wie sie sich im kommenden Jahr verhalten werden. Sie könnten damit wiederum auch Hendrik Wüst in die Karten spielen.