Seit dem Sommer läuft es nicht besonders gut für Joe Biden. Der US-Präsident hat im August den chaotischen Abzug der US-Truppen aus Afghanistan mitverantwortet, die Machtergreifung der radikalislamischen Taliban, die zu späte Hilfe für früherer Helfer der US-Truppen.
Bidens gigantischer Infrastruktur-, Klimaschutz- und Sozialplan, der den US-Bürgern aus der Corona-Krise helfen soll, steckt seit Monaten im Kongress fest – vor allem, weil sich zwei Senatoren seiner eigenen Demokratischen Partei dagegen sperren. Die Pandemie wütet in Teilen der USA weiter.
Jetzt hat Biden eine schmerzhafte Wahlniederlage kassiert: Im US-Bundesstaat Virginia hat bei den Gouverneurswahlen der demokratische Kandidat Terry McAuliffe gegen seinen republikanischen Gegner Glenn A. Youngkin verloren. Virginia ist seit einigen Jahren ein Wechselwähler-Staat, in dem mal die Demokraten, mal die Republikaner gewinnen. Er grenzt an die Bundeshauptstadt Washington an. Die Demokraten hatten hier seit 2014 den Gouverneur gestellt, bei den Präsidentschaftswahlen 2020 hatte Biden hier mit 10 Prozentpunkten Vorsprung vor dem republikanischen Amtsinhaber Donald Trump gewonnen.
Klar, es sind unterschiedliche Wahlen. Der Gouverneur regiert nur den Bundesstaat Virginia – und die Wahlniederlage der Demokraten hat keine unmittelbaren Auswirkungen auf Bidens Präsidentschaft. Aber sie ist ein lautes Warnsignal für ihn und seine Partei.
Biden hat stark an Beliebtheit verloren – auf halbem Weg zu einer entscheidenden Wahl
In ziemlich genau einem Jahr finden in den USA die sogenannten Midterm Elections statt, die Kongresswahlen in der Hälfte der Amtszeit des Präsidenten. Der Kongress, das Bundesparlament der USA, besteht aus zwei Kammern. Bei den Midterm Elections wird ein Drittel der Sitze im Senat gewählt, der einen Kammer – und sämtliche Sitze des Repräsentantenhauses, der anderen Kammer.
Auf ihre Stimme kommt es momentan an: Kamala Harris, Vizepräsident der USA und Vorsitzende des Senats. Bild: imago images / JUSTIN LANE
Um den größten Teil seiner Politik durchzubringen, braucht jeder US-Präsident eine Mehrheit in beiden Kammern. Das heißt: Ein Präsident, der die Midterms verliert, ist enorm geschwächt. Und nach der Gouverneurswahl in Virginia spricht vieles dafür, dass Biden in einem Jahr genau das passieren wird.
Bidens Beliebtheitswerte sinken seit Monaten: Ende Oktober veröffentlichte der TV-Sender NBC eine Umfrage, laut der 45 Prozent der US-Amerikaner Bidens Arbeit positiv bewerten – und 52 negativ. Besonders besorgniserregend für Biden: 44 Prozent der Befragten waren demnach "sehr unzufrieden" mit seiner Arbeit, nur 19 Prozent "sehr zufrieden".
Besonders problematisch für Biden wäre eine Niederlage bei den Midterm Elections, weil die Mehrheit der Demokraten im Kongress schon jetzt hauchdünn ist. Im US-Senat sitzen heute 50 Demokraten und 50 Republikaner. Die Demokraten haben nur deshalb eine Mehrheit, weil laut Geschäftsordnung dieser Parlamentskammer die Vizepräsidentin mit ihrer Stimme für eine Mehrheit sorgt.
Dass auch diese Mehrheit eigentlich nicht reicht, erlebt Biden gerade im politischen Kampf um das schon erwähnte Infrastruktur-, Klimaschutz- und Sozialpaket: Die zwei demokratischen Senatoren Joe Manchin und Kirsten Sinema wollen ihm in dieser Form nicht zustimmen, Bidens Prestigeprojekt hängt fest.
Doch selbst diese knappe Mehrheit ist jetzt massiv in Gefahr: Wenn die Republikaner im Herbst 2022 nur einen zusätzlichen Sitz im Senat erobern, ist sie vollständig futsch. Biden würde kaum noch Veränderungen durchsetzen können, ohne den Republikanern weit entgegenzukommen.
Andrea Rotter, Referatsleiterin Außen- und Sicherheitspolitik an der CSU-nahen Hanns-Seidel-Stiftung in München, nennt das Ergebnis gegenüber watson ein "ernsthaftes Warnsignal" für den amtierenden Präsidenten. Sie fasst die Lage mit Blick auf die Midterm Elections so zusammen:
"Die Republikanische Partei dürfte angesichts der positiven Wahlergebnisse in Virginia und New Jersey, wo ebenfalls Gouverneurswahlen stattfanden, deutlich Auftrieb erhalten haben. Joe Biden und die Demokraten müssen vor diesem Hintergrund hingegen nicht nur die eigene Politik kritisch bewerten, sondern auch eine geschlossene Position und erfolgreiche Wahlkampfstrategie für 2022 entwickeln, wollen sie nicht die Kontrolle über den Kongress verlieren."
Die unentschlossenen Wähler in den USA bleiben wichtig
Neben Virginia wurde, wie von Rotter erwähnt, auch im US-Bundesstaat New Jersey der Gouverneur gewählt. In dem Staat, der an die Millionenmetropole New York grenzt, ist am Mittwoch noch immer nicht klar, wer gewonnen hat: Der demokratische Amtsinhaber Phil Murphy und sein republikanischer Konkurrent Jack Ciattarelli liegen Stand Mittwochnachmittag nach Auszählung eines großen Teils der Stimmen nah beieinander.
Strahlender Sieger in Virginia: der frisch gewählte Gouverneur Glenn Youngkin von den Republikanern. Bild: dpa / Andrew Harnik
Was beide Wahlen zeigen: So tief die Gräben zwischen überzeugten Anhängern der Demokraten und Fans der Republikaner auch sein mögen:Die unentschlossenen Wähler, die mal für die Demokraten, mal für die Republikaner stimmen, bleiben wichtig. In Virginia wie in New Jersey haben die Demokraten im Vergleich zur Präsidentschaftswahl 2020 in den Vororten der Großstädte, den sogenannten "Suburbs" deutlich an Zustimmung verloren.
Das Problem der Demokraten: Ihr Angebot für unentschlossene Wählerinnen und Wähler war offensichtlich nicht gut genug. Die Themen, auf die sie bei diesen Wahlen setzten – Abtreibungsrechte, ein schärferes Auge des Staates auf die Polizei, ein kritischer Umgang mit strukturellem Rassismus – haben nicht gezogen. Den Wählern waren Themen wie Bildung und Wirtschaft wichtiger. Und in Virginia hat der republikanische Kandidat Youngkin hier deutlich mehr gepunktet.
Bittere Niederlage: der unterlegene demokratische Kandidat Terry McAuliffe. Bild: ap / Steve Helber
Niall Stanage, Kolumnist des Nachrichtenportals "The Hill", fasst seine Erkenntnis in einer Analyse des Wahltags so zusammen:
"Das Problem der Demokraten ist, dass die Gesamtwählerschaft bei diesen Themen vielleicht deutlich weniger progressiv ist, als Linksliberalen auf Twitter das vielleicht lieb ist."
In Bidens Demokratischer Partei wird sich nach der Wahlniederlage der seit Monaten schwelende Streit zwischen dem linken Flügel und den mittigen und eher konservativen Vertretern nach der Niederlage in Virginia wohl verschärfen. Die Linken sind der Meinung, der demokratische Kandidat McAuliffe habe keine Antwort auf die "Hetze" der Republikaner gehabt – während konservativere Demokraten dafür werben, bei manchen Themen etwas weniger aggressiv-links vorzugehen.
Donald Trump ist nicht mehr so wichtig
US-Expertin Rotter sieht die interne Zerrissenheit der Demokraten als großes Problem für die nahe Zukunft Bidens und seiner Partei an. Gegenüber watson erklärt sie:
"Öffentlich ausgetragene Kämpfe zwischen dem moderaten und progressiven Flügel der Demokraten sind der Grund, weshalb Bidens Kernprojekte, nämlich kostspielige Reformen mit Blick auf die Sozial- und Klimapolitik sowie Amerikas Infrastruktur, bislang nicht durchgesetzt werden konnten. Zudem stellt der Erfolg des politischen Newcomers Youngkin auch die demokratische Wahlkampfstrategie in Frage."
Rotter bezieht sich auf den Versuch der Demokraten, den Republikaner Youngkin als treuen Anhänger Donald Trumps darzustellen – und ihn so in den Augen vieler Wechselwähler unwählbar zu machen.
Bild: dpa / Evan Vucci
Das hat nicht funktioniert. Denn eine weitere Erkenntnis dieses Wahltages ist: Trump ist einfach nicht mehr so wichtig. Der abgewählte Ex-Präsident veröffentlichte nach dem Wahlergebnis zwar eine Mitteilung, in der er "seiner Basis" für den republikanischen Sieg dankte. In Wahrheit aber tauchte Trump kein einziges Mal im Wahlkampf in Virginia auf. Und der republikanische Kandidat Youngkin fuhr im Wahlkampf eine Doppelstrategie, die US-Expertin Rotter so zusammenfasst:
"Youngkin ist es gelungen, treue Trump-Anhänger für sich zu mobilisieren ohne dabei moderate Republikaner zu vergraulen. Während McAuliffe versuchte, Youngkin als gefährlichen Trumpisten zu charakterisieren, konnte der Republikaner bei den Wählern vor allem mit lokalen Themen wie Bildungspolitik punkten, die sich entlang der Konfliktlinien des gegenwärtigen 'Kulturkampfes' in den USA orientieren."
"Kulturkampf", damit meint Rotter die Auseinandersetzung um enorm emotional diskutierte Themen wie Einwanderung, das Abtreibungsrecht und der Umgang mit rassistischer Diskriminierung. Noch so ein Thema, für das die Demokraten anscheinend noch keine funktionierende Strategie entwickelt haben.
Ukraine-Krieg: Selenskyj und Putin äußern sich überraschend zu Friedensverhandlungen
Seit über 1000 Tagen herrscht bereits Krieg in der Ukraine. Und das, obwohl der russische Präsident Wladimir Putin das kleinere Nachbarland binnen weniger Tage einnehmen wollte. Nach bald drei Jahren herrscht eine enorme Kriegsmüdigkeit – nicht nur in der Ukraine.